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Am Ende fickt der ganze Chor

OPERNPREMIERE Frank Hilbrich hat für die Komische Oper das längst vergessene Stück „Das bronzene Pferd“ von Daniel François Auber und Eugène Scribe neu inszeniert. Leider geht es in einem feuchten Traum unter

An der Komischen Oper ist die Opéra comique zum Ein- schlafen langweilig

VON NIKLAUS HABLÜTZEL

Zwei Pandabären schlafen ganz vorn an der Rampe. Dann fängt das Orchester an zu spielen. Sie wachen auf und kugeln umeinander herum, wie süße Pandabären das so tun. Plötzlich spielt das Orchester einen rasend schnellen Galopp. Das können sie nicht so gut, aber jetzt kommen die Affen. Was machen Affen am liebsten? Ficken. Auch niedlich, aber nicht ganz so süß. Eher wie Menschen, ahnen wir dunkel die Absicht des Regisseurs.

Die Wirren der Commune

Leider wird die düstere Vorahnung, dass es mal wieder ums Ficken geht, über volle zwei Stunden lang düster bestätigt. Im Schlussbild fickt der ganze Chor. Die blau gewandeten Männchen nehmen sich die goldgelb gewandeten Weibchen vor, dann geht das Licht aus und eine Oper zu Ende, die einmal komisch war, am 23. März 1835 etwa, als sie in Paris zum ersten Mal gespielt worden ist und auch danach immer mal wieder, wenn auch fast nur in Frankreich, bis sie auch dort vergessen worden ist.

Komisch im Sinne der in Frankreich klar definierten Gattung der „Opéra comique“, aber auch umgangssprachlich, weil es viel zu lachen gab. An der Komischen Oper in Berlin, die sich jetzt wieder daran erinnert hat, ist sie nicht komisch, sondern nur zum Einschlafen langweilig.

Schuld daran ist auch der Komponist Daniel François Esprit Auber, noch vor der Revolution geboren (1782) und verstorben mitten in den Wirren der Pariser Kommune (1871). In diesem langen, ereignisreichen Leben hat er über 50 Opern geschrieben, meistens nach Texten aus der Schreibmanufaktur von Eugène Scribe. Er war fleißig, aber kein Genie. Seine Melodien kleben kraftlos, ohne Ausdruckskraft und Individualität am immer gleichen harmonischen Schema, das ihnen ihre Intervalle vorschreibt: Tonika, Dominante, Subdominante. Das Tempo ist schnell, die Begleitung simpel, das Orchester blass von Flöten und Klarinetten beherrscht. Man hat eine Nummer gehört und kennt, so scheint es, alle.

Aber die Trivialität der Mittel ist derart überwältigend, dass sie die Frage zumindest aufwirft, ob wir es hier nicht mit einem frühen Beispiel der Popmusik zu tun haben, die sich strikt weigert, irgendetwas anderes als industriell standardisierte Oberflächen zuzulassen. Dass es vollkommen egal ist, wer gerade was singt, wäre dann kein Mangel, sondern Stilprinzip einer Musik, die jedes Gefühl auf das immer gleiche, bedeutungslose Schema reduzieren wollte.

Pandabären und Affen

Aber das steht nur im Konjunktiv. Die Regie von Frank Hilbrich lässt alle Grübeleien über eine möglicherweise neu zu entdeckende Ästhetik eines Musikers aus dem 19. Jahrhundert ins Leere laufen. Hilbrich hat sein Handwerk bei namhaften Regisseuren gelernt und in einem Provinztheater schon mal Wagners kompletten Ring inszeniert, aber an der Aufgabe dieser Ausgrabung ist er gründlich gescheitert. Die Pandabären und die Affen sind sein einziger erwähnenswerter Beitrag zur Deutung des Stücks, das er sonst treuherzig und möglichst bunt kostümiert nacherzählt. Für Texte von Eugène Scribe ist das tödlich, denn es sind keine Dramen, sondern routiniert montierte Versatzstücke komischer Situationen. „Das bronzene Pferd“ spielt in China, dort gibt es einen Mandarin und seine vierte Ehefrau, einen reichen Bauern und seine Tochter, die einen armen Knecht liebt, den Sohn des Kaisers und seine Traumfrau. Nichts passt, die Männer reiten zum Planeten Venus, wo die Frauen herrschen.

Natürlich geht es ums Ficken, aber das ist das Einzige, was daran nicht interessant ist. Es geht nur um die Form, in der darum herum geredet und vor allem gespottet wird. Nur so können wir über uns selbst lachen, und Scribe treibt die Spiegelfechterei sogar zur Pointe fort, dass jeder auf der Stelle versteinert, der die Wahrheit sagt.

Das wäre sehr wohl komisch, hätte sich Hilbrich um eine genaue Zeichnung der Personen bemüht, die natürlich alle nur ihren Stereotypen entsprechen. Ebendeswegen hätte sie auf die Spitze getrieben werden müssen. Stattdessen irren sie wild gestikulierend herum, singen ihre Noten (durchaus ordentlich) und wissen danach wieder nicht, was sie tun sollen. Am schlimmsten ist der Anfang des dritten Aktes, der auf dem Frauenplaneten spielt: Leere Bühne bei Hilbrich, die Choristinnen tragen weiße Gewänder, auf die das lebensgroße Foto eines weiblichen Aktes aufgedruckt ist. Alles ginge, nur das nicht in diesem Stück, das ausschließlich von der Erotik der Verhüllung und Verstellung lebt. In Berlin ist es in einem peinlich verklemmten, feuchten Traum untergegangen.

■ Nächste Vorstellungen: 20. und 26. März

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