piwik no script img

Zinssenkungen bleiben ausgeschlossen

Die Europäische Zentralbank ignoriert Rufe nach niedrigeren Zinsen zur Konjunkturbelebung und deutet Inflationsgefahren an. Die US-Notenbank erhöht ihren Leitzins sogar. Aber anders als die europäische wächst die US-Wirtschaft auch spürbar

VON NICOLA LIEBERT

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat am Mittwoch erneut beschlossen, den Leitzins in der Eurozone unverändert bei 2 Prozent zu lassen. Damit geht sie ganz andere Wege als die US-Notenbank Fed, die tags zuvor zum achten Mal in Folge den Zinssatz anhob – um einen Viertelprozentpunkt auf 3 Prozent.

Die EZB hatte den Leitzins ab Sommer 2001, als der Wirtschaftsboom einem Abschwung Platz machte, schrittweise von 4,75 auf 2 Prozent gesenkt. Die US-Notenbanker gingen drastischer vor und drückten ihre Zinsen im gleichen Zeitraum auf nur mehr 1 Prozent. Diese großzügige Geldpolitik trug mit dazu bei, dass die US-Konjunktur schnell wieder auf die Beine kam. Jetzt kann die Fed ihr Zinsniveau wieder normalisieren.

Die letzte Zinssenkung im Euroraum fand im Juni 2003 statt. Noch niedrigere Zinsen, hieß es, seien für eine Konjunkturbelebung nicht nötig und würden nur zu inflationären Tendenzen führen. Auch am Mittwoch mahnte EZB-Präsident Jean-Claude Trichet, es sei „im Hinblick auf die Aufwärtsrisiken für die Preisstabilität weiterhin Wachsamkeit geboten“. Das hohe Geldmengenwachstum und das immer teurere Öl stellten mittelfristig ein Risiko dar.

Zugleich behauptete er: „Der ungewöhnlich niedrige Stand der Zinsen wirkt sich auf die Konjunktur im Euroraum merklich stützend aus.“ Dummerweise hat dies bislang keine spürbar positiven Folgen für das Wachstum, wie auch Trichet einräumte. Schuld an der Konjunkturschwäche seien aber das teure Öl und der hohe Eurokurs, nicht eine zu restriktive Geldpolitik.

Andere Wirtschaftsexperten widersprechen dieser Einschätzung. Das reale Zinsniveau dämpfe das Wirtschaftswachstum um 0,2 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr, urteilt etwa der Konjunkturchef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Alfred Steinherr. Das Zinsniveau ist nämlich insbesondere in Deutschland höher, als es auf den ersten Blick scheint, weil hier die Inflationsrate mit 1,5 Prozent im April extrem niedrig ist – europaweit lag sie bei 2,1 Prozent. Real, unter Abzug der Preissteigerung, sind die Zinsen hierzulande also vergleichsweise wenig großzügig. Zu hohe Realzinsen aber schwächen die Nachfrage von Konsumenten und die Investitionsbereitschaft von Unternehmen. Die Rufe nach niedrigeren Zinsen werden daher lauter, vor allem von der deutschen und der italienischen Regierung. Trichet betonte nun aber erneut, eine Zinssenkung sei „derzeit keine Option“.

Die erfolgsverwöhnte Fed sah sich am Dienstag ihrerseits massiver Kritik ausgesetzt – aber nicht wegen ihrer Zinsentscheidung, sondern wegen eines Patzers bei deren Veröffentlichung. In der Presseerklärung fehlte versehentlich der entscheidende Satz, dass „die langfristigen Inflationserwartungen begrenzt bleiben“. Sofort machten sich Inflationsängste breit, der Dow-Jones-Aktienindex brach ein, bis kurz vor Börsenschluss die beruhigende Erklärung nachgeliefert wurde.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen