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Kein Schwarz-Weiß-Denken

Ein möglicher Formulierungsfehler im Gesetzentwurf sorgt für Aufregung um ambulante Zwangsbehandlung für psychisch Kranke. Manche vermuten juristische Trickserei

Der Entwurf des PsychKG soll bald in die Bürgerschaft. Das Gesetz soll Zwangseinweisungen für möglicherweise gewalttätige psychisch Kranke erleichtern. Die Verbände von Psychiatriebetroffenen kritisieren das. Die taz sprach mit dem Bremer Juristen Helmuth Pollähne, der einräumt, dass viele Fragen gut abgewogen werden müssten. „Schwarz-Weiß-Denken hilft nicht weiter.“

taz: Warum ist die ambulante Zwangsbehandlung, eine Behandlung mit Psychopharmaka gegen den Willen des möglicherweise gewalttätigen Kranken, so umstritten? Helmut Pollähne: Jede Zwangsbehandlung – mit allen problematischen Nebenwirkungen – ist brisant. Aber im stationären Bereich sind die Hürden dafür hoch. Immerhin wird ja schon für die Zwangseinweisung geprüft, ob durch den Kranken eine Gefahr vorliegt. Bei einer ambulanten Zwangsbehandlung fürchten viele, dass die Schwelle sinkt, dass es also Leute trifft, die gar nicht so gefährlich sind, als dass man sie einsperren könnte. Weil aber die Möglichkeit lockt, sich Probleme vom Hals zu schaffen – manche fürchten, um Kosten zu senken – macht man eine ambulante Behandlung. Das geht bisher nicht.

Die Senatorin sagt, ambulante Behandlung böte „in größerem Umfang als bisher ein selbstbestimmtes Leben“. Die Frage ist: Ist es nötig, jemanden per Unterbringungsbeschluss in die Psychiatrie einzuweisen, um ihn gleich darauf wieder zu entlassen? Die Psychiatriebetroffenen sind in ihrer Analyse – die ich so nicht nachvollziehe – sehr radikal und fürchten, dass die Pharmaindustrie dahinter steckt, mit Interesse an gesteigertem Absatz. Und möglicherweise hat das auch was mit Kostendämpfung zu tun. Andererseits bliebe die ambulante Behandlung auf wenige Fälle beschränkt, denen man damit die Einweisung ersparen könnte, wäre sie sinnvoll. Die Gefahr ist aber größer, dass es zu einer Ausweitung und Wildwuchs kommt.

Es gibt einen Schlagabtausch zwischen Kriminalpolitischem Arbeitskreis (Kripak), zu dem Sie gehören, und der Gesundheitsbehörde, die sagt, dass das Gesetz ambulante Zwangsbehandlung nicht vorsieht. Das sagt sie. Es steht aber anders im Gesetz. Vielleicht hat die Behörde ja den Überblick verloren, es ist ja schon der vierte Gesetzentwurf. In dem steht aber nach wie vor der schlichte Hinweis auf geltendes Recht, wonach die Unterbringung ausgesetzt und die Behandlung ambulant fortgeführt werden kann. An etwas versteckter Stelle heißt es dann, für den Fall der Aussetzung gelten verschiedene Paragrafen – darunter der § 22. Der aber erlaubt die Zwangsbehandlung. Wie soll man das anders verstehen, als dass Zwangsbehandlung doch ambulant stattfinden kann? Egal, was die Behörde sagt, die Psychiatrieerfahrenen glauben jetzt nichts mehr. Die Vorgeschichte war ja: Erst sollte ambulante Zwangsbehandlung auf Bundesebene eingeführt werden, das ist abgelehnt. Dann sollte sie ins PsychKG. Jetzt wird behauptet, da soll es nicht verankert werden – aber sie steht als eine Möglichkeit da drin. Die Behörde muss doch wissen, was sie tut.

Immerhin sorgt die Debatte dafür, dass das PsychKG Aufmerksamkeit bekommt. Und zwar bundesweit. Fachkreisen beobachten sehr genau, was sich in Bremen tut. Wenn tatsächlich erstmalig für eine ambulante Zwangsbehandlung eine Rechtsgrundlage im PsychKG geschaffen wird, wäre das Neuland. Das kann man nicht abtun nach dem Motto: Bremen, die wissen vielleicht nicht, was sie tun, da gibt es ein paar juristische Tricksereien. Fragen: Eva Rhode

Zum Thema „Ambulante Zwangsbehandlung - präventiver Maßregelvollzug“ gibt es am 11.5. im Bürgerhaus Weserterrassen eine Debatte (19.30 Uhr) mit u.a. Wolfgang Grotheer SPD(MdBB), Helmut Pollähne und Psychiatrieerfahrenen

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