piwik no script img

„Ich bringe Menschen zum Parallelswingen“

HALTUNG Beuys’ Künstlerkollege Bazon Brock über seine Kathedralen aus strahlendem Müll, das Verhältnis von Wirken und Werk und den Geisteszustand von Bankbossen

Bazon Brock

■ Der Name: Bazon Phoenix Phlebas Brock wurde am 2. Juni 1936 in Stolp im heutigen Polen geboren und trägt eigentlich die Vornamen Jürgen Johannes Hermann. Sein Lateinlehrer hatte ihn „Bazon“ – griechisch „der Schwätzer“ – genannt, weil er so ausdauernd zu reden vermochte.

■ Der Weg: Brock ist emeritierter Professor am Lehrstuhl für Ästhetik und Kulturvermittlung an der Bergischen Universität Wuppertal. Seit den 60er Jahren ist er „Happening-Artist“, Kunsttheoretiker und „Künstler ohne Werk“.

■ Die Wirkung: Er arbeitete mit Joseph Beuys und erfand mit Friedensreich Hundertwasser das „action teaching“ als Happening-inspiriertes Lehrmittel. Mit seinen um die 2.500 szenischen, filmischen, theatralischen und rhetorischen Inszenierungen will er bei einem möglichst breiten Publikum die ästhetische Wahrnehmung schärfen.

INTERVIEW ALEM GRABOVAC FOTOS WOLFGANG BORRS

Bazon Brock empfängt bei einem Glas Rotwein in einem Berliner Restaurant. Brock ist emeritierter Professor für Ästhetik, Kunsttheoretiker und Künstler. Er hat mit Joseph Beuys gearbeitet und von 1968 bis 1992 die Besucherschulen der documenta in Kassel geleitet. Er ist jetzt 75 Jahre alt.

sonntaz: Herr Brock, Sie haben den Zweiten Weltkrieg als Kind erlebt. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?

Bazon Brock: Ich war knapp neun Jahre alt im März 1945, in der Hauptkampflinie Danzig, Zoppot, Gotenhafen, Hela. Ein typisches Erlebnis: Wir wurden aus dem Bunker rausgeschickt. Soldaten haben uns angewiesen, einige Kisten hinter einer Ruinenmauer entlangzuziehen. Man hat uns gesagt, das sei wichtig für die Verteidigung von Danzig. Die russischen Soldaten haben uns Kindern von der anderen Seite des Ruinenfeldes zugewinkt – Russen, von denen es hieß, sie seien wahre Menschenfresser.

Haben Sie das geglaubt?

Ja, als Kind habe ich das geglaubt. Ich habe den Russen ängstlich zurückgewinkt. Ein deutscher Soldat saß unten an der Mauer. Er hat die Kisten aufgemacht, ich habe eine Panzerfaust in die Hand bekommen und musste dann die Leute, denen ich gerade noch zugewinkt hatte, abschießen. Sie glauben nicht, wie einfach eine Panzerfaust zu hantieren war.

Und haben Sie geschossen?

Ja, sicher. Ich habe auch zwei Panzer erwischt. Ich war ein kräftiger Naturbursche. Sehen Sie, mein Vater hat mich, als ich fünf Jahre alt war, mit dem Motorrad in den Wald gefahren und gesagt: So, nun sieh zu, wie du allein wieder nach Hause kommst. Er wollte, dass ich mich überall zurechtfinde. Ich sollte ja ein deutscher Zukunftsheld werden. Mein Vater leitete die Hermann Brocksche Brotfabrik und wurde gleich nach der Gefangennahme von den Russen exekutiert. Und zwei meiner Geschwister und ein Cousin sind später in einem dänischen Lager verhungert.

Wie haben diese Erfahrungen Sie geprägt?

Wir waren unten, im Bunker – das war wie in der Vorhölle. Man hatte keine Hoheit mehr über seine Person. Man konnte nicht mehr über sich verfügen, weder im Hinblick auf den Hunger, auf das Trinken, auf das Urinieren oder irgendeine Privatsphäre.

Gab es in dieser Vorhölle Personen, die Sie beeindruckt haben?

