: Nachdenken über die Trainingshosenindustrie
DEMO DANDIES Die beiden Hamburger Klangkünstler und Geräuschinstallateure Felix Kubin und Felix Raeithel fördern im Neuköllner „O-Tannenbaum“ aus unveröffentlichten Home-Recording-Aufnahmen und Proberaumtapes Klangperlen zutage
Es knarzt und knistert, dann setzt ein wabernder Beat ein. Eine schrammelnde Gitarre ist auch zu hören, irgendwo im Hintergrund. Zwei gut gekleidete und gut gelaunte Hamburger haben hinterm DJ-Pult ihren Spaß. Der eine, Felix Kubin, hüpft in seinem weiß gepunkteten schwarzen Hemd bisweilen auf und ab wie ein von der Tarantel gestochener Edelpunk. Dicht gedrängt lauscht die Menge im Neuköllner „O Tannenbaum“ den wunderbar schrottigen bis genial dilettantischen Sounds.
Die beiden unermüdlichen Geräuschkünstler Felix Kubin und Felix Raeithel hatten als „Demo Dandies“ in die Neuköllner Kneipe geladen. Ihr Konzept ist so simpel wie zündend: Sie sammelten Home-Recording- und Proberaum-Aufnahmen ein, schmissen sie wahllos in den Media Player, sampelten hier und da ein bisschen oder sprachen das Motto des Abends über die schrägen Klänge: „Berliner! Hört Demo Dandies!“
Diesem Aufruf konnte sich kaum einer entziehen im verrauchten Gewühl. Wie auch, wenn Hits wie „Babadabada“ von Chrisi Puck oder „Schnellfickerhose“ von Dr. Legasto feat. Itty Minchesta den Raum beschallen. Zu kärglichen Beats sinnierte man hier über die Trainingshosenindustrie im Allgemeinen und Druckknopfverschlüsse im Besonderen. „Die Trefferquote ist schon ziemlich hoch“, freut sich Kubin, der damit beschäftigt ist, weitere CD-Rohlinge und MP3-Sticks von den Gästen entgegenzunehmen. An diesem Abend gibt es der Einfachheit halber nur eine digitale Kollekte – veröffentlicht aber werden die besten Ergebnisse des Abends im altbekannten Demoformat: als Kassette. Die beiden gastgebenden Felixe sind im Kontext experimenteller Musik keine Unbekannten: Raeithel arbeitet als Künstler in Hamburg nach eigenen Angaben an der „Dekontextualisierung von Klangmaterial, dem Einreißen von Harmonieverhältnissen“. Und der Neue-Deutsche-Welle-Avantgardist und Geräuschinstallateur Kubin tüftelt seit den frühen Achtzigern an Sounds herum. Bereits mit zwölf Jahren begann er, mit Synthies und Orgel zu experimentieren. Zu seinen unzähligen Projekten gehörten Gruppen wie Klangkrieg und die Liedertafel Margot Honecker. Und nun also die Demo Dandies.
„Es ist jetzt das zweite Mal, dass wir uns an so einem Abend probieren“, sagt Kubin, „in Hamburg aber war’s schon geil, und heute?“ Der 42-Jährige hält inne, drückt ein, zwei Knöpfe am Laptop. Ein neuer Song beginnt. „Das hier zum Beispiel ist doch super“, sagt er, während er zu den ersten Rhythmen mitwippt. Felix Kubin beim Musizieren oder Auflegen zuzuschauen, lohnt sich immer: Man kann sekündlich beobachten, wie die Klänge ihn einnehmen. Wie er gar nicht anders kann, als dazu rumzuzappeln. Seine Dandies folgen dabei in bester dadaistischer Tradition einer strengen Programmatik. Die wichtigste Prämisse: „Gute Musik entsteht planlos in der Zwischenzeit.“ Der Abend unterstreicht dies. Und weiter: „Ein hässliches Hemd wird auch durch Bügeln nicht schön.“ Kubin zieht lieber gleich ein schickes an. Schließlich: „Wir glauben an die pure, rohe Energie des Anfangs und des Einfalls.“ Pure, rohe Energie: Ja, davon liegt eine Menge im Raum. Selbst der junge Mann mit Oberlippenflaum, Satinschal und eckiger Brille im Sessel gegenüber wippt mit. Ein glückseliges Paul-Breitner-Imitat mäandert durch den Raum. Blauer Dunst liegt in den Strahlen des Beamers, der die Fakten zum nächsten Song an die Wand wirft: Er heißt „Zzz“ und ist von „Das andereselbst“.
„90 Prozent“ des Gespielten sei von den Leuten mitgebracht worden, das habe schon ganz gut funktioniert, sagt Kubin. Unveröffentlichtes Material von bekannten Künstlern wie Jaques Palminger oder Brezel Göring findet sich aber auch dazwischen. Fundstücke sind genauso dabei wie eigenes Material der Gäste. Mit etwas Glück landen sie mit ihren Kellerwerken auf dem Berlin-Tape der Demo Dandies. Den Kassetten-Sampler zum Hamburger Abend gibt es bereits. Er ist auf den Labels der beiden, Gagarin Records und Sozialistischer Plattenbau, erschienen und hat Großes aus dem tiefsten künstlerischen Untergrunds zutage gefördert. Motto des Tapes: „Wir rufen zurück.“
JENS UTHOFF
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