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Unsere besten Monate

Als sie vor 15 Jahren zum ersten Mal frei wählten, dachten sie: Jetzt ist eine bessere DDR möglich. Dann kam das Wahlergebnis. Drei Idealisten und ihr kurzer Weg in die Realität

VON NADJA KLINGER

Es war ganz einfach. Man brauchte Stifte und Papier. Es war großartig, in freien Wahlen über sein Schicksal zu bestimmen. Am Abend wurden die Kreuze gezählt. Es gewann die „Allianz für Deutschland“ aus Demokratischem Aufbruch, CDU und CSU. Es war gestern vor 15 Jahren. Es war aus und vorbei. Die Wochen zwischen dem Mauerfall im November 1989 und den Volkskammerwahlen am 18. März 1990 waren die schönste Zeit überhaupt. Das sagen viele, die damals DDR-Bürger waren.

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Als die Wende kam, hat Rainer Börner gerade seinen Dienst als Kultursekretär der FDJ getan. Einen Moment lang hat er gestutzt, dann hat er mitgemacht. Er hat sein Amt niedergelegt. Er hat den Bürgerrechtler Reinhard Schult kennen gelernt, verdutzt festgestellt, dass sie gleiche Lebensauffassungen haben. Er hat sich voll ins Zeug gelegt.

Er ging zu seiner Parteiführung ins ZK-Gebäude. Warum die SED-PDS so alte Säcke am Zentralen Runden Tisch hätte, hat er gefragt, schließlich wollte man dort über eine neue DDR nachdenken. „Mach’s doch selber!“, haben die Genossen geantwortet. Mit Vergnügen hat er das getan.

Börner erinnert sich an ein Fernsehbild aus Dresden vom Dezember 1989. Am Rand klemmte Hans Modrow, SED-Ministerpräsident der Wende, klein und schmal. Den Rest füllte Helmut Kohl aus, in Breite und Höhe. Da war kein bisschen Luft mehr. Börner sah weg, um die Lust nicht wieder zu verlieren. Wie die Männer im Fernsehen sah dann auch die Wiedervereinigung aus.

Nach den Wahlen im März 1990 gab es den Runden Tisch nicht mehr. „Es hatte keinen Sinn mehr, mit der DDR zu experimentieren“, sagt Rainer Börner. Der Schwung, den er genommen hatte, war zu groß, um hinzuschmeißen. „Es musste viel geregelt werden in den Monaten, die dem Land noch blieben, möglichst einfach und schnell.“

Die Volkskammer war voll mit politischen Quereinsteigern wie Börner. Das hat das Klima geprägt. So ehrfurchtslos wie die Leute vor den Wahlen kandidiert hatten, so ehrfurchtslos saßen sie jetzt mal in dieser Fraktion, mal in jener. Es hieß: Ich geh los und tausche Argumente aus. Niemand konnte vorher sagen, wie Abstimmungen ausgingen.

Wurde es zu bunt im Parlament, fand sich jemand, der politische Rituale anpries wie Westschokolade. Es gelang kaum, die Abgeordneten dazu zu bringen, sich wie das Parlament der Bundesrepublik zu verhalten. „Es war eine Zeit zwischen Euphorie und Depression“, sagt Rainer Börner. „Ich konnte richtig was bewegen und habe gleichzeitig gemerkt, dass das zu Ende geht.“

Kurz bevor das Ende da war, ist er noch mal aufs Ganze gegangen. Mitten in der Volkskammersitzung hat er sich erhoben. Im Saal drehten sie sich zu ihm, Kameras nahmen ihn ins Visier. Und Rainer Börner erzählte dem Parlament, der ganzen Fernsehnation, dass er bei der Stasi gewesen war.

Seine PDS-Fraktion saß steif, als würde Sturm aufkommen. Gregor Gysi wollte, dass er nur zugab, was man ihm beweisen konnte. Das bedeutete, gar nichts zu sagen. Es gibt bis heute keine Unterlagen zum Fall Börner.

Der kämpfte darum, dass jeder in der Partei seine Stasiverbindungen offen legt. Auf einer Konferenz 1992 haben die Genossen ihn deswegen verhört. Wie ein Verbrecher saß er im Parteipräsidium, wo er mit Wendeschwung gelandet war. Er ist ausgetreten. Aus der PDS, aus der Wende, aus der Politik.