Ja, das war da auch der Fall. Das habe ich gespürt. Offiziere haben wir grundsätzlich verachtet, weil wir sie als feige Hunde erlebten. Wenn die Russen kamen, waren die Offiziere weg. Nur ein paar Soldaten der untersten Ränge waren zuverlässig. An die haben wir uns gehalten. Aber die Grunderfahrung war, dass wir den Frauen, die gar nicht zum Kämpfen ausgebildet waren, unser aller Leben verdanken. Sie haben uns aufgerichtet und durch den Krieg gebracht. Man erwartet nach solch einer Geschichte nichts mehr von den offiziellen Heldendarstellern und Funktionären. Das sind alles nur Karrieristen und Feiglinge.

Welche Lehren haben Sie aus dieser Erfahrung gezogen?

Zum Beispiel den Willen, sich niemals jemandem anderen zu unterwerfen. Ich habe mein Leben lang nie zu einem Verein oder zu einer Partei gehört. Absolutes Einzelkämpfertum in Verbindung mit anderen Einzelkämpfern. Für mich gilt nur ein Modell: Nur entfaltete Individuen können sozial sein. Die Unterwerfung unter eine Regel oder eine Funktion ist völlig sinnlos, das läuft am Ende immer auf Versklavung hinaus.

Haben Sie deshalb mit Peter Sloterdijk den Studiengang des „professionalisierten Bürgers“ gegründet? An der Kunsthochschule Karlsruhe kann man von Ihnen zum „Diplom-Bürger“ oder „Diplom-Konsumenten“ ausgebildet werden.

Die Menschen heutzutage können diese Erfahrungen ja gar nicht mehr machen, sie werden ja weichgespült. Anstelle von Goebbels-Propaganda haben wir die Waren-Propaganda.

Ist das so?

Sehen Sie, heute Morgen, beim Zeitungslesen, gab es eine Commerzbank-Anzeige mit der Aufschrift: „Wollen Sie hohe Rendite und große Sicherheit?“ Und daneben ein dümmlicher Jüngling, der weniger Zinsen als den Inflationsschwund anpreist und dem Sie es ansehen, dass er diesen ganzen Finanzmarktkrisendreck für sich zu nutzen gedachte. Der Leser spürt, das ist alles Lug und Trug. Das ist bescheuert. Denn diese Karriereökonomen können selber nicht lesen, sind zu blöd, um logisch zwei Sätze zu verbinden oder drei Gedanken frei wiederzugeben.

Wen meinen Sie damit?

Alle bis hinauf zu den Vorstandsvorsitzenden. Sie werden nämlich nur Chef, wenn Sie bereit sind, sich diesem totalen Finanzmarktirrsinn zu unterwerfen. Das sind Funktionäre, ohne historisches Gedächtnis, ohne Philosophie, ohne jede Herzensbildung. Zu den Aufstiegsbedingungen dieser Höchstrangigen gehört der intellektuell beschränkte Horizont und die Bereitschaft, über Leichen zu gehen. Hilmar Kopper, der ehemalige Boss der Deutschen Bank, hat mir 2008 allen Ernstes schriftlich erklärt, dass die Ursache der Krise der Wille der kleinen Sparer sei, hohe Renditen zu erzielen. Da muss man sich doch Sorgen um den Geisteszustand dieses Mannes machen.

Also kritisieren Sie in Karlsruhe und seit ein paar Wochen auch in Ihrer neu gegründeten Berliner „Denkerei“ den Irrglauben der modernen Gesellschaft an eine vermeintlich rationale Ökonomie?

Nicht nur seit ein paar Wochen, Jahrzehntelang ohne zu kapitulieren. Die Menschen haben eine Allmachtswahnidiotie über sich und der Welt zugelassen, die sie unabdingbar in den Ruin, in die Psychiatrie oder den Selbstmord treibt. Aber es gibt ein richtiges Leben gerade wegen der Falschheit und gegen die Falschheit.

Das ist ja die gute alte Aufklärung.

