: Ist Jodeln cool?
VOLKSMUSIK „Hodaro“, „Iohodraeho“, „Holadaittijo“ – Jodeln, das ist Singen ohne Text auf Lautsilben. Im Schweizer Naters ringen jedes Jahr im Sommer Chöre um die beste Technik und den besten Sound
■ Jodlerfeste in der Schweiz: 20. August 2010: 28. Eidgenössisches Jodlerfest in Interlaken (Kanton Bern); 11. Juni 2010: Nordwestschweizerisches Jodlerfest in Laufen (Kanton Basel-Landschaft;) 18. Juni 2010: Bernisch Kantonales Jodlerfest in Langenthal (Kanton Bern); 25. Juni 2010: Zentralschweizerisches Jodlerfest in Baar (Kanton Zug); 2. Juli 2010: Nordostschweizerisches Jodlerfest in Schaffhausen (Kanton Schaffhausen) www.jodlerverband.ch/events.php
■ Schwing- und Älperfest – unverzichtbar für Jodlerfreunde. Es findet vom 20. bis 22. August in Frauenfeld (Kanton Thurgau) statt. www.frauenfeld2010.ch
■ Trachtenfest für Fans: vom 4. bis 6. Juni 2010 in Schwyz www.trachtenfest2010.ch
■ Jodelkurs für 2009. Wer jodeln lernen möchte, der findet viele Einsteigerkurse, häufig Tageskurse unter www.jodlerverband.ch/events.php.
■ Angebote: Intervallsprünge in Klewenalp – Folklore-Akademie für Jodeln, Alphornblasen und Fahnenschwingen: www.klewenalp.ch/de/page.cfm/Home_Klewenalp/Angebote_Klewenalp/Folklore_Akademie Appenzell: Zentrum für Appenzellische Volksmusik (Appenzeller Alpsegen): www.zentrum-appenzellermusik.ch
VON ANDREAS RÜTTENAUER
Die Imbissbetreiber bauen ihre Buden auf. Dabei tönt so manche geschmacklose Volkstümlichkeit über ihre Lautsprecher. Denn es gibt sie auch in der Schweiz, jene eigenartig erfolgreiche Variante der Unterhaltungsmusik, die in Deutschland Menschen wie den ungekrönten Lächelkönig Hansi Hinterseer oder die wuchtigen Wildecker Herzbuben zu wahren Stars gemacht hat: Ein Graus für alle, die echte Volksmusik betreiben. Doch die Imbissbetreiber schalteten ihre Anlagen schnell aus, als die ersten Trachtler auf dem Weg zu ihrem Wettbewerbsbeitrag durch Naters laufen. Jetzt wird es ernst, jetzt kommen die echten VolksmusikerInnen: die Jodler, die sich in der Schweiz regelmäßig beim Wettsingen messen. In Naters beispielsweise, im Kanton Wallis gelegen, treffen sich diese puristischen Volksmusikanten immer im Sommer beim Westschweizer Jodlerfest. Tausendfünfhundert sind es dieses Jahr. In ihren Jodlertrachten ziehen die Saas-Feer, die Appenzeller, die Thuner ein Wochenende lang durch den Ort an der Rhone. Mit ihrem schmucken Auftreten strahlen sie die Autorität des Ursprünglichen aus. Die Alphornbläser, die auch in den Jodelverbänden der Schweiz organisiert sind, geben ohnehin ein eindrucksvolles Bild ab, wenn sie mit geschultertem Instrument dahermarschieren. „Jodlu isch cool“, lautet das Motto des 26. Westschweizer Jodlerfestes von Naters, dem größten Dorf des Oberwallis.
Wenn Jodler zusammenkommen, dann wollen sie jodeln. In Naters treffen sie sich dazu in den Wettbewerbslokalen, dem modernen Missionszentrum oder der barocken Dorfkirche aus dem 17. Jahrhundert. Aber die Jodelchöre schmettern auch überall sonst ein Lied aus ihrem Repertoire – wann immer es ihnen in den Sinn kommt. Ein ganzes Tal, eingerahmt von schneebedeckten Viertausendern, vibriert mit den tiefen Bassstimmen der Männer, swingt mit den hohen Jodeleinlagen der Frauenstimmen. Und wenn Jodelpause ist, dann schallen Alphorntöne durch Naters. Coole Klänge.
Aber ist Jodeln wirklich cool? Am späten Abend, als jede Menge Bier und Wein die Hirne der Besucher des Jodeldorfes schon ein wenig weicher gemacht haben, sind auch jede Menge trachtenfreie Jugendliche zu hören, die von Edelweiß singen und drauflos jodeln, ohne sich dafür zu schämen. Jodellieder haben es in den vergangenen Monaten regelmäßig in die Schweizer Charts geschafft. So kennt beinahe jeder Schweizer den Jodlerklub Wiesenberg und sein zusammen mit der Diseuse Jordi Francine verschlagertes Lied „Das Feyr Vo Dr Sehns“ (Das Feuer der Sehnsucht). Der Schweizer Rapper Bligg, in dessen Hymne an die einheimische Popmusik „Mussig i dä Schwiiz“ (Musik in der Schweiz) kräftig gejodelt wird, ist immer wieder Gesprächsthema, wenn die Jodler statt zu jodeln über das Jodeln reden.
