: Zwanzig Jahre deutsche EinheitDes Kaisers neue Gleise
Eine Spurensuche im Norden der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze. Heute: Die Kaiserbahn von Berlin nach KielGRENZERFAHRUNGEN (III) Vor 118 Jahren erfand Wilhelm II. höchstselbst eine Bahnstrecke von Hagenow nach Neumünster. Wegen der deutschen Teilung wurde sie weitgehend demontiert und vergessen. Nun glauben manche an eine Wiederbelebung der Kaiserbahn – als Folge einer Brücke über den Fehmarnbelt
Erlebnisbahn Ratzeburg, Im Bahnhof 1b, 23909 Ratzeburg, Tel. 04541 / 802535; Am Bahnhof im Zug, 23911 Schmilau, Tel. 04541 / 898074; www.erlebnisbahn-ratzeburg.de
■ Interessengemeinschaft Eisenbahn Ratzeburg-Zarrentin e.V., Vors.: Detlef Ohlhorn, Plantagenweg 16, 19230 Hagenow, Tel. 0173 / 985 11 15, www.eisenbahn-ratzeburg-zarrentin.de
■ Schaalsee Express Zarrentin e.V., Joachim Gabriel, Amsstr. 19, 19246 Zarrentin, Tel.: 038851 / 32244, www.schaalseeexpress-zarrentin.de
■ Infozentrum Biosphärenreservat Schaalsee, Pahlhuus, Wittenburger Chaussee 13, 19246 Zarrentin, Öffnungszeiten Di.-So. 10-17 Uhr, von November bis März Sa./So. 10-16 Uhr, www.schaalsee.de
■ Ausflugstipp für So., 2. August: Die letzten Fahrten des Schaalseeexpress starten in Hagenow um 11 und 14 Uhr, in Zarrentin um 12.45 und 16.45 Uhr. Kosten einfach 4,50 Euro, Hin/Rückfahrt 8 Euro, Radmitnahme möglich. (smv)
VON SVEN-MICHAEL VEIT
Der Kreis könnte sich schließen. Der Imperialismus des Kaiserreichs, die deutsche Teilung und das vereinte Europa der globalisierten Warenströme – all das ließe sich miteinander verbinden. Ratzeburg und Hollenbek, Zarrentin und Wittenburg wären die Glieder, die Kette wäre die Bahnstrecke, die Wilhelm II. höchstselbst erfand. Die Kaiserbahn, am 15. August 1897 eröffnet, im April 1945 explodiert und während der deutschen Teilung auf beiden Seiten weitgehend demontiert, steht möglicherweise vor einer Renaissance.
Zu neuem Leben erwecken könnte sie die Brücke über den Fehmarnbelt, wenn diese denn gebaut und zusätzlichen Schienengüterverkehr hervorrufen würde. Dann wäre die Kaiserbahn „die kürzeste Verbindung von Lübeck nach Berlin und Südosteuropa“, sagt Detlef Olhorn. Deshalb sei es „einfach eine gute Idee, sie wieder zu beleben“, findet der Vorsitzende der Interessengemeinschaft Eisenbahn Ratzeburg-Zarrentin.
Derartige Planungen gebe es „definitiv nicht“, sagt Dennis Fiedel, Sprecher der schleswig-holsteinischen Landesverkehrsgesellschaft, und auch die Deutsche Bahn erklärt lapidar, dafür „keine Pläne“ zu haben. Allerdings sei es „theoretisch vorstellbar“, räumt Fiedel ein, dass nach Fertigstellung der Fehmarnbelt-Querung dieser Strecke im Südosten Schleswig-Holsteins wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt werde. Olhorn hat daran keinen Zweifel. „Wenn Infrastruktur erst mal da ist, wird sie auch genutzt“, glaubt der 42-Jährige.