Aber Aufklärung als Ent-Täuschung, als Komplementierung des kühlen, rationalen und faktischen Denkens des Westens. Rational handelt nur, wer die Grenzen seiner Wirkungsmöglichkeit mit Worten und Taten kennt. Das Bestehen auf Rationalität bedeutet also die einsichtsvolle Hinwendung zum Jenseits der Grenzen, zum Irrationalen, das man mit dem Bestehen auf Rationalität erzeugt. Der professionalisierte Bürger muss also lernen, sich gegen die angeblich rationale und faktische Macht des Politischen und Ökonomischen zu behaupten – gerade in Anerkennung seiner Abhängigkeit muss er Autonomie erstreben. Rational handelt also nur der, der einen vernünftigen Gebrauch vom Irrationalen zu machen versteht.

Können Sie das an einem Beispiel konkretisieren?

Wir wollten das Problem der Energieknappheit mit atomarem Strom lösen. Und was kam heraus: Die Entsorgung des Jahrtausende strahlenden Restmülls ist ein viel größeres Problem als die vermeintlich rationale Lösung der Energieknappheit durch Atomkraftwerke.

Das bedeutet?

Auf Erden können Probleme nur durch die Schaffung neuer Probleme gelöst werden. Auch Heilmittel können krank machen: Auf jedem Beipackzettel steht doch: Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie ihren Arzt. Die Folgeprobleme kann man akzeptieren, wenn sie kleiner sind als das Ausgangsproblem. Aber die Interaktion zwischen vielen kleinen Folgeproblemen beherrscht niemand, weil sie zu komplex ist. Bei der Atomenergie sind Folgeprobleme – siehe Harrisburg, Tschernobyl, Fukushima und sogar die kleine Asse – in jedem Fall größer als die zugrunde liegende Energieknappheit, der man durch Einsparung besser begegnete.

„Die Menschen haben eine Allmachtswahnidiotie zugelassen, die sie in den Ruin oder in die Psychiatrie treibt“

Und deswegen wollen Sie in Großstädten für den Atommüll „Kathedralen des strahlenden Mülls“ erbauen.

Hier auf dem Moritzplatz in Berlin wird die erste strahlende Kathedrale der Welt stehen. Seit 1985 habe ich mit Winfried Baumann unter dem Titel „Gott und Müll“ Publikationen und Veranstaltungen angeboten, Baupläne skizziert und Modelle gebaut. Die Religionen bestehen mit ihrem Ewigkeitsanspruch seit ein paar tausend Jahren. Was sind aber diese paar tausend Jahre Orientierung auf die Sicherheit im Gottesglauben angesichts von 50.000 Jahren Halbwertszeit der Bewahrung allen Lebens vor strahlendem Müll? Deshalb sind wir alle in viel höherem Maße auf Ewigkeit und Dauer verpflichtet als jede Kultur der Menschheit zuvor. Der strahlende Müll in den Großstädten neben Moschee, Synagoge und Kathedrale repräsentiert diese Verpflichtung von jedermann auf Ewigkeitsdienst. Statt Wehrdienst gilt es, Ewigkeitsdienst zu leisten. So kann man die Bürger mit der Verantwortung für das eigene menschliche Tun konfrontieren. Schluss mit „anything goes“ und der vermeintlichen Beliebigkeit im Basteln von Wirklichkeitskonzepten.

Die großstädtischen strahlenden Kathedralen als Sichtbarmachung des Allmachtswahns des modernen Menschen?

Wir müssen lernen, anzuerkennen, dass Probleme deshalb wichtig sind, weil man sie nicht lösen kann. Also muss man lernen, mit unlösbaren Problemen sinnvoll umzugehen, statt mit Omnipotenzgebahren als Politiker oder Ökonom zu behaupten, wir könnten mit dem Kopf durch die Wand, wenn wir nur die richtigen Helme bauten.

Und wo ist die Wand in der Finanzkrise?

Die Wand ist der Irrglaube, dass der Markt die menschlichen Angelegenheiten sinnvoll zu ordnen vermag, wenn man nur alle Ordnungsvorschriften aufhebe. Wie viel intelligenter war es, die Götter, den Gott, das Schicksal oder die Naturgewalten für die menschliche Misere verantwortlich zu machen als den Markt beziehungsweise dessen Autoritäten? Dabei gibt es unter den Bedingungen der Millisekundenentscheidung von Computern gar keinen Markt mehr, sondern nur noch Zwangsläufigkeiten.

Was wäre eine Alternative?

