: Diskutieren, weil der Hartz kommt
Im Januar 2005 wurde die vorerst letzte Stufe der Hartzschen Arbeitsmarkt-Reformen gezündet. Höchste Zeit für eine erste Bilanz. Die taz nrw lädt übermorgen Vesper, Wagenknecht und Co. zur Diskussionsrunde nach Bielefeld
Eines kann man dem nach VW-Manager Peter Hartz benannten Gesetzespaket nun nicht nachsagen: Es habe keine Wirkung gezeitigt. Schon nach hundert Tagen hat Hartz IV – und hier die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld Zwei – etwas bewirkt: Die Statistik der Arbeitsagentur weist für Nordrhein-Westfalen eine Million Arbeitssuchende auf; bundesweit kletterte ihre Zahl auf mehr als fünf Millionen. Der verantwortliche Bundesminister und ehemalige NRW-Ministerpräsident, Wolfgang Clement (SPD), sprach von „ehrlichen“ Zahlen. Doch was bringt die neue Ehrlichkeit? Was haben die „arbeitsfähigen“ Sozialhilfe-Empfänger von der Betreuung? Ist der „Ein-Euro-Job“ mehr als Beschäftigungstherapie? Bringt er sie auf neue Ideen und zu neuem Elan? Und: Profitieren Nichtregierungsapparat und öffentliche Hand von der gemeinnützigen Arbeitskraft mehr als das Kleingewerbe darunter leiden wird?
Tiefenpolitisch wirkt Hartz schon längst, auch nach dem Abflauen der Montagsdemonstrationen. Zwar haben Opposition und Regierung das Paket gemeinsam durchgebracht, doch wer regiert, muss sich dafür verantworten. Die Fünfmillionengrenze ist gefallen, die Angst vor Verarmung, Deklassierung grassiert, radikalisiert das Wahlvolk. Und auch die bürgerliche Alternative zu Rot-Grün, die Mitverabschieber versuchen nun mit Protest zu punkten.
Im Pulverdampf um den Landtagswahltag am 22. Mai gemahnt die Debatte um Hartz und Folgen fast an den Feinstaub-Diskurs. Denn wenn die Arbeits-Statistik nur nach oben bereinigt wurde, trifft das natürlich keine neuen Aussagen über den Zustand von Wirtschaft und Arbeitsmarkt. So gesehen, ist das Endzeitgezeter um ein neues Heer der Beschäftigungslosen ähnlich mit Vorsicht zu genießen, wie die österliche Angst vor dem Angriff der Mikropartikel aus dem Autoauspuff. Auch hier gilt: Es ist nicht mehr Feinstaub in der Luft, seit April greifen schlicht verschärfte Grenzwerte. Es herrscht die neue Ehrlichkeit.
Ehrlichkeit ist nur eine schöne Hoffnung. Dennoch präsentiert die taz nrw am Donnerstag ein weitgehend ehrliches, glaubwürdiges und ausgewogenes Podium. Zur Frage „Regieren, bis der Hartz kommt: Stürzt Rot-Grün über die Arbeitsmarktreformen?“ treffen Regierende auf Nicht-Regierende, Europapolitiker auf Gewerkschaftler, Wohlfahrtsverband auf Think-Tank. Moderiert von Ulrike Winkelmann, taz-Redakteurin im Berliner Parlamentsbüro und Expertin für Sozialpolitik, treffen sich um 19.30 Uhr in der Bürgerwache Pro und Kontras.
Zum einen der Bauminister und stellvertretende Ministerpräsident von NRW, Michael Vesper (Grüne) – der Bielefelder Kandidat steht voll im Lagerwahlkampf gegen CDU und FDP: Rot-Grün soll nicht nur in Düsseldorf verteidigt werden. Reformorientiert wird sich gewiss auch Maria Loheide vom Diakonischen Werk Westfalen äußern. Nicht nur in Sachen „Ein-Euro-Jobs“ sind die Wohlfahrtsverbände eingebunden in die neue Arbeitsmarktpolitik. Schließlich wird Gerhard Schick, Projektmanager der Bertelsmann-Stiftung und grüner Reformexperte für Föderalismus, Wirtschaft und Finanzen, bestimmt den Reform-Motor ankurbeln wollen. Für die Konter ist der Detmolder IG-Metall-Funktionär und Mitglied der Wahlalternative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG), Hans Vieregge zuständig. Und nicht zuletzt Sarah Wagenknecht von der PDS, die seit Sommer Europa-Abgeordnete ihrer Partei ist. CHRISTOPH SCHURIAN
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