Drei Jahre später haben die Berliner Bündnisgrünen Rainer Börner gebeten, auf ihrer offenen Liste fürs Abgeordnetenhaus zu kandidieren. Er lehnte ab. In politischen Institutionen bräuchte man Überzeugung und Glauben, dass Veränderungen möglich sind, erklärte er, und von beidem habe er nicht mehr genug. Er arbeitet im Rio-Reiser-Archiv. Er ist dort der Börner für alles, legt sich wieder voll ins Zeug. Das alt eingeschliffene Wort Geschäftsführer mag er nicht.

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Klaus Wolfram, der seit den 70er-Jahren in der DDR-Opposition gewesen war, betrat im Dezember 1989 den Rat des Stadtbezirks Berlin Mitte am Alex, weil er eine Wochenzeitung gründen wollte. Er traf auf die Dame vom Amt, die schon immer hier gesessen hatte. Sie kämpfte mit den Unterlagen. „Sie sind die erste GmbH, die ich seit 1954 eintrage“, sagte sie.

Mit 20.000 Ostmark hat die andere im Januar 1990 auf wackligen Beinen angefangen. Es blieb kein Geld für Redakteure. Was für eine Zeitung sie machen wollten? „Das war Allgemeingut, darüber mussten wir nicht reden, im Grunde brauchten wir nicht mal einen Chef“, sagt Wolfram. „Es sollte eine ehrliche Zeitung sein!“

Nach ein paar Nummern hat er angemerkt: „Das ist alles nicht politisch genug.“ Es war Kritik am Inhalt. Das hatten wir schon mal!, hieß es. Es ging hin und her, dann lagen die Nerven blank.

Im März, während er am Runden Tisch in der Verfassungsgruppe saß, machten seine Redakteure die Zeitung zu. Klaus Wolfram ist losgerast. Seine Redaktion machte grad Pressekonferenz und ließ ihn vorsichtshalber nicht rein. Bis ein Journalist vom Spiegel rief: „Wir wollen den Herausgeber hören!“

Wolframs Meinung war klar. „Wenn Revolution ist, kann man nicht alles hinschmeißen, nur weil man kein Geld kriegt oder weil einem der Chef nicht passt!“

Eine zweite Redaktion wurde aufgebaut. Es kamen Spenden, die größte von Christa und Gerhard Wolf. Es kamen Redakteure, die eine politische Vorgeschichte hatten, die mit der DDR-Opposition verbunden waren. Aber auch hier trennte sich Spreu vom Weizen. „Die Energie kam von unten, von den einfachen Redakteuren, denen es um die Sache ging“, sagt Klaus Wolfram. Dann waren da noch die anderen, die als anerkannte Journalisten in gute, designierte Positionen kommen wollten. Um mit großem Auto in gute Hotels auf Dienstreise zu fahren, wollte Wolfram die DDR nicht gewendet haben. „Die Trittbrettfahrer der Wende fuhren alle nicht Richtung Osten“, sagt er.

Eine dritte Redaktion entstand. Sie war die zäheste. „Sie war der allerletzte Versuch, die Ostdeutschen auf eigene geistige und moralische Füße zu stellen.“ Klaus Wolfram sagt, er sei verbissen gewesen. Das ist die Beschreibung, die ihm heute spontan einfällt. Später korrigiert er sie per SMS: „Ich hatte zu viel Geschichtsbewusstsein.“ Nach Jahren in der Opposition war die Wende seine Bewährung. „Der Kreuzweg meines Lebens schlechthin“, sagt er. „Es ging nicht darum, dass der Staat zusammenhielt, sondern darum, dass die Leute endlich grade gingen.“

Mitte 1992 war das Geld endgültig alle, die Auflage auf 7.000 gesunken. Wolfram hätte nicht zugemacht, sie haben ihn zum Abschiedsartikel überredet. Er hat nicht der Zeitung adieu gesagt, sondern der Revolution. Er hat das Haus der Demokratie mitgegründet, das gibt es noch. Er hat das Robert-Havemann-Archiv mit geschaffen und den BasisDruck Verlag, aus dem einst auch die andere kam. Hier arbeitet er noch. „Alles kleine Inseln, auf denen man standhalten kann“, sagt er. „Aber nur der eine oder andere, höchstpersönlich. Es ist kein Standhalten in Größenordnungen.“

