OFF-KINO: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Was ist im Fall des russischen Öl-Oligarchen Michail Chodorkowski Realität und was nur ein vereinfachtes und von Wunschbildern getragenes Medienbild? Über die Jahre ist bei uns an die Stelle des neoliberalen Superkapitalisten, der nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion mit undurchschaubaren Methoden eine obszöne Menge Geld anhäufte, das Bild eines tapferen Verfechters westlicher Werte wie Transparenz und Demokratie gerückt, der von seinem Gegenspieler Wladimir Putin in politisch motivierten Gerichtsprozessen aus dem Weg geräumt worden ist. In seiner Dokumentation „Der Fall Chodorkowski“ lässt sich Regisseur Cyril Tuschi davon jedoch nicht blenden: Facettenreich und schlüssig analysiert er in Gesprächen mit Politikern, ehemaligen Geschäftspartnern und Beratern Chodorkowskis sowie dessen Familie die gesamte Karriere des einstigen Oligarchen und zeichnet dabei den Charakter eines extrem ehrgeizigen und arroganten Alphatiers nach, dessen heutiges Image im Westen nicht zuletzt auf eine von ihm selbst initiierte PR-Kampagne zurückgeht. (12.–18. 1. Kant, 12.–14. 1., 16. 1. Kino Krokodil, 15. 1. Rollberg)
Egal ob Komödie oder Drama, Aki Kaurismäkis Geschichten sind immer ein Stück weit in der sozialen Wirklichkeit verankert. Im Filmrauschpalast ist jetzt mit „Schatten im Paradies“, „Ariel“ und „Das Mädchen aus der Streichholzfabrik“ die komplette Arbeiter-Trilogie des finnischen Regisseurs zu sehen: Die Geschichten um eine Liebe zwischen einem Müllmann und einer Supermarktkassiererin, einen arbeitslosen Bergmann, der sich in kriminelles Tun verstrickt, sowie eine Fabrikarbeiterin, die ihre unerträglichen Eltern vergiftet, zeichnen in präzisen Bildern einen Entwurf vom eintönigen Arbeitsalltag und trostlosen persönlichen Beziehungen. Dabei wirken Kaurismäkis schwarzhumorige Filme jedoch nie deprimierend: Seine Figuren sind überaus hartnäckig, und (fast) jeder tragikomische Reinfall beinhaltet auch die Chance eines Neuanfangs. Das ist auch in Kaurismäkis bislang jüngstem Film „Le Havre“ nicht anders, einem kleinen Drama um einen von der Abschiebung bedrohten jugendlichen illegalen Einwanderer, dem der Regisseur zugleich noch eine märchenhafte Note verleiht. (Schatten im Paradies 12./13./15. 1., Ariel 12./14./15./17. 1., Das Mädchen aus der Streichholzfabrik 13.–15./18. 1. Filmrauschpalast in der Kulturfabrik. Le Havre 16. 1. Sputnik)
Das kleine anarchistische Meisterwerk „Zéro de conduite“ (Betragen ungenügend) ist einer von den nur vier Filmen, die der französische Regisseur Jean Vigo vor seinem frühen Tod im Alter von nur 29 Jahren fertigstellen konnte. In dem fantasievollen Kurzspielfilm aus dem Jahr 1933 erzählt Vigo von einer Kinderverschwörung gegen die fiesen Lehrer und Aufseher in einem Internat: ein – geplant – würdevolles Schulfest wird am Ende in einem Hagel von Wurfgeschossen untergehen.
Die französische Zensur nahm diese Rebellionsgeschichte derart ernst, dass sie bis 1945 verboten war. (zusammen mit Jean Vigos „A propos de Nice“ 12. 1. Arsenal, OmU) LARS PENNING
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