So sah das wohl auch Kaiser Wilhelm II., als er geruhte, die Strecke zu erfinden. „Die Welt steht im Zeichen des Verkehrs“, sprachen Seine Majestät 1891 und gaben die direkte Verbindung zwischen der Reichshauptstadt Berlin und dem Reichskriegshafen Kiel in Auftrag. Die bestehenden Strecken über Hamburg und Lübeck waren ihm zu umständlich.
Seine Hoheit habe ein Lineal auf die Landkarte gelegt, so wird überliefert, und einen Strich von Neumünster im Nordwesten nach Hagenow im Südosten gezogen. Nur sechs Jahre später wurde die 123,2 Kilometer lange Verbindung eröffnet und ermöglichte Fahrzeiten von weit unter sechs Stunden zwischen Spree und Förde. Und weil Wilhelm II. mindestens einmal im Jahr, zur Kieler Woche, mit seinem Sonderzug hin und her dampfte, hieß sie im Volksmund rasch die Kaiserbahn.
Doch Räder rollen seit langem nur noch auf dem Teilstück zwischen Neumünster und Bad Oldesloe, wo die Nahverkehrszüge der Nordbahn pendeln. Denn die Kaiserbahn wurde ein Opfer der deutsch-deutschen Teilung. Auf mecklenburgischer Seite liegen die Gleise nur noch östlich von Zarrentin, wobei auf den 27,5 Kilometer bis nach Hagenow Land, wo die Hauptroute zwischen Hamburg und Berlin verläuft, nur noch ab und an museale Schienenbussen fahren, die der Verein Schaalsee Express in Zarrentin betreibt. Am morgigen Sonntag ist die letzte Fahrt: „Das trägt sich nicht“, sagt der Vereinsvorsitzende Joachim Gabriel frustriert, „die Leute hier haben kein Geld mehr übrig für sowas.“
Auf der anderen Seite können Ausflügler von Ratzeburg auf einer Draisinenstrecke bis Hollenbek kurz vor der Grenze strampeln. Ende April 1945 war dort die Strecke in einem Krater verschwunden, der 150 Meter lang, 25 Meter breit und 12 Meter tief gewesen sein soll. Britische Jagdflieger hatten einen deutschen Zug voller Treibstoff und Munition bombardiert. Die Explosion war so heftig, dass Schienen und Teile von Waggons hunderte Meter weit bis ins Dorf flogen, einige blieben in Bäumen hängen. Heute preist der Jugendbahnhof am Ende der Draisinenstrecke als „verrückteste Übernachtungsmöglichkeit“ Schlafplätze im „explodierten Munitionszug hoch oben im Baum“ an.
Inzwischen sei dies „im Sommer eine der meistbefahrenen Strecken in Schleswig-Holstein“, sagt Oliver Victor, dessen Erlebnisbahn Ratzeburg GmbH seit 1998 Draisinen und Jugendherberge auf dem Bahnhof Hollenbek betreibt. Einen „Trassensicherungsvertrag“ musste Victor unterschreiben, als er damals vom Land Schleswig-Holstein die Trasse pachtete. „Ich muss das wie eine Bahnstrecke instand halten.“ Vor ein paar Jahren aber habe er das Gelände gekauft: „Mein Grundstück ist 14 Kilometer lang und acht Meter breit“, grinst Victor, Furcht vor hochfliegenden Streckenbelebungsabsichten hat er nicht. Wenn es die gäbe, „hätte mir das Land das doch nicht verkauft“, sagt er.
Auch Gabriel vom Schaalsee Express glaubt nicht an wirtschaftliche Segnungen einer Brücke über den Fehmarnbelt. Sein Verein lässt es an diesem Wochenende auf dem geschlossenen Bahnhof Zarrentin mit den letzten Fahrten und einem Grillabend „gemütlich ausklingen“, wie er sagt. Und dann soll das alte Backsteingebäude in Eigenarbeit umgebaut werden – zu einem Museumsbahnhof mit Café.
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