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Christina Schenk ist ein Dienstleistungsunternehmen. Sie kümmert sich um Leute, die in der Politik mitmischen wollen. Gibt Tipps. Zeigt wie Lobbyarbeit geht. Knüpft Kontakte zu Abgeordneten. Doch es wollen kaum Leute in der Politik mitmischen. „Leider“, sagt sie. Andere Unternehmer würden es schlechte Zeiten nennen und auf bessere hoffen. Das mit der Hoffnung hat Christina Schenk hinter sich.

Im Herbst 1989 ist sie von der Lesbengruppe der Berliner Gethsemanekirche direkt in die Politik gegangen. Es begann die schönste Zeit ihres Lebens. Mit großen Plänen. Weil die Kirchenräume fast platzten vor Frauen, wollte sie einen Frauenverband gründen. Weil es plötzlich einfach war, eine Anzeige in die Zeitung zu setzen, hat sie einfach zur Gründungsversammlung gerufen. Weil ein ganzes Theater voll wurde, die Frauen sich am Mikrofon drängten und über den Listen, in denen sie sich Arbeitsgruppen suchen konnten, hat Christina Schenk gedacht, Pläne lassen sich umsetzen. Heute nennt sie das Illusionen.

Vier Tage nach der Gründungsveranstaltung des Unabhängigen Frauenverbands im Dezember 1989 in der Volksbühne hat sie an die Tür geklopft, hinter der sich der Zentrale Runde Tisch konstituierte. Ein paar Frauen waren bei ihr, die kannte sie kaum, manche schoben Kinderwagen. „Wir sind der UFV und wollen mitmachen“, sagten sie. Man ließ sie warten. Keine kam auf die Idee, zu gehen. In den folgenden Wochen hat Schenk am Runden Tisch die Arbeitsgruppe zur Gleichstellung von Frau und Mann geleitet. Im März hat sie den Bericht vorgelegt.

Am Abend des 18. stand sie auf einer Wahlparty, hat das Ergebnis gesehen, ist sofort nach Hause gegangen. „Die alte Bundesrepublik war geschlechterpolitisch weit zurück. Mit Rechtsansprüchen auf Kindergärten und Krippen wollten wir uns nicht mehr befassen. Wir wollten ans Eingemachte, Rollenverständnisse aufbrechen“, sagt sie. „Mein optimistischer Impuls, die Gesellschaft zu verändern, war sofort weg.“

Sie hat dann nur noch gekämpft. Um ihre Illusionen, mit sich. Hat sich für den UFV einen Termin im Frauenministerium geben lassen. „Passen Sie bei den Verhandlungen zum ersten Staatsvertrag auf! Es gibt diesen Paragrafen 218, den werden die uns über helfen“, hat sie gesagt. Man hat geantwortet: „Ach, glauben Sie?!“

Was soll ich denn da jetzt allein machen? Das stand über einem Interview, das Christina Schenk, gegeben hat, nachdem sie für den UFV in der Bundestagsgruppe von Bündnis 90 in Bonn saß. Auf dem Zeitungsfoto sitzt sie verhalten lächelnd am Tisch, kurze, brünette Haare, der Pony zerzaust, eine große, tropfenförmige Brille. Sie sieht aus wie die neue Schülerin einer Klasse. Sie wünsche sich eine Frau vom UFV als Mitarbeiterin in Berlin, sagte sie. Und eine aus der westdeutschen Frauenbewegung in Bonn. „Dann wären wir schon zu dritt.“

Der UFV hat sich aufgelöst. Wann genau, das Christina Schenk nicht mehr. Sie weiß, wann alles begann, wie es endete, will sie vergessen. Ihre Haare sind jetzt grau. „Unsere Aufgabe besteht auch darin, klarzumachen, dass es sinnlos ist, zu viele Hoffnungen auf uns zu setzen“, hat sie im Oktober 1990 in Bonn gesagt.

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