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Verlorene Selbstsicherheit

Die Anstrengung, Kunst zu machen, schlägt leider durch: Andreas Dresen hat Christoph Heins Roman „Willenbrock“ im 35-mm-Kinoformat verfilmt

Die Geschichte ist schnell erzählt. Magdeburg (Coproduzent ist auch der MDR). Die Geschäfte laufen (Autohandel). Der Chef (Axel Prahl) pflegt die Beziehung zu mehreren Frauen. Da stören Kriminelle (Russen) die Nachtruhe. Versuchter schwerer Diebstahl mit Waffen. Ab in den Knast für zehn Jahre? Aber nein. Der Staatsanwalt legt die Tat als Bagatelldelikt zu den Akten und lässt die Russen frei. Ein Schock. Keine Rechtssicherheit mehr! Willenbrocks Wille ist gebrochen. Hilft die Kunst? Der Gebrochene geht, das ist heute die Therapie, in eine Ausstellung. Todesbilder gucken.

Man reibt sich die Augen. Das soll ein Film des Regisseurs von „Nachtgestalten“ sein, von „Halbe Treppe“, von „Herr Wichmann von der CDU“? Das soll eine Verfilmung des Romans von Christoph Hein sein?

Was ist passiert? Vorher wurde vor der digitalen Kamera spontan agiert, frei improvisiert; das Kleinstteam legte keine Positionen fest; die Power kam von den Darstellern, und Dresen wurde für diese Disposition gemocht und geliebt. Mit „Willenbrock“ ist alles anders. Die Anstrengung einen E-Film, Kunst, zu machen, schlägt durch. Der Film lähmt. Wir haben jetzt das 35-mm-Format, Cinemascope, und Michael Hammon, der sich als „Bildgestalter“ versteht, an der Kamera. „Ich liebe die Möglichkeit, mit Räumlichkeiten zu arbeiten und die Figuren zu integrieren“. – Um es gleich zu sagen: Die Darsteller sind integriert, gar verloren in der Fotografie. Sie sind jetzt für die Kamera da. Und nicht umgekehrt.

Aber noch mal. Warum dieses Kunstabenteuer? Was ist passiert? Andreas Dresen: „Ich bin nachts wach geworden, und vor einer wehenden Gardine stand plötzlich ein Mann in unserem Hotelzimmer. Ich bin aufgesprungen und ihm schreiend nackt hinterhergerannt. Dieser Vorfall hat uns dann traumatisiert. Wir waren plötzlich voller Ängste. […] Und im Roman muss (der Held) begreifen, dass die Welt, in der er lebt, sehr viel brüchiger ist, als er je für möglich gehalten hätte. Er verliert seine Selbstsicherheit, und alles gerät ins Wanken.“

Soweit zu den parallelen Welten. Damit diese zusammen- und letzte Fragen menschlicher Existenz ins Blickfeld kommen, hat sich das Drehbuch ausgedacht, Heins Romangestalten aus dem definitiven zeitgeschichtlichen Kontext (Nachwendezeit) zu lösen und in allgemeine deutsche, ja europäische Gegenwart zu setzen, denn es geht „um Größeres, Europa, mit seinen Grenzen, mit dem Verlust von Werten und dem Zerfall eines Rechtssystems“ (Coautorin Laila Stieler), und Magdeburg kann auch Lübeck sein.

So so, jetzt kommen wir aber über letzte Fragen allgemein gültiger Art doch wieder zum Nachwendebezug. Denn jetzt sind es nicht die Lüburger oder Magdebecker, die nörgeln, sondern das Drehbuch ist es. Unbegreiflich viele Sequenzen werden darauf verwendet, um mit pädagogischem Zeigefinger begreiflich zu machen, dass das Systems versagt, zerfällt, Hilfe verweigert. „Scheißrussen! Mauer baun!“ – „Die wollen doch auch leben!“, der andere.

Kriminelle wollen auch leben: so sieht nörgelnde Ausgewogenheit aus. Oder platte Penetranz. Wenn in den ersten Sätzen des Films gleich zweimal die Floskel „Wenn Sie wissen, was ich meine“ eingebaut ist, dann weiß ich in der Tat, was ich meine.

Wenn Autorenfilmer Andreas Dresen vorhatte, Heins „Willenbrock“ für die Kinoreihe „Film und Literatur“ zu konzipieren, ist das ja nichts Schlimmes. Auch nicht, dass alles im Film über die Dialoge läuft. Aber genau das funktioniert nicht. Das Wort wird theatralisch abgefeiert, und der souveräne Frauenheld hat Mühe, seine Schüchternheit zu verbergen. Weil das, was gesagt wird, platt ist, wird das Gestelzte peinlich. Hier hätte nur Dresens berühmte Ironie helfen können. Aber sie hilft genauso wenig wie das Rechtssystems. Sie glänzt durch Abwesenheit. Willenbrock, aufgemischt, das wär’s gewesen.

DIETRICH KUHLBRODT

„Willenbrock“. Regie: Andreas Dresen. Mit Axel Prahl, Anne Ratte-Polle u. a., Deutschland 2004, 105 Min.

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