Jodeln ist also cool. Die meisten winken ab. Vor allem die Älteren, diejenigen, die das Bild bestimmen: Grauhaarige, naturgegerbte Kerle, die beinahe verwegen aussehen, wenn ihnen der schwarze, kreisrunde Jodlerhut über den Abend immer mehr ins Genick rutscht, und an denen man sich nicht satthören kann, wenn sie mit ihrem Altersbass ein Jodellied begleitet haben. „Ich weiß nicht, ob das cool ist, was wir machen“, sagt einer vom Jodelklub Bärgarve. Er ist schon in Rente und betreibt noch eine kleine Landwirtschaft. „Es gab einmal eine Zeit, da gab es keine Jungen“, meint er, nachdem er mit seiner gemischten Gruppe den Wettvortrag „Heimlig isch der Summa gange“ intoniert hat. Zwanzig, dreißig Jahre sei das her, da habe es kaum Nachwuchs gegeben. Das sei heute anders. „Cool?“, überlegt er. „Das müssen Sie die Jungen selbst fragen.“
Die Desirée ist fünfzehn. Eine ganz Junge. Sie tritt mit einer einheimischen Jodelgruppe im Finale des Wettbewerbs der besten Schweizer Nachwuchsvolksmusiker auf, der am Rande des Jodlerfests stattfindet. Einmal in der Woche trifft sich ihr Jodelchor in einem Ort in der Nähe von Naters. Der Nachwuchs aus der Gegend wird von den Eltern, meist selbst aktive Jodler, aus den Orten des Tals zum Probenraum chauffiert. Viele sind es nicht, die sich zum Jodeln fahren lassen. „Manche sagen schon dumme Sachen, wenn sie hören, dass ich jodle“, meint Desirée. Andere würden wissen wollen, wie das geht. „Dann jodle ich ihnen einfach etwas vor.“
„Die ist cool!“ Es ist schon spät am Abend, als der Präsident des Jodelklubs Bärgarve aus Naters, Daniel Schmid, auf eine lässige, junge Frau in Jeans zeigt. Am Tag zuvor, als sie ihr Auftrittsdirndl anhatte, da sah sie noch ganz anders aus. Christin Mazotti-Lauwiner ist Grundschullehrerin und inzwischen die musikalische Leiterin des gemischten Chors. Mit dem Vortrag ihrer Gruppe ist sie zufrieden, denn die hat sich zufällig zusammengesetzt. Irgendwo im Jodlerdorf, wo die Bewohner ihre Lagerkeller zu kleinen Bars umgebaut haben, trällerten ein paar Frauen immer wieder dasselbe Volkslied. „Ich fragte mich, ob die nichts anderes können?“, erzählt Mazotti-Lauwiner. Doch, sie konnten und stimmten ein Jodellied an, was immer mehr Frauen in den Kreis zog. Mazotti-Lauwiner hat schnell mit eingestimmt, ist bald zur Führungsjodlerin geworden. Ihr Jodelschlag wurde zum Sound des Dorfes.
„Beim Wettsingen ist es undenkbar, dass jemand in Jeans die Bühne betritt. Das Outfit gehört zur Tradition“, sagt Christin Mazotti-Lauwiner. „Auch wenn die Jury, die Noten von eins bis vier vergibt, nur auf die Töne achtet, es geht auch um das Erscheinungsbild.“ Beim Jodlerfest in Naters hat eine Gruppe aus Genf in Jeans die Grenzen ausgetestet. Eine reine Frauengruppe. So etwas hat es noch nie gegeben. Der „Coeur des Yodleuses“ ist trotzdem gut angekommen.
Peter Summermatter, Jodeljuror, 47 Jahre alt und schon seit 23 Jahren Leiter des Jodelklubs Aletsch aus Naters, sitzt in einer Jurypause an einem Imbissstand und sinniert darüber, wann das Jodeln echt ist. „Seit 100 Jahren wird in der Schweiz das Jodeln in der Form betrieben, wie sie in Naters vorgestellt wurde. So alt ist das nicht“, sagt er. Die meisten Lieder, die gesungen werden, sind in der Dreißigerjahren komponiert worden. Echt ist beim Jodeln nicht, was alt ist, sondern was klingt. Bis heute werden Jodellieder komponiert und getextet. Und während es früher nur um die Schönheit der Natur ging, nur um das große Glück der Liebe, geht es heute auch um die Gefährdetheit der Umwelt und die Schwierigkeit, sich auf Freundschaften einzulassen. Summermatter ist ein Freund der Veränderungen. Doch einen echten Jodler kann in seinen Augen nicht jeder singen. Er weiß: „Man muss die Tradition kennen, um glaubhaft Veränderungen bewirken zu können.“
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