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schwabinger krawall: sommerzeit, zu früh oder zu spät? von MICHAEL SAILER

Wegen ihm, sagt Herr Hammler, bräuchte es überhaupt keine Zeit nicht geben. Er habe noch nie verstanden, was man davon habe, wenn man auf eine Uhr schaut und feststellt, dass es schon wieder so spät ist.

Die Sommerzeit, sagt seine Frau, habe immerhin den Vorteil, dass es früher hell werde. Eben gerade nicht, sagt ihr Mann, sondern andersherum: Früher dunkel werde es, obwohl es dann schon später sei als normal, also eigentlich werde alles später und gleichzeitig früher, und das bloß wegen den Japanern, weil es bei denen von Haus aus früher hell wird, und er lasse sich nicht von Japanern vorschreiben, wann es wie viel Uhr sei.

Frau Hammler öffnet den Mund und schließt ihn mit einem Kopfschütteln gleich wieder. Sie müsse sich halt einmal etwas erklären lassen, sagt er, und sie schreit, sie wolle nichts mehr hören, wegen ihr sollen sie die Uhren hinstellen, wo sie wollen, und im ganzen Haus gebe es sowieso bloß die Kuckucksuhr, die sommers wie winters eine halbe Stunde nachgehe. Nein, sagt Herr Hammler, jetzt gehe sie vor, weil es jetzt mit der Sommerzeit seit dem Ostersonntag, an dem die Uhren verstellt wurden, eben früher sei, obwohl es in Wirklichkeit schon später sei. Frau Hammler will nichts mehr hören und beschließt, dass es Zeit zum Einkaufen ist.

Als sie nach einer Stunde zurückkehrt, ist sie außer sich. Das habe es noch nie gegeben, dass Frau Schusters Lebensmittelgeschäft nicht auf sei, sagt sie, obwohl es schon nach acht Uhr sei. Die habe wahrscheinlich ihre Uhr verkehrt herum gestellt, vor statt zurück, sagt Herr Hammler, und darum …

Hingegen, fällt sie ihm ins Wort, habe der Metzgermeister Feigl gejammert, er stehe sich seit sechs Uhr die Beine in den Bauch, weil sich sein Wecker automatisch umstellt, was er aber nicht wissen habe können und ihn deshalb noch einmal um eine Stunde verdreht habe. Hinwiederum sei sein Lieferant noch gar nicht da gewesen; es wisse der Teufel, nach welcher Zeit der jetzt gehe.

Und die alte Frau Reibeis sei völlig aus dem Häuschen, weil ihr Wehrdienstverweigerer sie eine Stunde zu früh aufgesucht und nackt im Bad überrascht habe und weil heute ihre Tochter aus Augsburg anreise und sie jetzt nicht wisse, ob diese später oder früher komme, welch Letzteres eigentlich gar nicht gehe, weil sie dann schon da wäre, noch ehe sie überhaupt in den Zug einsteigt. Da habe sie die Bundesbahn angerufen und erfahren, dass es gar keine Bundesbahn mehr gibt, und jetzt laufe die alte Frau Reibeis schreiend durchs Treppenhaus.

Sie selbst habe eine Hartwurst bekommen, aber keine Butter dazu und Semmeln auch nicht, und jetzt könne er selber schauen, wo er seine Wurstsemmel herkriege, sagt Frau Hammler.

Dann, brüllt er, gehe er eben ins Wirtshaus, und sie brüllt, da sei sie gespannt, ob sein Wirtshaus schon aufhabe oder noch oder überhaupt, und Herr Hammler brüllt, wenn er sich vorstelle, dass er sich dieses Geschrei jetzt auch noch eine Stunde länger anhören müsse als sonst, dann vergehe ihm sowieso der Appetit, und in diesem Moment fängt die Kuckucksuhr an zu schlagen, und beide schauen sich an und wissen überhaupt nicht mehr, was los ist.

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