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Und dann knutschten sie

STIMMWUNDER Die US-amerikanischen Tune-Yards mischten mit ihrer Kombination aus Afrobeat und Postpunk den Festsaal Kreuzberg auf

Das Publikum wollte sie nicht gehen lassen. Als Merrill Garbus vom Projekt Tune-Yards bei ihrem Konzert im Festsaal Kreuzberg am Dienstag nach anderthalb Stunden langsam die Songs ausgingen, entfuhr ihr ein halb hilfloses, halb euphorisches „Scheiße“.

Doch dann gab es tatsächlich noch einen Song, und alle waren nicht nur glücklich, sondern auch einigermaßen befriedigt, sodass der kreischende Jubel für den Abend ein letztes Mal aufbrauste.

Merrill Garbus hat eine dieser Stimmen, in denen man eine ganze Reihe anderer großer Sängerinnen zu hören meint und die trotzdem völlig einzigartig klingen. Vergleiche reichen von Aretha Franklin bis zu Janis Joplin und Yoko Ono – man müsste auch die kehlige Rauheit von „Mama Afrika“ Miriam Makeba hinzufügen –, doch erst wenn man sie auf der Bühne erlebt hat, werden diese maximalistischen Referenzgrößen richtig greifbar.

Anders als viele ihrer Indie-Kolleginnen macht sich Garbus wenig aus introspektivem Gepiepse, was nicht heißt, dass es bei ihr keine leisen Töne gibt. Sie nutzt einfach das gesamte dynamische Spektrum ihres Organs und schreckt auch vor explosiver Expressivität nicht zurück. Als sie ihr Publikum mit funkelnden Augen fragte: „Do you wanna live?“, dürfte sie dabei weniger das Leben als direkte Alternative zum Tod im Sinn gehabt haben als eine bestimmte vitale Energie, die wohl nicht jedem in der gleichen Stärke zu Gebote steht wie ihr selbst.

Diese Energie transportiert sich auch in ihren Songs, deren Grundgerüst die von Garbus scheinbar wahllos zusammengetrommelten Schlagzeugloops und ihr reduziertes Ukulelespiel bilden, die erst nach und nach ihre komplexe Struktur erkennen lassen.

Ursprünglich war es ein reines Soloprojekt, Garbus arbeitete ausschließlich mit Aufnahmen von selbst eingespielten Loops. Für ihr zweites Album, „Whokill“, das international auf vielen Bestenlisten für das Jahr 2011 landete, bekam sie Verstärkung durch den Bassisten Nate Brenner und zwei Saxofonisten, die auch mit ihr auf Tour gehen.

Die Melodien der Bläser lassen mal an R&B, mal an Afrobeat denken, während Bass und Ukulele mit stoisch-repetitiven Mustern kontern, die in ihrer Dichte oft an westafrikanische Stile wie Highlife erinnern. Garbus kombiniert diese Elemente dann mit punkstämmiger Lo-Fi-Ästhetik und punktgenau platziertem Ukulele-Geschrabbel zu einem durch und durch idiosynkratischen Gemisch.

Was bei Garbus im Studio schon wunderbar klingt, beginnt im Konzert ein zusätzliches Eigenleben mit ansteckender Wirkung.

Die Songs sind bei ihr keine fixen Gebilde, sondern setzen sich aus Bestandteilen zusammen, die Raum für Improvisation lassen, den die Musiker erfreulicherweise nicht zu Sologedaddel nutzen, sondern in dem sie als kompakte Einheit agieren.

Was auch immer an aggressiver Energie in ihren Stücken verborgen sein mag, im kräftig gefüllten Festsaal übersetzte sie sich in ansteckende Freude: So wurden wiederholt entgrenzt knutschende Paare gesichtet.

TIM CASPAR BOEHME

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