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Mit 40 das erste Mal auf der Piste

ABFAHRTEN Österreichs Skilehrer stellen sich zunehmend auf den demografischen Wandel ein. Die angehenden Silver Ager gehören in den Skigebieten längst zu einer umworbenen Zielgruppe

Tipps für Wildschönau

■ Altersgerechte Anfängerkurse: Mit steigendem Lebensalter wandelt sich auch das Freizeitverhalten. Mehr und mehr (angehende) „Happy Enders“ erlernen Sportarten, so auch das Skifahren. Die Tiroler Skischulen in der Wildschönau haben sich ganz zielgerichtet auf den demografischen Wandel eingestellt und unterrichten altersgerecht. Mit Erfolg – und viel Spaß. Die Klassen werden nach Leistungsniveau der Teilnehmer, nicht jedoch stur nach Alter zusammengestellt.

■ Preise: 1 Tag 50 Euro, 3 Tage 120 Euro, 6 Tage 135 Euro, Einzelunterricht 4 Stunden für 155 Euro, Happy Skischule, A-6311 Oberau 245, Tel. (00 43) 5 33 93 23, www.happy-skischule.at, weitere Skischulen und Kurse unter www.wildschoenau.com

■ Skigebiet Wildschönau: Das Wildschönauer Hochtal in den Kitzbüheler Alpen/Tirol eignet sich wegen seiner sanften Hügel und flachen Berge bestens für Anfänger. Die Preise sind moderat – im Gegensatz zum höher gelegenen Kitzbühel. Skipass für die Gemeinden Auffach, Oberau und Niederau ab 29,20 Euro pro Tag. Infos: Wildschönau Tourismus, Tel.: (00 43) 5 33 98 25 50, www.wildschoenau.com

VON MARC VORSATZ

Ein Vierteljahrhundert ist er nun dabei. Skilehrer Joachim Riedmann, 45, hat schon so einiges erlebt auf der Piste. Doch als – nennen wir ihn – Klaus Klotz die Skischule in den Kitzbüheler Alpen betritt, verschlägt es dem blonden Hünen den Atem. Nicht weil Klausi, wie er sich gern nennt, 46 ist. Gar kein Problem. Auch dass er noch nie auf Brettern stand, nein. Aber dass der Frühinvalide satte 220 Kilo auf die Waage bringt.

Wer, in Herrgotts Namen, soll ihn denn hochheben, wenn er hinfällt, schießt es den anwesenden Skilehrern durch den Kopf. Immerhin alles kräftige Kerle, die sich im Sommer als Holzfäller durchschlagen.

Aber der pensionierte Ordnungshüter ist zäh und steht am nächsten Tag wieder auf der Matte. Mit der Erhabenheit eines Kellners, der einen Château Lafite präsentiert, unterzeichnet er seinen Vertrag. Drei Tage Einzelunterricht mit zwei Lehrern.

Seine treue Frau muss ihm sogar die Skier zum Hausberg schleppen. Mit ihrem knappen Zentner wirkt sie recht fragil. Doch dann überrascht der Klausi seine beiden Lehrer Achim Riedmann und Christoph Margreiter, 36, ein ums andere Mal. Er hat scheinbar Talent, lernt schnell das Bremsen, entwickelt rasch ein Gefühl für die Kurven.

Am zweiten Tag schon ist ihm der Anfängerhügel viel zu flach, am dritten brettert er in alpiner Stellung und unter Adrenalin eine blaue Piste herunter. Des Rätsels Lösung ist einfach. Klaus war in jungen Jahren Eishockeyspieler, hat sich trotz Schlaganfall und Übergewicht eine gewisse Sportlichkeit bewahren können – genau wie das Körpergefühl auf glattem Grund.

„Skifahren lernen ist keine Frage des Alters“, erklärt die in Berlin praktizierende Tiroler Psychologin und Skilehrerin Eva Wallner. „Wer noch einen Fuß vor den anderen setzen kann, schafft es. Das Problem mit zunehmendem Alter ist jedoch eher ein mentales: die Angst vor dem Sturz.“ Genau die gilt es zu überwinden, wissen auch Achim und seine Kollegen, die den demografischen Wandel in Deutschland hautnah in den österreichischen Alpen miterleben. Immer mehr teutonische „Happy Enders“ wollen es nämlich wissen. So werden die Aspiranten auf der einen Seite immer jünger, auf der anderen Seite immer älter. Zwei Jahre alt war der Jüngste in ihrer Skischule, stolze 77 der Älteste.

Müssen sie die Kinder eher bremsen, gilt es bei den Erwachsenen Vertrauen aufzubauen. Zum Gerät, zum Skilehrer, zum Erlernten und nicht zuletzt zu sich selbst. Deshalb wiederholen die Profis die grundlegendsten Übungen wieder und wieder. Wie stehe ich sicher auf den Skiern? Wie kann ich vermeiden, dass ich ungewollt herunterschlittere?