Aber das ist doch sehr simpel und von Tausenden Leuten schon gedacht worden. Wirtschaft hängt von der Realgüterproduktion ab. Die Geldwirtschaft ist eine systemische Fiktion, eine Spinnerei eines Clubs von Verrückten. Wenn Sie in der Psychiatrie einen Club beobachten, dann sehen Sie genau die Leute, die sagen, wir machen mit Geld Geld und das ganze System dreht sich nur um Geld und Geldvermehrung. Mit anderen Worten: Geld ist ein Medium und wenn Sie vergessen, dass es ein Medium ist, wird es hinfällig. Die Antwort lautet also: Alle wirtschaftlichen Prozesse werden an die reale Herstellung, Vertrieb, Verkauf und Genuss von Waren gebunden. Die Menschen haben versucht, die Maschine, den Computer, für ihre Gier und Machtgeilheit auszunutzen und die Computer zahlen es ihnen jetzt in Millisekunden heim.

Sympathisieren Sie also mit den Aktivisten der Occupy-Bewegung?

Ja, da sie mit der Besetzung der Institutionen die Zivilisierung der Kulturen erreichen wollen. Man muss die Kultur besetzen, um sie wieder zu zivilisieren, um sie wieder fruchtbar werden zu lassen. Man muss die Institutionen mit anderen Ideen besetzen, anstatt sie in dem tödlichen Leerlauf des Maschinenparks weiter funktionieren zu lassen.

Die Occupy-Bewegung ist wie die arabischen Volksaufstände von den neuen sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter geprägt worden. Sie haben das Internet einmal als „totalitär-faschistisches Weltlager der Zukunft“ bezeichnet. Wie kommen Sie darauf?

Das Netz ist trotz dieser positiven Wirkungen der Gulag unserer Zeit.

Finden Sie?

Alle wissen alles über Sie, Ihre Daten werden lebenslang gespeichert, damit man Sie jederzeit in der Hand hat. Jedes Datum Ihrer Bewegungen, jedes Datum Ihres Austausches mit anderen Menschen, kann jederzeit von Machtinstitutionen kontrolliert und abgezogen werden. Wir werden es noch hinreichend erleben, wie durch so gewonnene Daten, die heute noch unter Terrorabwehr laufen, eines Tages unsere Demokratie aufgehoben wird. Die Erfahrungen mit der Staatssicherheit in der DDR und dem nationalsozialistischen Hitler-Regime lehren uns doch, wie schnell solche Daten missbräuchlich verwendet werden können.

Kommen wir zurück zu Ihrer Person. In Ihrer Biografie bezeichnen Sie sich selbst als „Künstler ohne Werk.“ Was definiert den Künstler?

Das ist die Autorität durch Autorschaft. Es ist nicht die Autorität der Religion, des Vaters, der Nation, der Klasse, des Marktes. Ein Künstler steht allein und beruft sich stets nur auf seine Autorschaft. Er muss zeigen, dass er der Urheber seiner Aussagen ist, und das ist seine einzige Autorität. Jetzt versucht man diese Autorität der Autorschaft erneut durch kulturelle Kontrolle, die semantische Polizei, abzuschaffen – weil Künstler und Wissenschaftler im Fortgang ihrer Arbeit feststellen, dass sie gerade durch Wissen unser Nichtwissen enorm vergrößern. Das scheint der Wirtschaft, der Politik und den religiösen Autoritäten ihre Selbstgewissheit zu vermasseln.

Jetzt wird es komplex.

Das Zunehmen des Nichtwissens infolge von Wissen ist der Fortschritt aller Wissenschaften und Künste. Die Krone der Meisterschaft darf sich aufsetzen, wer wagt, sich auf das Nichtwissen einzulassen, statt sein Wissen zu nutzen, um Macht zu gewinnen.

Und die Gesellschaft kann in diesem Sinne dann vom Künstler die Anerkennung des Nichtwissens erlernen?

