: Viermal Glückstadt und zurück
„A Whiter Shade of Pale“ ist ein Ausstellungsprojekt entlang der Unterelbe. Dabei geht es um junge zeitgenössische Kunst aus skandinavischen Ländern. Und um einen Song, der übrig geblieben ist aus den 1960er Jahren. Wie geht beides zusammen? Eine Erkundung zwischen Harburg und Cuxhaven
von Klaus Irler
Hamburg ist fast überstanden. „Feinkost für Vierbeiner“ heißt einer der letzten Läden vor der Landesgrenze, danach, in Neu Wulmstorf, in Niedersachsen steht da „Outland – Das Familienrestaurant“. Aber eigentlich geht es um einen Müller, der Märchen erzählt. Um einen Raum, der summt, eine Decke, die wegfliegt und sechzehn Jungfrauen, die zur Küste aufbrechen. Darum geht es seit 1967, seit der Procol Harum Song „A Whiter Shade of Pale“ aus dem Nichts auf Platz Eins der britischen Charts auftauchte. Der Song soll das Genre des Classical-Rock begründet haben, auch dank Bach, aus dessen Orchestersuite Nr. 3 man sich damals bedient hat. Allerdings mit psychedelischem Impetus. Vor allem textlich.
We skipped the light fandango
Turned cartwheels cross the floor
I was feeling kind of seasick
The crowd called out for more
Im Bus vorne eine Bayern-Fahne, weil der Fahrer Bayer ist. Dabei fahren wir Richtung Norden, von Hamburg-Harburg aus die Unterelbe entlang. Unterwegs nach „A Whiter Shade of Pale“: So heißt ein Ausstellungsprojekt, das an neun Orten an der Unterelbe durchgeführt wird. Von Hamburg-Harburg bis Cuxhaven stellen neun KünstlerInnen aus Schweden, Finnland, Dänemark oder Island ihre Arbeiten in neun verschiedenen Häusern aus. Junge KünstlerInnen sind es und „A Whiter Shade of Pale“ soll anspielen auf das Licht, das Weiß, die Schatten, das Phantomhafte. An der Unterelbe, in der Provinz. Ein wichtiger Termin für die beteiligten Kunstvereine und Museen: Das Land hat reichlich Geld gegeben. Kuratiert hat jedes Haus für sich und Chef-Kurator ist Stephan Berg, noch Direktor im Kunstverein Hannover, ab kommendem Jahr Chef im Neuen Museum Weserburg in Bremen.
The room was humming harder
As the ceiling flew away
When we called out for another drink
But the waiter brought a tray
A tray – ein Tablett. Nicht ein Drink, sondern ein Tablett voll. Durst und genialer Einsatz der Orgel. In Buxtehude steht nun ein Phallus, sagen die Buxtehuder. Sechzehn Meter hoch, getarnt als Schornstein. Tatsächlich, es ist ein Schornstein, nichts anderes, aber der Künstler hat ihn oben zugemauert. Da steht er jetzt vor der Altstadt-Kulisse von Buxtehude und ist aus dem gleichen Ziegelstein, wie die Häuserchen dahinter. Das macht‘s schwierig: Man kann den Schornstein leicht übersehen, trotz seiner sechzehn Meter – weil er so gut zum Rest von Buxtehude passt. Andererseits ist durchaus offensichtlich, dass der Schornstein da sinnlos rumsteht, alleine, abgekoppelt vom Rest der Welt. Ein rührender Schornstein. Auch, weil er noch sechs Brüder hat, die der schwedische Künstler Jan Svenungsson irgendwo auf der Welt platziert hat: Am Stadtrand von Taejon in Südkorea beispielsweise. Oder in der Mitte des Motala Ström Flusses in Schweden. Oder an einem Waldrand im Münsterland. Jetzt also Buxtehude. The crowd called out for more: Es gab Debatten, aber die Buxtehuder haben beschlossen, dass der Schornstein auch nach Ende des Ausstellungsprojekts stehen bleiben darf.
And so it was later
As the miller told his tale
That her face at first just ghostly
Turned a whiter shade of pale
Stade. Die Hippie-Variante. Funktioniert gut, weil Stade eine Art Freilichtmuseum ist, und wer da mit Hippie kommt, hebt sich ab, vor allem im Stadtmuseum Schwedenspeicher. Rötliche Fließen, rustikales Gebälk, in einem oberen Stockwerk steht ein Wikinger-Schiff-Modell und historisches Gewand hängt in Vitrinen. Unten jetzt: Diskokugeln wie aus den 1970ern als Teile der Installation von Gunilla Klingberg. Außenrum Stoffwände, schwarze Muster auf orangenem Stoff. Genau genommen sind die Diskokugeln dem Dekorationsstil in Kaufhäusern entlehnt und verweisen auf Konsum, wohingegen die Stoffwände auf indische Heilssymbolik verweisen. Es fehlen Räucherstäbchen und Musik und gedämmtes Licht. A Whiter Shade of Pale: Kuschel-Psychedelic, nachdem der Rauchzart-Whiskylikör leer ist. Draußen sagt eine Besucherin: „Stade ist reich. Stade ist das Bayern des Nordens.“
79 Kilometer hinter Hamburg, 11 Celsius laut Busthermometer. Neonrote Plakate an der Straße: „Schweine-Disco“. Wann und wo nicht zu erkennen. Schade. Tanzende Schweine, as the ceiling flew away. Statt dessen am Wegesrand das „Deutsche Zement Museum“. Im Wirtshaus: „Spargel-Platte“. Es regnet und die Windräder stehen still.
