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Anstandsdamen auf Abwegen

TOUR DE FRANCE Die Chaperons sollen seriöse Dopingkontrollen garantieren – agieren aber wohl vor allem als Feigenblatt für den verseuchten Radsport

ISSOUDUN taz | Die Anstandsdamen sind im Profiradsport allesamt Herren. Schicke Hemdchen mit dem Schriftzug UCI tragen sie, die Chaperons, die die zur Dopingkontrolle bestimmten Tour-de-France-Teilnehmer vom Zielstrich bis in den abgesperrten Bereich vor dem Antidoping-Caravan geleiten. Sie machen dies, nach erstem Augenschein, ganz ordentlich.

Sobald bekannt ist, welcher Fahrer Blut und/oder Urin abgeben muss, wird für jeden ein Chaperon bestimmt. Die stellen sich dann mit einem Zettel mit Namen, Nummer und Mannschaft des Fahrers kurz hinter dem Zielstrich auf und spähen nach ihrem Klienten. Haben sie ihn, dann bemühen sie sich, ihn – gegen den Strom der restlichen, zu ihren Bussen eilenden Profis – zur lizenzierten Pinkelstelle zu geleiten. Manchmal erwischen sie ihren Mann tatsächlich gleich hinter dem Zielstrich. Manchmal müssen sie bis zum Bus laufen und den Fahrer zum Mitkommen bewegen.

Der Chaperon als Freund

Weil auch die Chaperon-Welt menschlich ist und die Mitglieder dieser Gesellschaft dazu neigen, sich das Leben so angenehm wie möglich zu gestalten, pflegen die Chaperons guten Kontakt zu den Masseuren und Betreuern der Teams. Bei ihren Betreuern machen die Profis gern einen Zwischenstopp. Schließlich gibt es einen Snack, einen Drink und ein paar gute Worte. Zu denen gehört in manchem Falle auch der Hinweis: „Du musst zur Dopingkontrolle.“

Auch die Betreuer, manchmal sind es die Mannschaftsärzte, dürfen in den abgesperrten Bereich mitkommen. Einige steigen sogar in den Caravan, in dem die Kontrollen vorgenommen werden, und massieren dort weiter die Waden ihrer Betreuten. Das ist sicher bequem und praktisch. Wohl aber nicht im Sinne des Erfinders. So, wie der Dopingzweifel über der Berufsgruppe der Profisportler schwebt, so sehr sind auch die Masseure und Ärzte in diesem Milieu vom Verdacht der Hilfestellung belastet.

Wenn schon die Kontrollen eine Farce sind und Rennfahrer von Merckx bis Kohl zum Lachen brachten, dann ist es nur logisch, dass auch die Umstände des Wasserlassens denselben Charakter haben. Weigert sich ein Fahrer, sich dieser Prozedur zu unterziehen, verschwindet er etwa im Bus oder radelt gleich ins Hotel, so soll dies in einem Protokoll festgehalten werden. Es soll. Der Inhalt der Protokolle wird allerdings gehütet wie die Kronjuwelen. Nur Indiskretionen einzelner Mitarbeiter erlauben der Öffentlichkeit einen Hinweis darauf, ob eine Dopingkontrolle nicht korrekt vonstatten gegangen ist. Institutionen tendieren dazu, sich zuerst selbst zu schützen und erst an zweiter Stelle an die Aufgaben zu denken, die sie zu erfüllen haben. Daher die systematische Schweigsamkeit. Auch die acht Chaperons, die bei der Tour de France im Einsatz sind, sind zum Schweigen verdonnert. „Keine Interviews, keine Gespräche mit der Presse“, sagt einer der jungen, ins UCI-Shirt gewandeten Begleiter. „Anweisung von oben. Sie müssen da mit dem Chef sprechen.“

Die Kontrolle als Witz

Dieser Chef ist Pierre Bordry. Aber Bordry will seine Männer im Dunkeln lassen. Kein Wort über Auswahlkriterien, Schulung, Bezahlung, Verbindung zum Radsport. Als einer der Chaperons, die sich eine Stunde vor der Zieldurchfahrt des Feldes im umgitterten Bereich der mobilen Dopingkontrollstelle befinden, doch zu einem Gespräch ansetzt, fährt der Vorarbeiter dazwischen. Immerhin sind noch ein paar Scherze möglich. „Es ist wie bei der Armee hier. Du wirst gemustert und dann eingezogen“, sagt der junge Mann. Und auf die Frage, ob ihm die Tätigkeit Spaß mache, macht er eine scheuchende Handbewegung und erklärt, dass er es schon klasse fände, der Schäfer zu sein, der ausgewählte Exemplare seiner Herde zur Schur, nein zur Flüssigkeitsabgabe dränge.

Mehr ist nicht herauszuholen, weil die verantwortlichen Antidopingbehörden es mehr mit der Geheimniskrämerei als mit der Transparenz halten. Ob die Chaperons auch bei den überraschenden Kontrollen im Hotel eingesetzt werden, ist nicht zu erfahren. Ebenso wenig, ob ein Chaperon am Samstag gemeinsam mit dem UCI-Kommissar eine knappe Stunde einen Kaffee geschlürft und erst dann darauf geachtet hat, ob die Astana-Profis auch ins Kontrollzimmer kommen. Und inwieweit Chaperons gewechselt werden, um zu verhindern, dass freundschaftliche Bande gerade zu den fast täglich getesteten Spitzenkräften wie Armstrong und Contador entstehen, auch das ist geheim. Für die Glaubwürdigkeit des Radrennsports ist es sicher nicht zuträglich, dass die Kontrollgremien nicht kontrolliert werden.

Aber die deutsche Übersetzung von Chaperon – Anstandsdame – gibt einen Hinweis auf seine eigentliche Funktion. So wie die verzogenen Bengel der Oberschicht dazu gebracht werden sollten, in der Öffentlichkeit wenigstens ein gutes Bild abzugeben, so soll auch der Radsport-Chaperon zuallererst für ein gutes Image seiner Schützlinge sorgen. TOM MUSTROPH

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