Ja, denn das ist das Demokratieprinzip. Wenn Demokratie eine Grundvoraussetzung hat, nämlich die Anerkennung der Gleichheit aller Menschen, dann ist Gleichheit nie die Gleichheit des Vermögens, der Genetik, der Herkunft, des Talents und so weiter, sondern Gleichheit gibt es nur angesichts der ungeheuerlichen Form des Nichtkönnens und des Nichtwissens. In dem Eingeständnis, was wir alle, selbst als Höchstgelehrte, gerade in der Einsicht als Höchstgelehrte, alles nicht können und nicht wissen, sind wir Demokraten. Wir brauchen also bei der Lösung globaler ökologischer und ökonomischer Probleme keine Allmachtsfantasien, sondern eine Sozietät, eine neue Gemeinschaft der Welt, die jenseits von Sprachgemeinschaften, Religionen oder kulturellen Identitäten von denen getragen wird, die wissen, dass sie die unlösbaren Probleme nicht lösen, aber nur gemeinsam mit ihnen umgehen können.

„Das Zunehmen des Nichtwissens infolge von Wissen ist der Fortschritt aller Wissenschaften“

Und wie sieht es nun mit Ihrem persönlichen Werk aus? Haben Sie trotz der documenta, Ihren künstlerischen Happenings mit Beuys und all Ihren Schriften wirklich kein Werk erschaffen?

Ich habe kein markttaugliches Werk, ich habe gewirkt. Und die Frage ist ja, ob ein Werk, ein in sich abgeschlossenes System, wirksam sein kann. Ein Werk ohne Wirkung ist lächerlich. Aber was war denn in unserer Generation der Fall? Polemik, Propaganda, Pädagogik, das war unsere heilige Trinität. Joseph Beuys war für die Pädagogik, Wolf Vostell für die Propaganda und ich für die Polemik zuständig. Wir traten ja immer zu dritt auf. Beuys hatte es leicht, indem er sagte, aber da ist doch mein Werk. Mein Schaffen lag jedoch immer in der Wirkung.

Aber stirbt dann nicht, wie dies einige Kunstkritiker ja auch bei Joseph Beuys behaupten, mit der Person die Bedeutung des künstlerischen Tuns oder Werks?

Für Beuys gilt das nicht. Er wird in die Geschichte als einer der großen Kunstreligionsstifter eingehen. In der Geschichte des Kunstmarkts spielt er kaum eine Rolle, aber in der Geschichte der Kunst als Religion ist er erstrangig. Er ist ein Menschheitsgenius als Stifter einer Kunstreligion.

Und wo sehen Sie sich nach Ihrem Tod mit Ihrem Nichtwerk oder vielleicht doch: Werk?

Es gibt, sagen wir mal, 47 Leute, die bei mir promoviert und habilitiert haben. Die sind alle Professoren geworden. Da denkt man ja, in denen wirkt etwas weiter. Aber Pustekuchen, viele haben mir nicht einmal zu meinem 70. Geburtstag eine Postkarte geschickt. Die werfen mir vor, dass ich Professoren seit der Bertelsmann-Evaluierung als Funktionäre der Profitindustrie bezeichnet habe. Allerdings gibt es da noch den Swing – in diesem Swing von Hörern, Zuhörern, Betrachtern von Aktionen, Tänzern, Musikern, Sprechern liegt meine ganze Wirksamkeit als eine Art Parallelswingen.

Was ist das?

Ich habe ja seit 1965 ungefähr 2.500 Veranstaltungen gemacht, und da kann ich sagen, dass ich mit meinen unmittelbaren Aktionen und nicht mit irgendeinem Werk etwa 20.000 Menschen zum Parallelswingen gebracht habe, und da liegt meine Wirkung.

In einem Berliner Hinterhof hängt eines Ihrer Literaturbleche mit der Aufschrift: „Der Tod muss abgeschafft werden, diese verdammte Schweinerei muss aufhören. Wer ein Wort des Trostes spricht, ist ein Verräter.“ Haben Sie Angst vor dem Tod?

Nein, denn der Tod ist ja nur etwas für Lebende. Aber unter den Lebenden richtet er bekanntlich einen ungeheuerlichen Schaden an. Und als Humanist kritisiere ich diese harte Wahrheit des Todes unter den Lebenden.

Alem Grabovac, 38, sonntaz-Autor, zählt sich im Brock’schen Sinne zur Weltgemeinschaft der Nichtskönnenden und Nichtswissenden

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen