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Bis an die Schmerzgrenze

GRENZVERKEHR Koproduktionen zwischen europäischen Theatern, Dramen schreiben für ein Hotel: Beim F.I.N.D.-Festival an der Schaubühne sieht man durchaus, welche Rolle der Rahmen einer Inszenierung spielt

Lear, Othello und Shylock: der Sterbensalte, der Schwarze, der Jude

VON SIMONE KAEMPF

Welche Erfahrungen werden beim internationalen Austausch von Theaterstoffen und Inszenierungen eigentlich wirklich gewonnen? Wie werden diese Erfahrungen wiederum zu etwas Neuem? Als das Festival Internationale Neue Dramatik (F.I.N.D.) vor elf Jahren zum ersten Mal an der Schaubühne veranstaltet wurde, ging es vor allem ums Ausprobieren ausländischer Stücke in szenischen Lesungen. Es folgten Länderschwerpunkte, die Dramatik aus Asien, Israel oder Nord- und Südamerika präsentierten. Die zwölfte Ausgabe des Festivals konzentriert sich nun auf große Gastspiele. Und die erzählen durchaus, welche entscheidende Rolle es spielt, wo, an welchem Ort und in welchen Rahmen eine Inszenierung entsteht.

Als Thomas Ostermeier im vergangenen Dezember am Moskauer Theater der Nationen mit russischen Schauspielern „Fräulein Julie“ erarbeitete, gingen draußen immer mehr Menschen gegen Putin auf die Straße. Gleichzeitig wurde Hauptdarsteller Jewgenij Mironow, der auch Leiter des Theater der Nationen ist, in Putins Fernsehshow eingeladen. Eine Einladung, die er nicht ausschlagen konnte, weil von oberster Stelle das Geld für die Sanierung des Theaters floss. Ostermeiers Inszenierung, die das F.I.N.D. am Wochen- ende eröffnete, macht Politik zwar in keiner Weise zum Thema, und doch geht es bei der Begegnung zwischen dem Chauffeur Jean und der höheren Tochter Julie um genau solch ein Machtverhältnis, weil Jean schon aus finanziellen Gründen Julies Angebot zum Techtelmechtel gar nicht ausschlagen kann.

Glasklare Schärfe

Auf der Bühne steht ein chromglänzender Küchenblock, im Hintergrund rieselt unablässig Schnee. Es herrscht auf der Bühne eine glasklare Schärfe, die gut die Poren öffnet für das Verlorene und Gefährliche und durchaus an Ostermeiers „Nora“ erinnert. Mit diesem „Fräulein Julie“ packt einen der Regisseur wie schon lange nicht mehr. Die Atmosphäre wirkt wie ein Gleitmittel, das Strindbergs Sozial- und Geschlechterwettkampf in Machtspiele überführt, in denen Pragmatismus, Geldinteressen und echte Gefühle kaum noch voneinander zu trennen sind. Die Textbearbeitung hat das Stück ins Milieu der russischen Superreichen umgeschrieben, Julie ist nun eine Oligarchentochter, die statt eines Vogels in der Voliere einen Schoßhund in ihrer Handtasche trägt. Subtil und präzise entfalten sich die inneren Machtkämpfe, als hätten sich die Ereignisse der Wirklichkeit doch in die Inszenierung eingeschrieben.

Um unterschiedliche Ästhetiken und Handschriften geht es bei dieser F.I.N.D.-Ausgabe, die auch wieder in den Kosmos rund um die Schaubühne schaut. In den vergangenen Jahren wurden etwa ein Küchenstudio und ein Ku’damm-nahes Fitnesscenter als Spielorte genutzt. Dieses Mal haben fünf Dramatiker kurze Szenen geschrieben, die im „Hotel Bogota“ in der Schlüterstraße spielen. In den alten Räumen mit den Holzvertäfelungen, knarzenden Parkettböden und dem blättrigen Charme des Mobiliars scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Eine kleine Spukgeschichte wird inszeniert, in einem der Hotelzimmer wird eine Begegnung von Helmut Newton und der Fotografin Yva nachgestellt. Das Hotel selbst ist schon ein Ereignis, in dem man sich wie in eine andere Welt versetzt fühlt.

Panorama der Außenseiter

Nach dieser kleinen Zeitreise und Ostermeiers konzentriert auf den Punkt gebrachten Inszenierung wirken die „Afrikanischen Erzählungen nach Shakespeare“ des polnischen Regisseurs Krzysztof Warlikowski noch einmal extra ausufernd. Breit ist die Bühne gehalten, gerahmt von einem Stahlgerüst mit Betonwänden und Plexiglasscheiben, die das Geschehen immer wieder raffiniert spiegeln. Über fünfeinhalb Stunden entfaltet sich ist ein Schmerzenspanorama, das die Außenseiterrollen der Shakespeare-Figuren Lear, Othello und Shylock als Ausgangssituation nimmt: der Sterbensalte, der Schwarze, der Jude. Schlüsselszenen wie Lears Verbannung oder Shylocks Prozess wechseln mit Ausschnitten aus Art Spiegelmans Mäuse-Comic.

Das Spiel, in polnischer Sprache mit deutschen Übertiteln, ist körperbetont. Viele der herangezogenen Texte verweisen auf das religiöse und soziale Verhältnis von Körper und Geist. Das alles findet in einem mehr gestylten als anarchisch wirkenden Ambiente statt und doch zielt dieser Abend auf die großen menschlichen Existenzfragen.

Warlikowski geht bis zur Schmerzgrenze, wenn er im dritten Teil Texte des südafrikanischen Schriftstellers J. M. Coetzee dazunimmt, die aufs Altern, aber auch auf allgemeingültige Identitätsfragen verweisen. Die Inszenierung ist eine Koproduktion des Nowy Teatr Warschau mit Theatern in Frankreich, Belgien und Luxemburg, finanziell unterstützt vom EU-Kulturprogramm und anderen Kulturinstituten. Die Idee der europäischen Kulturförderung, dass an mehreren europäischen Theatern etwas entsteht, das eines alleine nicht leisten könnte, hat hier ein beeindruckendes Ergebnis hervorgebracht.

■ F.I.N.D. bis 11. März, „Hotel Bogota“ läuft wieder am 6. März um 21 Uhr, www.schaubuehne.de

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