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„Schweden ist weit entfernt von alltäglicher Gewalt. Berlin auch“

DER KRIMIAUTOR Der schwedische Schriftsteller Jan Arnald alias Arne Dahl ist Teilzeitberliner: Sein zweites Zuhause neben Stockholm ist Neukölln. In Stockholm sei es ihm manchmal einfach etwas zu ruhig zum Schreiben, sagt der Krimiautor. Nach Berlin ziehe es ihn, weil hier „viel über Geschichte zu lernen“ sei: „Wir Schweden kommen nach Berlin, um Europäer zu werden“, sagt Arnald/Dahl

Arne Dahl

■ heißt eigentlich Jan Lennart Arnald. Der 49-jährige Literaturwissenschaftler Arnald arbeitete für die Schwedische Akademie, die den Nobelpreis vergibt, und schrieb hochseriöse Literatur.

■ Der Stockholmer Arnald ist Wahlberliner: In Neukölln hat der Schwede eine Wohnung gefunden, von der aus er Berlin erkundet.

■ Unter seinem Pseudonym Arne Dahl lässt der Schriftsteller seit ein paar Jahren das A-Team in Stockholm Kriminalfälle einer globalisierten Welt aufklären.

■ Gerade erschien sein zehnter Krimi, „Gier“, in deutscher Sprache. Auch das A-Team ist darin europäischer geworden – von einem schwedischen Polizeiteam zu einem von Europol.

■ Dahls Bücher erschienen in über 25 Ländern. In Deutschland hat er bereits über 1,1 Millionen Bücher verkauft.

■ Auch in seinen Büchern spiegelt sich seine Teilzeitheimat Berlin – etwa mit einem Showdown am Holocaustmahnmal in Dahls vorletztem Krimi, „Opferzahl“.

■ Eine mehrteilige Fernsehserie auf der Grundlage seiner Krimis ist bereits abgedreht und soll in diesem Jahr im ZDF gesendet werden. (akw)

INTERVIEW KRISTINA PEZZEI UND ALKE WIERTH FOTOS ANIKA BÜSSEMEIER

taz: Herr Dahl, Sie sind seit einiger Zeit Teilzeitberliner – wird Ihr nächster Krimi hier spielen?

Arne Dahl: Der Showdown meines Buchs „Opferzahl“ spielt bereits in Berlin. Da gibt es eine Actionszene am Holocaustmahnmal. Und in meinem neuen Buch, „Gier“, das jetzt gerade in deutscher Übersetzung herausgekommen ist, gibt es auch viel Berlin. Meine Bücher gehen mehr und mehr in eine europäische, eine internationale Richtung. Wie ich selbst. Ich bin gerade dabei, mich von „sehr schwedisch“ zu „mehr europäisch“ zu entwickeln.

Haben Sie deutsche Krimis gelesen?

Einige, und es gibt ein paar gute. Jan Costin Wagner ist gut.

Aber er schreibt über Finnland! Warum sind skandinavische Krimis so viel besser als deutsche?

Sind sie das wirklich? Ich weiß es nicht. Sie sind sicherlich populärer, international und auch in Deutschland. Es gibt eine spezielle Beziehung zwischen Deutschland und Skandinavien, aus verschiedenen, auch historischen Gründen. Viele Deutsche träumen von Schweden, gerade dann, wenn sie sich aus Europa entfernen wollen: Sie träumen von Ruhe, wenig Verkehr auf den Straßen – das Bullerbü-Syndrom. Da gibt es diesen Blick auf Schweden als Northern Paradise. Und als wir anfingen, Krimis über dieses Paradies zu schreiben, das Paradies in die Luft fliegen zu lassen, war das wohl sehr interessant für die deutschen Leser. Aber wenn wir Schweden nach Europa wollen, wenn wir Europäer werden wollen wie ich selbst derzeit, dann gehen wir nach Berlin, weil es das Zentrum des 20. Jahrhunderts ist. In Berlin zu sein bedeutet, viel über Geschichte zu lernen. Wir waren immer ein neutrales kleines Land im Norden, nicht Teil des Kalten Krieges, niemand hat sich um uns gekümmert.

Sind Sie zum Schreiben nach Berlin gekommen oder um Europäer zu werden?

Von beidem etwas. Ich suche hier nicht nach speziellen Krimisettings. Als ich das erste Mal in meinem Leben nach Berlin kam, Ende der Neunzigerjahre, da kam ich, weil mich die deutsche Romantik so faszinierte: Hölderlin, Friedrich Schlegel. Ich kam, um ein Teil der Geschichte der jüngeren Zeit zu werden.

Aber wenn Sie nach Berlin gekommen sind, weil es für Sie das historische Zentrum Europas darstellt, warum dann ausgerechnet nach Neukölln?

Ich habe zuerst in Charlottenburg gelebt. Das war langweilig, westdeutsch-bourgeois, traditionell – ein bisschen zu schwedisch oder jedenfalls wie bestimmte Teile von Stockholm. Ich wollte mehr Leben! Klar gibt es hier Probleme, dafür war es aber auch viel preiswerter! Und es ist schön hier: Der stillgelegte Flughafen Tempelhof ist einfach ein großartiger Ort. Auch die Hasenheide gefällt mir und meiner Frau sehr gut.

Aus der Perspektive vieler Berliner versammelt die Hasenheide alles, was hier so schiefläuft!

Sie meinen den Dreck, den Drogenhandel? Ja, es werden Drogen verkauft, und das ist sicher nicht gut. Aber die Händler stören ja niemanden. Und es gibt das tolle Freiluftkino.

Stockholm liegt auf Inseln zur Ostsee hin, das Klima ist toll, die Stadt ist freundlich und aufgeräumt. Wie kann es jemandem, der in Stockholm lebt, in Berlin gefallen?

Ich lebe immer noch auch in Stockholm. Und es ist ja gerade interessant, so hin und her zu switchen. Stockholm ist schön, sehr ruhig, sicher, und manchmal habe ich davon einfach die Nase voll und möchte an einem etwas intensiveren Ort sein. Hier ist ein guter Ort, um zu schreiben. Aber mein Zuhause ist nach wie vor Stockholm.

Sehen Sie auch Ähnlichkeiten zwischen Stockholm und Berlin? Gentrifizierung und Segregation hat Stockholm ebenfalls durchgemacht.

Ja. Aber Stockholm besteht wie gesagt aus Inseln. Da gibt es immer Bereiche, die sehr für sich bleiben. Im Zentrum leben überwiegend Schweden, kaum Einwanderer. Alles Problematische passiert in den Vorstädten, am Stadtrand. Dafür ist Berlin zu groß. Hier passiert alles auch in der Stadt.

Wie ist das Image von Berlin in Stockholm?

Berlin ist die große Stadt, die ein bisschen underground ist, ein bisschen obskur – man kommt wegen der Nachtclubs, die jungen Leute finden es cool hier. Und es leben mittlerweile so viele schwedische Künstler und Schriftsteller hier, dass Berlin schon unsere zweite Heimat genannt werden kann. Vor 20 Jahren war das London. Jetzt ist Berlin wichtiger geworden. Das hat etwas mit der Atmosphäre hier zu tun.

Sollten wir stolz darauf sein?

Ich denke, ihr solltet stolz sein. Es hat viel mit Kultur zu tun, es gibt so viel Kultur in Berlin, Museen, Galerien, die Theater – das ist alles sehr großartig.

Diese besondere Atmosphäre – hat die auch etwas damit zu tun, dass Berlin die am wenigsten deutsche Stadt Deutschlands ist?

Die meisten Leute werden sicher von der Internationalität Berlins angezogen. Aber mich interessieren auch die deutsche Kultur, die deutsche Geschichte und das gegenwärtige Leben hier sehr. Schweden entwickelt sich langsam zu so etwas wie einem kleinen Amerika. Wir sind ein kleines Land und haben diesen Einflüssen von Massenkultur nicht viel Widerstand entgegenzusetzen. In Deutschland könnt ihr dem etwas besser widerstehen. Gleichzeitig ist Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges sehr offen, es gibt viele Übersetzungen ausländischer Literatur.

