: Meryl spielt Maggie an die Wand
NUMMERNREVUE „Die eiserne Lady“ ist ein Beweis dafür, dass auch in einem misslungenen Film eine Oscar-Leistung stecken kann. Phyllida Lloyd drehte auch „Mamma Mia!“
VON WILFRIED HIPPEN
Der Anfang ist noch vielversprechend: Da betritt eine kleine alte, etwas heruntergekommen wirkende Dame einen Lebensmittelladen, fragt an der Kasse nach dem Preis für die Milch und schüttelt ungläubig den Kopf: „43 pence ?“ Der afro-britische Jugendliche hinter ihr wird ungeduldig und ist kurz davor, sie ein wenig aus dem Weg zu schubsen, aber sie schlurft schon von alleine in ihren Hausschuhen hinaus auf die Straße und zu ihrem Haus, wo sich die Assistentin, das Pflegepersonal und die Bodyguards bereits Sorgen machen und darüber wundern, wie ihnen Maggie Thatcher wieder einmal ausbüxen konnte.
Ein grandioser erster Auftritt sowohl für die Filmfigur, die man an der Körpersprache und am Tonfall sofort erkennen müsste, die aber in diesem fast surrealen Kontext wie Harun al Raschid unerkannt durch die Stadt wandelt. Und auch Meryl Streep hatte nach der Ouvertüre im Grunde schon den Oscar in der Tasche, denn diese gehört zu den Sequenzen, in denen sie so vollständig in der Figur versunken ist, dass von der amerikanischen Schauspielerin kaum noch etwas übrig zu sein scheint. Später kann man besonders in den Augen und am Lächeln Mrs Streep dann doch etwas deutlicher durchscheinen sehen. Dies dürfte auch damit zu tun haben, dass sie in den Rückblenden aus ihrem früheren Leben weniger mit dem ebenfalls oscarprämierten Make-up und mehr mit ihrer eigenen Haut arbeiten musste. Doch am erstaunlichsten ist, wie präzise sie Thatchers Stimme, die ja zu den markantesten des späten 20. Jahrhunderts zählte, nachahmen kann. Schon deshalb ist es völlig witzlos, sich diesen Film in einer synchronisierten Fassung anzusehen.
Denn abgesehen von der Leistung von Meryl Streep lässt sich kaum gutes über „The Iron Lady“ sagen. Meryl Streep und die Regisseurin Phyllida Lloyd hatten vor vier Jahren mit der Verfilmung des Abba-Musicals „Mamma Mia!“ einen großen Erfolg. Und auch hier liefern sie wieder eine Nummernrevue ab, bei der in einzelnen Sequenzen Schlüsselszenen aus der Karriere von Maggie Thatcher inszeniert werden. Ihre Jugend im Kolonialwarenladen des Vaters, ihre Anfänge als idealistische Politikerin, die von den Männern ihrer Partei eher belächelt wurde, ihr Aufstieg zur Premierministerin, der Bombenanschlag auf das Brighton Hotel, die Auseinandersetzungen mit den Gewerkschaften und schließlich der Falklandkrieg – all das wird in Episoden erzählt, die jede für sich kompetent umgesetzt sind, zusammen aber seltsam richtungslos bleiben. Es fehlt ein Fixpunkt, von dem aus diese Figur bewertet wird.
In Großbritannien wird heute noch so verbittert über Maggie Thatcher und ihr Erbe gestritten, dass solch ein vermeintlich unpolitischer Film über sie ein Ärgernis ist. Phyllida Lloyd und der Drehbuchschreiber Abi Morgan haben es sich zu leicht gemacht, indem sie einfach den Konventionen eines gerade im Entstehen begriffenen Genres folgen.Diese intellektuelle Auseinandersetzung mit der Figur und ihrer Politik fehlt hier. Stattdessen werden die Vorbilder als Modell für die Dramaturgie genommen. So gibt es hier, wie inzwischen üblich, eine Rahmenhandlung, in der die Figur sich als alter Mensch am Ende seiner Karriere an die früheren Tage erinnert.
In „Die eiserne Lady“ packt Maggie Thatcher, schon etwas altersverwirrt, doch mit lichten Momenten die Sachen ihres vor Jahren verstorbenen Mannes Dennis zusammen. Sie führt Gespräche mit ihm und Jim Broadbent spielt ihn so kauzig und liebenswert, dass man diese Szenen wegen ihm eine Weile lang gerne ansieht. Doch warum diese Rahmenhandlung? Warum wird gerade von diesem, im Grunde eher banalen Tag aus erzählt? Die inzwischen durchgesetzte dramaturgische Konventionen wird hier nur noch rein mechanisch verwendet und entwickelt kaum noch, wie die Vorbilder, einen eigenen erzählerischen Sog. So plätschert der Film vor sich hin. Maggie Thatcher wird er nicht gerecht, aber schön für Lady Streep.
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