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Continental auf der Heuschrecken-Seite

Reifenhersteller präsentierte gestern auf der Hauptversammlung Rekordergebnisse. Gleichzeitig will er Produktion in Niedriglohnländern ausweiten. Für Gewerkschaftler ein gefundenes Fressen. Proteste auch aus Mexiko und den USA

VON KATHARINA KOUFEN

Ein klarer Fall für Müntefering: Der Reifenhersteller Continental präsentierte gestern auf seiner Hauptversamlung in Hannover „neue Spitzenwerte in der 134-jährigen Unternehmensgeschichte“. So sei das Konzernergebnis nach Steuern im vergangenen Jahr um mehr als das Doppelte auf 674 Millionen Euro gestiegen, wie Vorstandschef Manfred Wennemer in seiner Eröffnungsrede verkündete. Der Umsatz legte um 9 Prozent auf gut 12,5 Milliarden Euro zu. Die Aktionäre sollen für 2004 eine Rekorddividende von 52 Cent pro Aktie erhalten.

Für Wennemer sind das alles „eindrucksvolle Fakten“. Ganz anders sehen es die Gewerkschaften. IG Metall und IG Bergbau, Chemie und Energie protestierten vor der Kongresshalle in Hannover dagegen, „dass Conti seine Erträge auf dem Rücken der Belegschaft erwirtschaftet“. Denn: Das Unternehmen kündigte an, weitere Stellen nach Osteueropa zu verlagern. Schon in den vergangenen Jahren wurden immer wieder Arbeitsplätze in Deutschland gestrichen. Dafür expandierte Conti nach Ungarn und Rumänien, wo ein Arbeitnehmer bis zu 90 Prozent weniger kostet als in Hamburg.

Für Jörg Köther ein Beweis, dass SPD-Chef Müntefering mit seiner Kapitalismuskritik richtig liegt: „An seine Worte knüpfen wir an: Man darf sich nicht nur an Renditen orientieren, sondern muss auch an Arbeitsplätze denken.“ Das Unternehmen erziele Superergebnisse, Vorstandsbezüge und Dividende würden erhöht – und Arbeitsplätze in Deutschland abgebaut. Im Übrigen, so sein Kollege Peter Wind von der IG BCE, sei es auch betriebswirtschaftlich „Unsinn“, weitere Teile der Produktion wie geplant nach Ungarn zu verlagern: „Hier haben wir einen Kostenvorteil von 6 Prozent, in Ungarn werden wir erst in sieben bis fünfzehn Jahren schwarze Zahlen schreiben.“

Continental-Chef Wennemer hält dagegen: „Falsche Argumente werden auch durch ständiges Wiederholen nicht richtig.“ In der Reifenproduktion gehe es heute um Aufträge, die in drei Jahren eingingen und dann über mehrere Jahre liefen. Und die Autohersteller erwarteten nun mal Jahr für Jahr Preisnachlässe von 3 bis 5 Prozent. Die Arbeitskraft sei in Deutschland einfach zu teuer, findet der Reifenguru, der langfristig für seine Branche sowieso keine Zukunft in Deutschland sieht. Und seine Angestellten seien leider nicht bereit, ohne Lohnausgleich 40 Stunden pro Woche zu arbeiten.

Dennoch wollte er gestern offenbar im Voraus den Vorwurf entkräften, es mangle ihm an Patriotismus: „Wir haben 2004 mehr als 1,67 Milliarden Euro an Gehältern in Deutschland gezahlt, 240 Millionen Euro in Deutschland investiert, 215 Millionen Euro Ertragssteuern bezahlt und mehr als die Hälfte unseres Bedarfs bei deutschen Firmen gekauft“, so Vorstandschef Wennemer.

Doch nicht nur von deutscher Arbeitnehmerseite schallte dem Vorstand Kritik entgegen. Auch aus den USA und aus Mexiko waren Conti-Angestellte angereist, um gegen die „rücksichtslose Personalpolitik“ zu demonstrieren. So wurden im mexikanischen Werk San Luis Potosí Gewerkschaftler entlassen, weil sie 2003 gegen Lohnkürzungen um mehr als 20 Prozent und gegen die Beschränkung der Arbeitsrechte protestiert hatten. Auch in anderen Niederlassungen in Mexiko ist es in der Vergangenheit zu solchen Verstößen gekommen – für die Konzernleitung in Hannover ein Missverständnis.

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