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Zeugnisse sind Makulatur

Rund 40.000 Menschen russischer Herkunft leben in Köln. Viele von ihnen sind nur mäßig integriert. Der Verein Phoenix versucht im Auftrag von Stadt und Arbeitsagentur, den Leuten Arbeit zu vermitteln

VON CHRISTOPH SCHEUERMANN

Auf die Bilder an den Wänden ist Viktor Ostrowski besonders stolz: Aquarelle, Fotografien, Ölgemälde. Alle sind von russischen Künstlern, und auf den meisten entdeckt man Details von Köln: den Karneval, die Domspitzen. Für den 34-Jährigen sind diese Bilder ein Beispiel dafür, wie viel Potenzial in den Russen steckt, die in Köln leben. Ein Beispiel für gelungene Integration.

Viktor Ostrowski, ein stämmiger Mann mit kurzem Haarschnitt aus St. Petersburg, muss sich jedoch meist mit der schwierigen Seite der Integration beschäftigen. Rund 40.000 Menschen russischer Herkunft leben in Köln. Viele davon sind nur schlecht integriert, sprechen kaum Deutsch. „Ein riesiges Potenzial“, schwärmt er dennoch. Im Januar haben die Stadtverwaltung und die Kölner Arbeitsagentur ihm und seinen Mitarbeitern vom Verein Phoenix den offiziellen Auftrag erteilt, russischsprachigen Arbeitslosen zu helfen.

Seitdem beantwortet er Fragen zum Arbeitslosengeld II, unterhält sich mit Firmenchefs, vermittelt Praktika. Er hat alle Hände voll zu tun, ständig klingelt das Telefon in den Räumen in der Neu-Ehrenfelder Dechenstraße. Im besten Fall findet er eine Arbeitsstelle für seine Kunden, kostenlos. Die meisten von ihnen sind auch keine Künstler. Wie Vladimir Vainbergs zum Beispiel.

Weiterbildung war sinnlos

Der sitzt gerade vor Viktor Ostrowski und schaut auf die rote Mappe vor sich auf dem Schreibtisch. Darin hat er seine Zeugnisse gesammelt, den Lebenslauf, die Empfehlungsschreiben – ein dünner Stapel Papier. Vielleicht fragt er sich gerade, was ihm dieses Papier nutzen soll. Als Flüchtling hat ihm das Kölner Arbeitsamt vor einiger Zeit eine Weiterbildung zum Multimedia-Informatiker bezahlt. Damals brauchte man Leute mit Kenntnissen in elektronischer Bildbearbeitung. Irgendwann brauchte man sie nicht mehr. Und Vladimir Vainbergs, 35 Jahre alt, war immer noch ohne Job.

Am liebsten würde er wieder als Literaturlehrer arbeiten, erzählt er, wie damals in seiner Heimatstadt Riga in Lettland. Oder im Theater, mit Kindern. Aber inzwischen hat er aufgehört, davon zu träumen, auch weil seine Deutschkenntnisse noch nicht ausreichen.

Auch Viktor Ostrowski sieht die Situation nach drei Monaten als Jobvermittler realistisch. „Die Russen sind einfach nicht attraktiv für den deutschen Arbeitsmarkt“, sagt er. Deshalb wird er Vladimir zunächst in ein städtisch gefördertes Projekt in Chorweiler vermitteln, wo er mit russischen Jugendlichen arbeiten kann. Es ist vielleicht nicht das, was sich der Lette erhofft hatte. Aber es ist ein Anfang.

Ihren Träumen ein gutes Stück näher gekommen sind dagegen Olga und Elena Bekritskaya. Die beiden 35-jährigen Zwillingsschwestern stammen aus Moskau, wo sie im Theater Kostüme geschneidert haben. Vor sieben Jahren sind sie nach Köln gekommen. Der Anfang war zäh, vor allem die Gespräche mit Behörden und Versicherungen. „Wir konnten dort nur mit Freunden hingehen, die für uns übersetzt haben“, erzählt Olga. Vor einiger Zeit haben sie dann von Phoenix gehört. „Die haben uns erzählt, wir könnten uns selbstständig machen und eine Ich-AG gründen.“

Ein Modeatelier als Ich-AG

Das war vor eineinhalb Jahren. Heute besitzen Olga und Elena Bekritskaya ein kleines Modeatelier in der Innenstadt. Dort hängen an Kleiderstangen ihre neuesten Entwürfe. Die Schwestern sind erfolgreich, inzwischen fertigen sie sogar Kostüme für einen Kölner Karnevalsverein.

Aber nicht jeder hat so viel Glück wie die beiden Moskauerinnen. Fedor Paustjan etwa. Er ist 35 Jahre alt, ein Spätaussiedler aus Moldawien. Er macht ein nachdenkliches Gesicht. Vor wenigen Tagen hat ihm sein Chef gekündigt – „nach fünf Wochen“. Zweimal war der gelernte Elektroschlosser krank, insgesamt vier Tage. Das war dem Chef schon zu viel. Jetzt muss Fedor Paustjan wieder wie zuvor vom Arbeitslosengeld II leben, von 345 Euro im Monat. Dazu bekommt er 120 Euro Wohngeld für sein kleines Zimmer.

Bisher hatte Paustjan sich auf die Vermittlung von Zeitarbeitsfirmen verlassen. „Jetzt will ich alle Möglichkeiten ausnutzen.“ Deshalb ist er zu Phoenix gekommen und zu Viktor Ostrowski. Einen Job hat der zwar im Moment auch nicht. Er könne aber immerhin mit dem Kölner Handwerkspräsidenten reden. „Der besucht uns nächste Woche.“ Außerdem könne man sich bei der nahe gelegenen Jobbörse nach freien Stellen erkundigen. Viktor Ostrowski wird sich bemühen. Versprechen kann er nichts.

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