: Gold, Tod und Zeit
Ein Rundgang durch Thomas Deeckes persönliche Abschieds-Ausstellung „Sammel-Leidenschaften“ im Neuen Museum Weserburg in Bremen
Ein ganzer Raum, vollständig mit Blattgold ausgekleidet. Das dünne Metall hängt in Flocken von Wänden und Decke, kräuselt sich über den Boden, trägt das Licht hinein in den fensterlosen, „toten“ Raum und füllt ihn mit Schimmern, mit sakraler Aura im Wortsinn. Der Künstler James Lee Byars lag einst inmitten all dieses Goldes und bereitete sich mental auf seinen drohenden Krebstod vor. 1997 starb Byars – jetzt vertreten fünf geschliffene Glassteine im Zentrum der Installation seinen Körper. Alle halbe Stunde ist leise seine Stimme zu hören: „Perfect is my death word“. Die Worte kommen von einer – natürlich goldenen – CD.
Gold taucht in der Ausstellung SAMMEL-LEIDENSCHAFTEN an vielen Stellen auf: Vergoldet schwebt Thomas Lehnerers kaum 20 Zentimeter großer „Liebling der Götter“ auf der Spitze eines Stahlrohrs in vier Metern Höhe. Auch Rebecca Horn baute ein Goldkügelchen in ihr Objekt „The Bee Leaf“ ein. Das viele Gold sei „beinahe Zufall“, kokettiert Thomas Deecke, scheidender Direktor des Neuen Museums Weserburg. Dass irgendetwas zufällig sein soll bei seiner Abschiedsausstellung will man ihm nur schwer glauben. Die Zusammenstellung der Künstler und Werke mag subjektiv geprägt sein, durch die ganz persönlichen Vorlieben ihres Kurators – trotzdem (oder gerade deswegen) ist eine sehenswerte Kunstschau herausgekommen.
Unterschiedliche Positionen der Gegenwartskunst stehen sich ergänzend oder kontrastierend gegenüber. Die goldene Pracht ist nur die eine Seite – die andere bilden die subtil-versponnene Zeichnungen eines Carlfriedrich Claus oder die Fotoarbeiten von Jochen Gerz, an denen Deecke schätzt, dass sie Fragen aufwürfen, aber Antworten verweigerten. Der in Deutschland selten ausgestellte niederländische Maler und Bildhauer Armando setzt mit seiner schwarzen „Fahne“ einen großformatigen Akzent in der Malerei, von ähnlich sinnlichem Duktus seine figürliche, aber kopflose Bronze-„Gestalt“.
Anderswo bestimmt das Konzept die Kunst: Die Außenschrift der Weserburg hat Deecke als Beitrag von Lawrence Weiner in die Ausstellung hineingenommen. Deren etwas sperriger Untertitel – „Cusp / Scheitelpunkt (&) so weiter“ – stammt ebenfalls von Weiner und beschwört für den scheidenden Museumsdirektor die erhoffte Kontinuität für das Haus.
„Die Räume der Ausstellung könnten auch Titel tragen“, so Deecke. Einen Raum hat er der „Zeit“ gewidmet, deren Verfließen sich in den Zahlenbildern Roman Opałkas widerspiegelt. Seit 1965 schreibt der Künstler fortlaufende Reihen winziger Ziffern auf Leinwände, in weißer Farbe auf grauen Untergrund. Von Bild zu Bild wird das Grau der Grundierung systematisch aufgehellt. Neue Bilder aus der Serie sind dadurch milder im Kontrast als ältere Arbeiten. Opałka kombiniert jedes seiner Bilder mit einem Foto seines Gesichts vor neutralem Hintergrund. Dadurch sind die Jahre deutlich sichtbar, die zwischen den fünf Zahlenbildern liegen, die in der Weserburg zu sehen sind.
Eine unvollendete Serie hat auch Martin Rosz in Arbeit: Wochen- und Monate lang zeichnet er jeden Tag den gleichen Kopf. Als Vorbild dienen ihm Bildhauerarbeiten der Vergangenheit, etwa ein Detail eines Epitaphs aus dem Bremer Dom. Von Tag zu Tag und Zeichnung zu Zeichnung verändert er ganz leicht die Perspektive. Werden die Blätter aneinander gereiht gezeigt – wie normalerweise in Rosz’ Atelier und jetzt in der Weserburg – entsteht der Effekt einer verlangsamten Bewegung, eines endlosen Films in Zeitlupe.
Gegen die Bewegungen (und Berührungen) des Publikums muss dagegen die Arbeit von Michael Witlatschil abgeschirmt werden. Drei mannshohe Stahlbarren balancieren aufrecht auf winziger Grundfläche, kaum einen Finger breit voneinander entfernt. Das Aufstellen fordert dem Künstler viel Geduld ab – „aber dann stehen die bis in alle Ewigkeit, wenn man sie nicht anfasst“, so Wilatschil. „Und bei einem Erdbeben, da fallen ja auch andere Sachen um.“ Peter König
Eröffnung am 24. April um 12 Uhr. Die Ausstellung ist bis zum 31. Juli zu sehen.
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