Interessieren Sie sich eigentlich auch für das, was derzeit in der Berliner Politik passiert? Den Koalitionskrimi, den Streit bei den Grünen, den rasanten Rücktritt des Justizsenators?

Ja, ich lese Zeitung, manchmal auch Ihre. Politik ist hier intellektueller als in Schweden.

Wie bitte?

Es gibt in Schweden eine Tradition, schon sehr jung Politiker zu werden und es dann ein Leben lang zu bleiben. Und der Grad der Bildung ist in Deutschland wirklich höher als bei schwedischen Politikern. Bei uns gibt es nur links und rechts, keine weiteren Diskussionen. Niemand ist kulturell interessiert oder liest mal ein Buch oder so.

Aber in Deutschland sind die meisten Politiker doch auch nur an ihrer persönlichen Karriere interessiert.

Das ist interessant: Ihr Deutschen seid immer am kritischsten euch selbst gegenüber.

Die Polizisten in Ihren Romanen sind allerdings sehr intellektuell. Ist die schwedische Polizei wirklich so?

Nein, das ist mein Problem. Das ist vielleicht eher die Art, wie Polizei sein sollte, als wie sie de facto ist. Wenn man zu realistisch ist, wird es langweilig! Aber ich habe Polizisten getroffen, die so sind – es ist also nicht vollkommen unrealistisch. Sie müssen sich mit Themen wie Leben und Tod, falsch und richtig auseinandersetzen. Wenn Sie Realismus in meinen Krimis suchen, finden Sie den eher bei den Beschreibungen der Gesellschaft. Da versuche ich, so realistisch zu sein, wie ich kann.

Wie sind Sie überhaupt Krimiautor geworden? Sie waren vorher Literaturkritiker und haben Romane geschrieben, die mit diesem Genre nichts zu tun hatten.

Genau damals, als ich das erste Mal hier war, um über die Romantik zu forschen, habe ich auch angefangen, Kriminalromane zu schreiben. Ich hatte damals eigentlich eine Unikarriere vor mir. Aber ich wollte immer schreiben. Ich tue das, seit ich 19 bin. Mein erstes Buch, das ich unter meinem richtigen Namen Jan Arnald veröffentlicht habe, war so etwas wie ein experimenteller Roman – nicht wirklich gut, aber okay. Dann habe ich allerdings immer mehr Essays geschrieben, es wurde immer akademischer und schwieriger, und es mussten immer Meisterwerke sein, perfekt. Ich wurde irgendwann müde von dieser Art, zu schreiben. Schreiben hat mit Lust zu tun, und dieses Gefühl hatte ich verloren. Dann habe ich mir überlegt, einen neuen Anfang zu machen. Ich wollte auch für mehr Leute schreiben, über die gegenwärtige Gesellschaft schreiben, darüber, wie sehr Schweden sich verändert hat. Wir haben uns nicht nur Amerika, sondern auch den osteuropäischen Ländern angenähert. Die Europäische Union, auch die hat Schweden natürlich beeinflusst. Unser Land ist wesentlich internationaler geworden, und auch darüber wollte ich schreiben: über die Europäisierung Schwedens. Irgendwie sind daraus Krimis geworden. Und das war sehr unterhaltsam für mich.

Trotzdem schreiben Sie weiterhin unter Pseudonym. Warum eigentlich?

Ich wollte jemand anders sein als dieser literarische Autor Jan Arnald. Ich wollte weg von mir selbst, eine neue Identität, einen neuen Start. Es war eine Wiedergeburt als Autor, und es war gut. Es hat mir die Lust, zu schreiben, wiedergebracht.

Wie und wann ist Ihr zweites Ich aufgeflogen?