Das Gewicht nach hinten

Und wenn es dann doch passiert, habe ich diese merkwürdige V-Stellung der Skier, den Pflug, schon intus? Mit dem ich meine Geschwindigkeit reduzieren, ja sogar auf abschüssigem Gelände anhalten kann?

Erst wenn diese Übungen richtig sitzen, geht es meist am zweiten Tag vorsichtig in leichten Kurven einen sanften Hang herunter. Dabei tut sich die Generation Plus minus vierzig schwerer als die Generation Minus zehn, hat sie sich doch jahrzehntelang in die Kurve gelegt, beim Fahrradfahren, beim Laufen sogar. Und sich dabei instinktiv geduckt. All das soll jetzt anders sein? Sich gerade stehend nach vorne lehnen und in der Kurve sein Gewicht sogar nach außen verlagern?

Ja, und es ist schwer, aber es geht! Wer das vergisst, wird sich schnell hinlegen, bei den moderaten Geschwindigkeiten, im Schnee und mit Sicherheitsbindungen normalerweise aber auch kein Problem. Ernsthaft verletzt hat sich jedenfalls noch niemand beim Unterricht.

Besser mit Skilehrer

Wer zum ersten Mal auf den Brettern steht, muss vieles neu lernen. Sachen, an die er nie zuvor gedacht hat. Wer es ohne professionelle Anleitung autodidaktisch versucht, wird falsche Techniken erlernen, die später nur recht schwer zu korrigieren sind.

Und ein guter Skilehrer wie Achim lässt es sich nicht nehmen, genau diese Fehler in hollywoodreifer Slapstickmanier zu demonstrieren. So macht der Gruppenunterricht Spaß, Riesenspaß sogar. Dazu der Erholungseffekt durch klare Luft, Sonnenschein und Bewegung. Und das gute Gefühl, nicht der einzige Anfänger zu sein.

„Spätestens am dritten Tag zeigt sich, wer mehr oder auch etwas weniger Talent mitbringt“, erklärt Christoph, „dann teilen wir die Gruppen neu auf. So wird niemand unter- oder überfordert, das ist wichtig für die Stimmung des Einzelnen und die der Gruppe.“ Beim Zusammenstellen und Splitten der Klassen geht es also nicht nach dem Alter. Entscheidend ist, wie sportlich und beweglich der Einzelne ist.

Ein Konzept, das sich in der Tiroler Wildschönau bestens bewährt hat. Mit seinen sanften Hügeln und Bergen eignet sich das Hochtal hervorragend für ungeübte Flachlandmenschen.

„Das Problem mit zunehmendem Alter ist jedoch eher ein mentales“

SKILEHRERIN EVA WALLNER

Hierher kommen die Leute zum Lernen, nicht zum Sehen und Gesehenwerden, wie etwa im höher gelegenen Kitzbühel. Auch sind die Preise bodenständig. Viele buchen einen dreitägigen Kurs. Wer sogar fünf Tage übt, kann es danach garantiert – sagen zumindest die Skischulen.

Die Lehrer verstehen ihr Geschäft, nicht nur fachlich, sondern auch psychologisch. Einfühlsam gehen sie auf die diejenigen zu, bei denen die Kehre wieder und wieder hakt. Jeder bekommt sein Lob, sein persönliches Erfolgserlebnis. Und so banal es klingen mag, es funktioniert. Dazu ist ein Vierziger fast immer hochmotiviert und so dem Team zehnmal lieber als der gelenkigste Teenager, der von den Eltern geschickt wurde und eigentlich null Bock auf Ski hat.

Am vierten und am fünften Tag, wenn die Kurven geschmeidiger werden, man anderen auszuweichen weiß und unten sogar punktgenau zum Stehen kommt, werden die Abfahrten alpiner, ist sogar schon mal eine Schussfahrt drin, sind die Mühen und der Muskelkater der ersten Tage fast vergessen. Aber richtig auf Tour kommen sie erst abends, bei Krautinger-Rübenschnaps, Almdudler-Kräuterlimo und Anton-aus-Tirol-Gassenhauern.

Spaß auch am Abend

Also bei allem, was daheim ziemlich undenkbar wäre. Seit Achim unter der Haube ist, scheidet er meist früher aus, dann hält Christoph eben allein die Stellung. Das wäre okay für ihn, meint Achim, aber die Zeit früher sei auch nicht übel gewesen.

Der Rest der Truppe klingt da weniger wehmütig. Klausi amüsiert sich jedenfalls wie Bolle und will wiederkommen. Auch für die anderen steht fest: Fortsetzung folgt.

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