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Epitaph des Schweigens 1915 kam es überall in der Türkei zu Vertreibungen und Ermordungen der armenischen Minderheit, diebeschuldigt wurde, zusammen mit der russischen Armee das osmanische Reich erobern zu wollen, Ein absurder Vorwurf. Es war der Anfang eines über zwei Jahre andauernden Völkermordes, bei dem bis zu anderthalb Millionen Westarmenier umgebracht wurden.Das imperiale Berlin, durch seine Botschaft an der Hohen Pforte auf dem Laufenden gehalten, verhielt sich gegenüber seinem Kriegsverbündeten jedoch schweigsam und passiv, wobei wahrscheinlich schon eine einfache Demarche die Türken zum Rückzug veranlasst hätte.Auch bei einer Anfrage im Reichstag durch den Abgeordneten Liebknecht hüllte sich die Regierung in Schweigen.Militärische Verbände, hauptsächlich sogenannte Jungtürken, übernahmen die Durchführung der Operationen mit zentral verordneter Tötungsabsicht.Es entstanden Geisterbahnen des Grauens: nach Norden zum schwarzen Meer, nach Süden bis Aleppo und nach Südosten in die blanke Wüste.Die Armenier wurden ausgeraubt, vertrieben, entwürdigt, sie wurden erschossen, erschlagen, in Flüssen ertränkt, ihre Frauen durchlitten Massenvergewaltigungen oder gerieten in Harems und ihre Kinder wurden als Sklaven verkauft.Ein deutscher Sanitäter bannte alles auf Film, was er sah. Das waren: Pyramiden aus abgehackten Köpfen armenischer Opfer, Haufen abgeschnittener Ringfinger, erbeuteter Reisetaschen und Schuhe.Häufig wurden in der Nähe der killing corners deutsche Offiziere als stumme Beobachter gesichtet.Die Türken konnten sich später immer auf die stille, solidarische Zustimmung der deutschen Regierungen verlassen, wenn es darum ging Opfer zu Tätern und Täter zu Opfern zu machen oder Dokumente als verloren und Zahlen als erfunden zu erklären.Handelte es sich bei diesem Völkermord um eine geheimes deutsch-türkisches venture? Wollte die deutsche Regierung Erfahrungen sammeln, wie man sowas einfädelt und organsisiert, damit die Öffentlichkeit nichts davon erfährt? Wurde in Anatolien der Holocaust der Juden geprobt?Als Hitler nach den Folgen des Holocaust gefragt wurde, sagte er beschwichtigend: „Wer redet heute noch über die Vernichutung der Armenier?“Aber die Geschichte hat diees Gräuel längst eingeholt. Niemand wird sie wieder vergessen können. Selbst das Schweigen der deutschen Regierung endete gestern nach neunzig Jahren im Rahmen von Gedächtnisveranstaltungen. Gestern war der 24. April 2005, ich meine zweitausendfünf.

Jürgen Schimanek

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