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Frontalangriff auf die Menschenwürde

Expertenanhörung im Innen- und Rechtsausschuss zum neuen Polizeigesetz: Während viele Fachleute „präventive Maßnahmen“ wie die Wohnraumüberwachung für verfassungskonform halten, warnen andere vor der Erfassung aller Bürger

Von Kai von Appen

Die Karawane der Polizeirechts-Hardliner in Hamburg zieht weiter: Nach einer über fünfstündigen Anhörung von neun Experten im Innen- und Rechtsausschuss am Dienstagabend sind die Beratungen der Bürgerschaft über ein neues Polizeigesetz nahezu abgeschlossen. Jetzt muss die informelle große Koalition aus SPD-Opposition und CDU-Regierungsfraktion nur noch Details „nachbessern“, wie sich SPD-Innenpolitiker Andreas Dressel ausdrückte, um Verschärfungen und Generalbefugnisse für die Polizei sowie Eingriffe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht der BürgerInnen zu legitimieren. Lediglich die GAL hält die Neuregelungen grundsätzlich für problematisch und überflüssig.

Die Zauberformel der Hardliner-Koalition enthält eine Reihe von „präventiven Maßnahmen“ – darunter fallen die akustische Telefon- und Wohnraumüberwachung, die Videoüberwachung öffentlicher Plätze, verdachtsunabhängige Identitätsfeststellungen, Aufenthaltsverbote, Unterbindungsgewahrsam sowie der finale Rettungsschuss.

Während Münchens Polizeipräsident Wilhelm Schmidbauer und der Verwaltungsrechtler Dirk Heckmann von der Uni Passau den Senatsentwurf grundsätzlich für „verfassungskonform“ halten, ihn aber gerne noch etwas weniger einschränkend formuliert sehen würden – „Wir werden ohnehin darauf warten müssen, was das Bundesverfassungsgericht entscheidet“, sagte Schmidbauer – hegen der von den Grünen benannte Staatsrechtler Wolf-Dieter Narr von der Freien Universität Berlin sowie der SPD-nominierte Hamburger Verwaltungsrechtsexperte Hans-Peter Bull Zweifel. „Die Rechtsausdehnung der Prävention und die rechtliche Ausleierung ist hochgradig problematisch“, warnte Narr. Das Gesetz sei zwar nicht der Weg in den Polizeistaat, „aber die Möglichkeit der Erfassung aller Bürger“.

Bull machte seine Kritik vor allem an der Frage der Telefon- und Wohnraumüberwachung fest, durch welche die „Menschenwürde frontal getroffen“ würde. Wenn der Lauschangriff auch zur „unmittelbaren konkreten Gefahrenabwehr“ durch gesetzliche Polizeibefugnisse noch zulässig sei (Suizidgefahr), so sei er zur „vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung ohne konkreten Tatverdacht“ unzulässig. Bulls Vorschlag: „Ich halte es nicht für abwegig, sich dieses Mittels im Gesetzentwurf zu entledigen.“

Überraschend deutliche Worte gegen die Videoüberwachung öffentlicher Plätze kamen vom Chef der Hamburger Gewerkschaft der Polizei (GdP), André Bunkowsky: „Es gibt bei den bundesweiten Modellversuchen keine empirische Untersuchung über positive Erfahrungen mit Videoüberwachung.“ Punktuell könnte sie präventiv vielleicht kurzfristig etwas bringen, sagt er, aber nur wenn begleitende personelle polizeiliche Maßnahmen stattfänden.

Bunkowsky erinnerte an den Mann, der voriges Jahr in Hamburg eine junge Frau vor eine S-Bahn schubste: „Den Straftäter haben wir zwar bekommen, aber die Straftat konnten wir nicht verhindern“, sagte er und ergänzte: „Wir wollen die Kriminalität ja nicht beobachten, sondern verhindern.“ Zeitgleich finde aber ein „gravierender Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht statt“, der dazu führe, „dass es mittlerweile Personen gibt, die Plätze meiden“ und mithin ein subjektives Unsicherheitsgefühl schüre. Der Konter vom senatskonformen Datenschützer Ralf Bernd Abel von der Fachhochschule Schmalkalden kam prompt: „Es gibt ja auch an Autos Schlösser, obwohl die keinen Diebstahl verhindern.“

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