Es war ein Rätsel in einer Zeitung. Ich habe eine Lesung auf einer schwedischen Buchmesse gemacht und dort – verkleidet als Arne Dahl – gelesen. Das war Ende der Neunziger, glaube ich. Dort wurde ich fotografiert, und das Foto wurde in der Zeitung neben einem Bild von mir veröffentlicht. So kam es raus.

Ihre Familie wusste Bescheid?

„Wenn ich in der einen Identität einen Schreibkrampf bekomme, wechsle ich einfach in die andere“

Ja, und der Verlag und ein paar enge Freunde.

Haben Sie vielleicht noch mehr Identitäten?

Könnte sein! Ich könnte es auf jeden Fall wieder tun, wenn mich das hier irgendwann auch nervt. Aber ich schreibe ja unter meinem richtigen Namen auch weiter und tue das auch wieder mit Lust. Es ist also ein guter Weg, die Kreativität aufrechtzuerhalten. Es vermeidet Schreibkrämpfe. Wenn ich in der einen Identität einen bekomme, wechsle ich einfach in die andere.

Denken Sie wirklich so? Jetzt bin ich Jan und gehe einkaufen, jetzt bin ich Arne und schreibe einen Krimi?

Ja, genau so. Und: Nein, ich habe kein Identitätsproblem. Es gibt einfach nur zwei Namen: Der eine ist Krimi, der andere alles andere. Aber Arne Dahl ist eher der unterhaltende und aufregende Teil.

Und manchmal sehr brutal.

Manchmal. Aber nur, wenn es für die Geschichte nötig ist. Es geht mir nicht darum, mit Gewalt zu unterhalten. Gewalt ist etwas Extremes. Das muss man fühlen, wenn man es liest. Aber manchmal muss sie sein. Für die Geschichte.

Eine Szene Ihres Buchs „Tiefer Schmerz“ spielt in der U-Bahn. Ein paar Jungs wollen einer Frau das Handy klauen und ahnen nicht, dass sie an eine Profikillerin geraten sind. Das hat schon etwas Amüsantes.

Ja, wenn das Telefon dann in der abgerissenen Hand klingelt. Das ist ein bisschen wüst, das stimmt. Aber es ist wichtig für die Geschichte, weil die Polizei so auf die Spur der Täter kommt. Das Buch handelt von Rache, von Gewalt und davon, dass Gewalt eskaliert, wenn du beginnst, sie zu benutzen. Die Frau wollte ja auf dem Bahnhof eigentlich gar keine Gewalt anwenden.

Viele schwedische Krimis sind voller Gewalt, Mankell etwa. Hat es etwas damit zu tun, dass Schweden so langweilig ist, wie Sie sagten?

Ich habe eine Theorie darüber: Wenn Sie in Ländern leben wie etwa manchen afrikanischen, wo Gewalt sehr nah und präsent, etwas Alltägliches ist, dann sind brutale Krimis nicht interessant. Dann ist Gewalt einfach nur etwas Schreckliches, mit dem man nichts zu tun haben will. Aber wenn Sie mit Gewalt nichts zu tun haben, dann brauchen Sie etwas, das thrilling ist, und Gewalt wird interessant. Gerade weil es kein Teil ihres Lebens ist. Und Schweden ist weit entfernt von alltäglicher Gewalt. Berlin übrigens auch, denke ich. Es gibt wenig Gewalt hier.

Dabei ist doch gerade Neukölln der Teil Berlins, den Menschen in anderen Teilen der Stadt für absolut gefährlich halten. Eine Gegend, in der man sich nachts nicht bewegen kann, ohne Opfer oder Zeuge von Gewalt zu werden.

Ich glaube, das wird etwas übertrieben. Mir ist das Image dieses Stadtteils auch begegnet. Als ich die Wohnung hier fand, sagten mir Leute, dass ich hier absolut nicht hinziehen könne – das sei eine Art Kriegsgebiet, jeder kille jeden. Aber mir ist hier nie etwas passiert. Und es ist ja nicht so, dass wir in einer besonders brutalen Gegend leben wollten. Wir wollten wissen, wie Berlin wirklich ist, und nicht bloß die fein gemachten Stadtteile kennenlernen.

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