: Der Härteste im Kiez
Der Berliner Rapper Fler spielt mit deutschen Symbolen. Ist er ein Rechtsradikaler? Er selbst sagt dazu: „Damit macht man niemanden schlecht. Damit definiert man sich selbst.“ Ein Porträt
VON TOBIAS RAPP
Vor Fler kann man durchaus Angst bekommen. Er ist groß und gedrungen und entspricht dem Klischeebild desjenigen, der auf Englisch so schön bully genannt wird – auf westdeutschen Schulhöfen der Achtziger hießen sie etwas ungelenk „Klopper“. Vor Fler soll man auch ein wenig Angst bekommen, denn als neuer Star des HipHop-Labels Aggroberlin, das es im vergangenen Jahr mit seinem Rapper Sido zu einigem Erfolg brachte und sich dabei in einen für Außenstehende ziemlich unübersichtlichen Streit mit allen anderen Berliner HipHop-Labels verwickelte, braucht man eine gewisse Lautstärke, möchte man zwischen all den anderen Krawallbrüdern wahrgenommen werden.
„Ab 1. Mai wird zurückgeschossen!“, hieß es dann auch in Frakturlettern in einer Anzeige, mit der das Label im HipHop-Magazin Juice für Flers am 2. Mai erschienenes neues Album „Neue Deutsche Welle“ warb. Zusammen mit Zeilen wie „Schwarz, rot, gold / stolz und hart“ oder „die neue deutsche Welle kommt, man sieht die Fahne am Himmel“, die seine Musik als „Volksmusik“ gegen die Dominanz des „Ami-Rap“ in Stellung bringen (alle Zitate aus dem Stück „Neue Deutsche Welle“), schien die Erzählung einigermaßen klar: Hier wird mit nationalen Symbolen gespielt, vielleicht durchaus um den einen oder anderen national gepolten Jugendlichen mitzunehmen, bestimmt aber, um an der Ecke der Spektakelgesellschaft Tabus zu brechen, wo man in Deutschland eben immer noch die größte Welle machen kann (siehe auch taz vom 25. 4.).
So ist es wahrscheinlich auch. Das streitet Fler im Gespräch gar nicht ab – natürlich habe er vorher gewusst, dass sich Leute provoziert fühlen würden. Ihm gehe es allerdings vor allem darum, deutschsprachigen HipHop als die Neue Deutsche Welle von heute zu definieren, deshalb auch das „Rock Me Amadeus“-Sample, auf dem „Neue Deutsche Welle“ basiert.
Das ist zwar historisch gewagt, tatsächlich lässt gerade die Juice-Anzeige auch andere Lesarten zu. Zum einen ist der „zurückgeschossen“-Satz weniger Hitler-Zitat als geschickte Variation: Am 1. Mai wird in Berlin traditionell schließlich nicht Polen angegriffen, sondern Kreuzberg in Schutt und Asche gelegt. Deshalb zeigt das dazugehörige Bild Fler wohl auch mit einem Molotowcocktail in der Hand, der interessanterweise wiederum mit einer deutschen Fahne angezündet worden ist. Eine Zeichenclusterung, die am Ende eben nur auf eins hinausläuft: Hier will jemand sagen, dass er der Härteste ist.
Und darum geht es Fler. In gebührender Stumpfness das zu tun, was gerade Berliner Rapper am liebsten machen: Allen anderen Rappern zu sagen, dass sie da hingehen sollen, wohin der Pfeffer wächst. Eine für Außenstehende nicht immer einleuchtende kulturelle Praxis, die immer dann besonders befremdlich wirkt, wenn sie im gleißenden Licht der breiten Öffentlichkeit stattfindet, weil eine Subkultur wie HipHop den Sprung in die Charts schafft und zu Pop wird – die Vorbestellungen für Flers Album garantieren bereits jetzt einen Platz in den Top Ten der Verkaufscharts dieser Woche.
Dabei könnte man es nun belassen, wäre in dem Erfolg von Fler nicht noch eine ganz andere Geschichte eingekapselt. Dass Fler diese Wirksamkeit entfalten kann, liegt nämlich auch an einer Angstfigur, die mit HipHop gar nichts zu tun hat und die Fler als erster in Deutschland mit einer solchen Sichtbarkeit verkörpert – das Schreckgespenst des Deutschen, der in einer von Ausländern dominierten Umwelt aufwächst.
Ob es die Spiegel-Reportagen über Neuköllner Schulen sind, an denen man zwischen lauter Migrantenkindern nur noch drei Sprösslinge deutscher Eltern findet, oder die Küchentischgespräche im Kreuzberger oder Schöneberger Alternativmilieu, in denen beschlossen wird, nun, wo die Kinder schulreif seien, doch lieber wegzuziehen: Die deutsche Mehrheitsgesellschaft führt einen regen Diskurs über das, was an ihrem unteren Rand so passiert. Nur die Betroffenen dürften nicht mitreden.
Es ziehen aber eben nicht alle weg. Ein paar deutsche Kinder bleiben eben. Fler ist so einer. Er hat seine Teenagerjahre in verschiedenen Heimen und betreuten Wohngemeinschaften in diversen Berliner Bezirken verbracht. „Wenn du in einem Milieu aufwächst, wo du nur Ausländer um dich drumrum hast, dann ist das ein Thema, dass du dich da behaupten musst“, sagt er. „Damit macht man niemanden schlecht, damit definiert man sich selbst. Bei mir war das so, dass ich viele ausländische Freunde hatte, die irgendwann gesagt haben, ich bin kein Deutscher, weil die meine Art von Deutschen sonst nicht kennen. Deutsche kennen die halt nur so, dass die zurückhaltend sind. Die halten die Klappe, wenn’s Stress gibt. Wenn du in Kreuzberg zur Schule gehst, da sind die Türken und die Araber die Coolen. Als Deutscher kriegst du da Probleme. Und entweder du zeigst den Leuten, dass du dich behaupten kannst, oder du hast ein Problem.“
So gesehen steht Fler tatsächlich für etwas Neues. Will man es in eine politische Geschichte des HipHop eintragen, könnte man sagen: nach „Fremd im eigenen Land“, dem Stück, mit dem Advanced Chemistry in den frühen Neunzigern Sichtbarkeit einklagten, indem sie als Migrantenkinder ihre deutschen Pässe hochhielten, macht Fler nun den nächsten Schritt – er verlangt das Gleiche, bloß als Kind deutscher Eltern. Ohne politisches Bewusstsein zwar, was aber an der Dringlichkeit eines authentischen Bedürfnisses nichts ändert.
Man könnte Flers Spiel mit deutschen Symbolen aber auch als letzte Konsequenz des Lebens in einer multikulturellen Gesellschaft begreifen: Wenn die Ureinwohner auch nur noch eine Community unter anderen sind und jede Community unter ihrer Fahne tanzt, kann es passieren, dass ein Rapper sich den Adler ins Logo holt. Dass das in einem Land, das bis heute Schwierigkeiten damit hat, sich überhaupt als Einwanderungsland zu begreifen, zu einem größeren diskursiven Durcheinander führt, sobald es in den Charts landet, sollte niemanden überraschen.
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