: Bürgermeister stolpert über Zufahrtsweg
Der populäre Bürgermeister von Mexiko-Stadt steht wegen eines Verwaltungsvergehens vor der Aufhebung seiner Immunität. Mexikos Establishment versucht damit, den aussichtsreichen linken Kandidaten für die Präsidentschaftswahl auszuschalten
AUS MEXIKO-STADT WOLF-DIETER VOGEL
Steht Mexikos aussichtsreichster Präsidentschaftskandidat vor dem politischen Aus? Letzten Freitag entschied eine parlamentarische Kommission in Mexiko-Stadt, den Weg für ein Immunitätsaufhebungsverfahren gegen den mexikanischen Hauptstadt-Bürgermeister Andrés Manuel López Obrador freizugeben. Der Grund: Der Politiker der linksgemäßigten Partei der Demokratischen Revolution (PRD) hatte einen Zufahrtsweg zu einer Klinik bauen lassen, obwohl ein Verwaltungsgericht den Stopp des Baus verfügt hatte. Dieses Vergehen könnte den derzeit beliebtesten Politiker des Landes nun nicht nur seinen Bürgermeisterposten kosten. Sollte er verurteilt werden, wird auch aus der Kandidatur für die Präsidentschaft nichts. Denn das Gesetz sieht vor, dass ein Vorbestrafter keine öffentlichen Ämter bekleiden darf. Theoretisch könnte López Obrador sogar zu einer Haftstrafe verurteilt werden.
Zwar steht die Wahl fürs oberste Staatsamt erst im kommenden Jahr an, doch der Streit um die Immunitätsaufhebung beschäftigt die mexikanische Öffentlichkeit seit Monaten wie kein anderes Ereignis. Für den Stadtoberen selbst steht außer Zweifel, dass sich dahinter ein Komplott des politischen Establishments verbirgt. Schließlich hat sich der PRD-Mann durch sein Eintreten für die arme Bevölkerung in der Hauptstadt den Ruf eines mexikanischen Lula erworben. Er führte in Mexiko-Stadt eine kleine Grundrente für alle Alten ein, investiert in den sozialen Wohnungsbau und finanziert Bildungsprojekte in den Armenvierteln der 22-Millionen-Metropole.
Entsprechend groß ist sein Rückhalt: Stadtteilorganisationen, Gewerkschaften und linke Intellektuelle machen für PRD-Politiker mobil. Selbst Zapatistensprecher Subcomandante Marcos polemisierte gegen das Verfahren. An unzähligen Brücken, Balkonen und Kleinbussen hängen Transparente oder Schilder zur Unterstützung von „AMLO“, wie ihn die heimische Presse nach seinen Initialen getauft hat. Kein Tag vergeht, an dem nicht eigens gegründete Unterstützungsgruppen für AMLO auf die Straße gehen.
Nach aktuellen Umfragen sprechen sich drei Viertel der Hauptstadtbevölkerung gegen das Verfahren aus, bundesweit ist es gut die Hälfte. Rund 35 Prozent aller Mexikaner würden derzeit einem Präsidentschaftskandidaten López Obrador ihre Stimme geben, die Konkurrenten Santiago Creel von der Partei der Nationalen Aktion (PAN) und Roberto Madrazo von der Partei der Institutionellen Revolution (PRI) kämen dagegen jeweils nur auf 25 Prozent. Für AMLO ist deshalb klar: Hinter dieser Geschichte stecken Mexikos Präsident Vicente Fox (PAN), PRI-Politiker wie etwa Madrazo sowie einflussreiche Vertreter des Kapitals. Die Generalstaatsanwaltschaft, die das Verfahren eingeleitet hat, sei ein Instrument der Intoleranz „derer, die oben sitzen“, meint der Bürgermeister und ist sich ganz sicher: „Das ist eine politische, keine juristische Angelegenheit.“
Fox, dessen Partei den Immunitätsentzug forciert, weist solche Vorwürfe von sich. In der PRI rief das Ergebnis gespaltene Reaktionen hervor, denn nur ein Teil der Parteigänger unterstützt die Linie des Frontmanns Madrazo gegen dessen Konkurrenten. Andere befürchten eine unkontrollierbare gesellschaftliche Eskalation, sollte López Obrador tatsächlich verurteilt werden.
„Der Staatsstreich gegen die Demokratie wird nicht gelingen!“, erklärte die der PRD nahe stehende Elektrikergewerkschaft SME am Samstag. Ob sie Recht behalten wird, ist fraglich. Die Entscheidung in dem vierköpfigen Parlamentsgremium fiel mit einer PAN- und zwei PRI-Stimmen gegen eine des PRD-Vertreters. Damit hat sich in der PRI der Flügel durchgesetzt, der mit AMLO auf Konfrontation gehen will.
In wenigen Wochen soll nun der Kongress darüber befinden, ob die Immunität aufgehoben wird. Um das zu erreichen, muss nur jeder dritte PRI-Abgeordnete zustimmen. Danach wird das Verfahren zur Angelegenheit der Generalsstaatsanwaltschaft, und die untersteht direkt dem Präsidenten Fox.
López Obrador hat indes schon zu Demonstrationen für den Tag der Entscheidung im Kongress aufgerufen. Wenn nötig, werde er auch aus dem Gefängnis für sein Recht kämpfen, ließ AMLO wissen.
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