You said there is no reason
And the truth is plain to see
But I wander through my playing cards
And would not let it be
Poröse Wände, mit Holz-Fensterläden geschlossene Fenster: Der alten Kornspeicher in Freiburg an der Elbe ist nicht restauriert, also etwas besonders in der Gegend. Aus der Wand kommt eine Überwachungskamera, gerichtet ist sie auf das silbern spiegelnde Labyrinth des Dänen Jeppe Hein. Historisches Griechenland auf zehn mal zehn Metern Grundfläche. Hinter dem Labyrinth dösen Pferde auf der Weide. Eine Ente schreit im Flug. Man hat Angst vor Randale, sagen die örtlichen Kunstvereinsmitglieder. Vor allem zur Schützenfestzeit. Also wird man zusätzlich zur Überwachungskamera Wachposten engagieren, rund um die Uhr.
I‘m one of the sixteen virgins
Who are leaving for the coast
And although my eyes were open
They might just as well be closed
Breite Elbe, drüben ist Schleswig-Holstein. Auf der niedersächsischen Seite hat der Imbiss-Buden-Kneipen-Betreiber seinen Laden „Land‘s End“ getauft – die Vorstufe von „World‘s End“. Nicht Rüberfahren? Aber es geht nicht anders. Vibrierender Boden auf der Fähre, unter Deck Tee für 1,35. Dieser Ort heißt „Wirtschaft“ und nicht „Bistro“: Laminat, Holzstühle, Abfahrtszeiten auf neongelben Din A4 Zetteln, ein Video-Spiel. Auf jedem Tisch ein großer, runder, gläserner Aschenbecher und Tischdeckchen. Unverändert seit 1967, mindestens.
Drüben in Schleswig-Holstein, Anlegstelle Glückstadt: die Empfangscontainer-Kneipe „Happy Town Beach Club“. Wird wichtig als Schutz gegen den schweren Regen. Was wollen wir im Museum, wenn es den „Happy Town Beach Club“ gibt? Wo soll man das Innere von a „Whiter Shade of Pale“ zu Gesicht bekommen, wenn nicht hier? A whiter shade of Pale: Drei, viermal mit der Fähre zwischen „Land‘s End“ und „Happy Town Beach Club“ hin und her, begleitet von großen, runden Aschenbechern aus Glas.
Der Däne Tue Greenfort wird dem nahe kommen in diesem Sommer, als Fahrer des kostenlosen Bus-Shuttles von Glückstadt zu niedersächsischen Ausstellungsorten. Einer seiner Beiträge, zusätzlich zu seinen Arbeiten im Glückstädter Palais für aktuelle Kunst, wo er zum Beispiel ein Aquarium gebaut hat. Greenfort hat mal gelesen, dass Fische auf dem Kopf schwimmen würden, wenn das Licht von unten käme. Das will er nun ausprobieren und hat ein entsprechendes Aquarium gebaut. Oder die Sache mit den Tiden: Greenfort hat eine Leitung gelegt, vom ersten Stock des Palais über die Straße zum nächsten Dach, dann Richtung Fluss. Über die Leitung sollen die Tiden-Kräfte in den Ausstellungsraum übertragen werden und dort eine Kugel bewegen. Kunst aus heimischer Kraft.
And so it was later
As the miller told his tale
That her face at first just ghostly
Turned a whiter shade of pale
Landluft, Kuhstall im Original, geerdet. Man weiß nicht, wo hin, auf den Hof, dann ums Eck, die Postadresse lautet: Bauernreihe 1. Kunstraum Hüll: eine denkmalgeschützte Scheune. Drinnen geht es an einer kleinen Holz-Bar vorbei zur Filmtriologie „Cave“ der Finnin Salla Tykkä. Schwierig: 22 Minuten keine Worte, dafür die Soundtracks von Halloween und Spiel mir das Lied vom Tod zu Bildern, die von Ängsten und Sehnsüchten einer jungen Frau erzählen – her face at first just ghostly. Die Bauernreihe summt. Blass? Eher kühl, unter der Haut.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen