: Hauptsache, man glaubt überhaupt
Religion kann dem Leben keine Weisung mehr geben, ohne geht es aber auch nicht: Der Medienkatholizismus vereint die Ökumene der Unsicheren
VON NORBERT BOLZ
Als Papst Johannes Paul II. wusste, dass er nur noch wenige Tage leben würde, verwandelte er sich in eine Ikone des Schmerzes. Das war die Spitzenleistung eines Weltkommunikators, der die Rolle des Papstes als die des letzten Repräsentanten in der modernen Welt verstand. Wir alle konnten vor den Fernsehschirmen miterleben, wie gut die vom römischen Katholizismus immer wieder betonte Sichtbarkeit der Kirche mit den Erwartungen der Massenmedien harmoniert.
Auf das ausgestellte Leiden des Papstes antwortete eine Globalisierung des Gefühls. Die Beerdigung und das Konklave wurden vom Vatikan mit einer medienpsychologischen Meisterschaft inszeniert, die Vergleiche mit Hollywood nicht zu scheuen braucht. Die weltweite Attraktivität dieses Medienkatholizismus besteht darin, Denken durch Fühlen zu ersetzen. Es geht nicht um den Einen Gott des Christentums, sondern einen Monotheismus des Gefühls: One World.
Nach der Religion des Sozialen kommt die Religion des Globalgefühls. Sie ist für den Gläubigen immun gegen Zweifel, weil Gott unbestimmt ist und weil man nicht an alles glauben muss. Wer nicht an die Auferstehung glauben kann, muss deshalb nicht aus der Kirche austreten. Glauben ist für jeden Einzelnen ein Patchwork. Was letztlich zählt, ist, dass man überhaupt glaubt.
Ist das die Revanche Gottes, die Wiederkehr des Glaubens, die Wende zur Entsäkularisierung der modernen Welt? Sehen wir näher zu. Je moderner, das heißt differenzierter, arbeitsteiliger und damit unübersichtlicher die Gesellschaft wird, desto größer die Sehnsucht nach Einheit und Ganzheit. Gott ist die traditionelle Formel für die Einheit der Welt. Es geht beim Thema Gott letztlich um die Möglichkeit, sich ein Bild von dem Ganzen zu machen, dem man selbst zugehört. Man kann es sich leicht machen mit Mystik und Esoterik, also mit der Beschwörung des Ganzen. Und man kann es sich schwer machen, nämlich mit einer Kritik des Ganzen, wie früher in der Gnosis und heute in der Kritischen Theorie: Das Ganze ist das Unwahre.
Geht es auch anders? Diakonie und Seelsorge scheinen Gott viel menschennäher zu kommunizieren. Und in der Tat kann man seit langem beobachten, dass das Diakonische das Dogmatische verdrängt; die vielen kleinen Kreuze der Welt machen „das Kreuz“ unsichtbar. Irakkrieg und Arbeitslosigkeit scheinen für die Kirche wichtiger als der Römerbrief. Formelhaft gesagt: Diakonie personalisiert gesellschaftliche Probleme und hält Realitätskontakt auf Kosten der großen Heilsversprechen. Hier bietet die Religion den Opfern der Gesellschaft ein Design der Betroffenheit. Und es könnte eben die gesellschaftliche Funktion der Religion sein, die Ausgeschlossenen einzuschließen. Doch nicht nur die Verlierer der Modernisierung sind religionsanfällig; auch die Wohlstandsgesellschaft zieht es zur Spiritualität. Denn zwar wächst der objektive Wohlstand stetig, nicht aber das subjektive Glücksempfinden. Für fast alle wird fast alles besser, aber wir können es, gefangen im Hamsterrad der Lust, nicht genießen. Die vielen anderen Möglichkeiten verderben uns das Vergnügen. Kontingenz macht unglücklich. Weil wir so viel Gutes haben, vermissen wir das höchste Gut.
Die katholische Kirche öffnet ihre Arme, um alle zu umfangen, die die Moderne nicht ertragen. Als besonders medienwirksam erweist sich dabei ein aggressiver Nonkonformismus. Kult und Ritual rücken wieder in den Vordergrund der katholischen Inszenierungen; klug schöpfen sie das Aufmerksamkeitspotenzial des Unzeitgemäßen aus.
Die für viele unerträgliche Zumutung der modernen Welt besteht darin, dass wir uns nicht nur mit einem moralischen, sondern auch mit einem kognitiven Relativismus abfinden müssen. Die Härte dieser Zumutung kann man am Fanatismus der ideologischen Reaktionsbildungen ablesen. Man muss den Blick gar nicht in den Nahen Osten schweifen lassen; jede Talkshow zeigt, dass Undurchschaubarkeit und Moralismus, dass Kontingenzerleben und Fundamentalismus sehr stark korreliert sind.
Peter L. Berger hat deshalb von einer Ökumene der Unsicheren gesprochen. Diese Formel komprimiert sehr schön den Doppelsinn der Einsicht, dass es keinen Ersatz für die Weisung der Religion gibt: Religion kann dem Leben keine Weisung mehr geben, aber wir können darauf auch nicht verzichten. Deshalb fragt die heutige Religiosität nicht mehr „Was darf ich hoffen?“, sondern „Was muss ich fürchten?“.
Der zweitausend Jahre währende Kalte Krieg zwischen Schöpfergott und Erlösergott scheint überraschend für den Schöpfergott entschieden zu sein. Man sehnt sich wieder nach dem Paradies. Und Paradies heißt eben, nicht mehr erlösungsbedürftig zu sein. Naturschutz war die Pastorale der Grünen, dieser postmodernen Hirten des Seins, die uns lehrten, die Schöpfung zu bewahren, statt auf die Erlösung zu hoffen. Wir sehen heute, dass das nur ein erster Schritt auf dem Weg zur Religion simplicity war, die Einfachheit, Reinheit und Orientierung verspricht. Dem Religionskonsum auf dem Markt der Spiritualität gehört die Zukunft. Wenn die Grünen heute die Nase rümpfen über den neuen Papst, dann wohl deshalb, weil sie in ihm einen Konkurrenten sehen. Zu Recht.
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