: Kleinarbeit im Kiez braucht engagierte Mieter
KREUZBERG Ein Workshop zu Mietsteigerungen im Wrangelkiez findet nur mäßiges Interesse
„Gegen Verdrängung“, „Für Mietenstopp“: An vielen Hauswänden in der Reichenbergerstraße in Kreuzberg finden sich diese Parolen. Schon vor der Errichtung des umstrittenen Luxuswohnprojekts „Carloft“ habe „die Furcht vor hohen Mieten und Verdrängung auch den Wrangelkiez erreicht“, sagt Georg Neumann. Er gehört zu den MieterInnen der Reichenberger Straße 114, die bisher erfolgreich eine Versteigerung ihres Hauses verhinderten. Ein Workshop zu Mietsteigerungen und Ansätzen zur Gegenwehr, den Neumann im Rahmen eines Straßenfestes am Samstag in den Räumen eines Nachbarschaftshauses organisierte, war mit knapp 20 Menschen aber nur schwach besucht.
Der Stadtforscher Sigmar Gude von der Topos-Gruppe zeigte anhand von Statistiken und Zahlenmaterial, dass die Angst vor Mietsteigerungen im Wrangelkiez berechtigt ist. Er hatte im letzten Jahr in einer Studie besonders starken Gentrifizierungsdruck in der Gegend um die Reichenberger Straße festgestellt.
Während vor 15 Jahren viele MieterInnen im Durchschnitt 20 Prozent ihres monatlichen Einkommens für die Miete ausgegeben hätten, seien es heute im Durchschnitt 30 Prozent. Es sei aber auch keine Seltenheit, wenn bis zu 40 Prozent des Monatsbudgets für die Miete ausgegeben werden, so Gude.
Dass die Verdrängung von Menschen mit geringen Einkommen im Wrangelkiez kein Schlagwort ist, machte eine Workshop-Teilnehmerin deutlich, die in einer Kindertagesstätte arbeitet. In mindestens acht Fällen hätten Hartz IV beziehende Eltern umziehen müssen, weil ihre Miete vom Jobcenter nicht in voller Höhe übernommen worden sei. „Die Menschen sind dann ganz schnell weg aus dem Kiez. Viele ziehen nach Treptow oder in andere Ostberliner Bezirke“, so die Kita-Mitarbeiterin. Neben jungen Eltern seien ihres Wissens auch verstärkt ältere Menschen mit geringer Rente weggezogen.
Gude sieht die Verantwortung für diese Entwicklung vor allem bei der Politik. Mit dem Ende des sozialen Wohnungsbaus und der Mietpreisbindung seien immer mehr Steuerungsmöglichkeiten aus der Hand gegeben worden. „Deshalb ist heute die Möglichkeit, Einfluss auf die Miethöhe zu nehmen, gegen null. Was zählt, ist die profitable Verwertung von Grundstücken und Wohnraum.“
Warum in einer Zeit, in der im Zuge der Wirtschaftskrise Neoliberalismus und Privatisierungspolitik verstärkt in die Kritik geraten, nicht auch die Forderung nach einer Renaissance des sozialen Wohnungsbaus verstärkt erhoben wird, wollte ein Workshop-Teilnehmer wissen.
Gude sieht hier keine kurzfristigen Erfolge. Solche Forderungen hätten nur dann eine Chance, in den Parteien wieder Gehör zu finden, wenn eine starke MieterInnenbewegung für den nötigen Druck sorgt, so der Stadtforscher.
Doch nicht nur auf der Straße, auch im Workshop fehlte die MieterInnenbewegung. VertreterInnen des Mietenstopp-Bündnisses, die zugesagt hatten, sagten kurzfristig ab, um an der Antifa-Demo in Friedrichshain teilzunehmen. Das stieß bei manchem Teilnehmer auf Unverständnis. Medienwirksame Aktionen gegen das „Carloft“ können eine Kleinarbeit im Stadtteil nicht ersetzen, kritisierte ein Bewohner. PETER Neumann
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