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Van Gogh und die Deutschen

IDENTITÄT Was ist Deutschland? Dieser Frage spürt derzeit das Schleswig-Holstein Musikfestival nach. Die Lübecker Festivalausstellung „Deutsche Bilder“ will das Deutsche in der Kunst zeigen. Und findet keinen roten Faden

Deutschland ist ein Acker im Winter, kahl und ländlich. Deutschland ist ein groß gewachsener Mann beim Bügeln, das Kreuz durchgebogen, beide Hände am Eisen. Deutschland sind drei Rehe, die eine Rakete aus dem Wald tragen. Deutschland ist das, was auf den rund 50 Werken zu sehen ist, die derzeit in der Kunsthalle St. Annen in Lübeck zu sehen sind. Könnte man meinen. Denn die Ausstellung heißt „Deutsche Bilder“ und ist die Festivalausstellung des Schleswig-Holstein Musikfestivals, das in diesem Jahr den Länderschwerpunkt Deutschland hat.

Das Musikfestival präsentiert unter dem Motto „Heimspiel – Deutschland entdecken“ bis zum 30. August ein Programm, das konventionelle und avantgardistische Beiträge vereint. Es gibt beispielsweise Brahms-Konzerte von philharmonischen Orchestern ebenso wie ein Konzert des Popstars Thomas D., der die Gedichte der von den Nazis ermordeten jüdischen Lyrikerin Selma Meerbaum-Eisinger vertont.

In der Lübecker Festivalausstellung sind vor allem Arbeiten von Stars wie Anselm Kiefer, Georg Baselitz, Jörg Immendorff, Markus Lüpertz und Gerhard Richter zu sehen. Die meisten Exponate kommen aus der Generation der um 1940 Geborenen. Außerdem stammen sämtliche Werke aus der Sammlung des Schraubengroßhändlers Reinhold Würth.

Es sind eindrucksvolle, oft großformatige Werke. Aber mit Deutschland beschäftigen sie sich nicht – wie auch, wo doch kein Mensch weiß, was Deutschland sein könnte. Mit deutscher Geografie könnten sich die Künstler beschäftigen oder mit deutscher Geschichte, aber das tun sie nur in Ausnahmefällen – Georg Baselitz etwa hat einen Hitler gemalt mit erigiertem Penis und Totenkopf. Aber hat es etwas mit Deutschland zu tun, dass der Bahnhof auf einem grauen Foto von Gerhard Richter der Bahnhof von Hannover ist? Oder sollte der Künstler Rainer Fetting an Deutschland gedacht haben, als er 1978 das Bild „Van Gogh an der Mauer II“ malte?

„Deutsche Bilder“ sind diese Bilder nur qua Herkunft ihrer Schöpfer. Einen gemeinsamen inhaltlichen oder stilistischen Nenner gibt es nicht. Das ist das Problem der Ausstellung und gleichzeitig ihr Glück: Es gibt keine deutsche Identität in den Werken deutscher Künstler. Jeder Versuch, doch eine zu benennen, wäre zwangsläufig daneben gegangen.

Tapfer versuchen die Ausstellungsmacher, zumindest einen kleinen kunsthistorischen Bezug zwischen den gezeigten Arbeiten herzustellen: Im Nachkriegsdeutschland sei realistische Kunst als reaktionär abgelehnt worden, schreiben sie. Gemalt wurde statt dessen abstrakt, bis ab den 1960er Jahren die figurative Malerei wiederentdeckt worden sei – auch als Ablösungsprozess von den alten, das Abstrakte predigenden Lehrern. Dafür gibt die Ausstellung zwei, drei Beispiele.

Während sich die Ausstellung schwer tut mit dem Deutschen, kann das Musikfestival auf Vielfalt setzten, ohne zwangsläufig die Frage nach den Bezügen zwischen den einzelnen Werken aufzuwerfen. Es gibt rund 150 Konzerte in diesem Jahr, für die insgesamt rund 160.000 Karten angeboten werden. Rund 126.000 davon sind bereits verkauft. Der Schwerpunkt Deutschland zieht beim Publikum und das „Heimspiel“ ist seit dem Fußball-Sommermärchen 2006 sowieso positiv konnotiert.

2010 werde es finanzielle Probleme geben, vermutet Festival-Intendant Rolf Beck. Dann wirkt sich die Wirtschaftskrise aus. Beck würde dann wohl gerne nochmal ein Heimspiel veranstalten. Aber der Länderschwerpunkt 2010 steht bereits fest: Es wird Polen sein. KLAUS IRLER

„Deutsche Bilder“: bis 4. Oktober, Kunsthalle St. Annen, Lübeck

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