: Mild und stählern
Besichtigung einer Ära: Noch-Generalmusikdirektor Ingo Metzmacher und Peter Konwitschny präsentieren zum Ende ihrer Zusammenarbeit Mozarts „La Clemenza di Tito“ an der Staatsoper
von Dagmar Penzlin
Zeitenwende hier wie dort. Als Wolfgang Amadeus Mozart 1791 für Leopold II., den neuen böhmischen Herrscher, eine Krönungsoper schrieb, hatten die Revolutionäre in Paris den französischen König längst in arge Bedrängnis gebracht. Der Absolutismus wankte, und in Mozarts vermeintlichem Huldigungsstück La Clemenza di Tito (Die Milde des Titus) – da finden sich auch schon Zeichen einer neuen Epoche. Um sie zu entdecken, muss man genauer hinhören, Ecken und Kanten freilegen. Ganz klar: ein Fall für Hamburgs Noch-Generalmusikdirektor Ingo Metzmacher und seinen Leib-und-Magen-Regisseur Peter Konwitschny.
Bevor der Dirigent zum Ende der Saison die Hansestadt in Richtung Amsterdam verlässt, haben die beiden Mozarts Titus als ihre elfte und letzte gemeinsame Neuproduktion für die Staatsoper untersucht und mit einer Dosis anarchisch-abgründigen Humors behandelt. Inklusive Operation am offenen Herzen.
Konwitschny nimmt Mozarts Titelhelden, den römischen Kaiser Titus, beim Wort. Der singt ziemlich kokett, wenn zum Regieren ein hartes Herz notwendig sei, dann sollten die Götter ihm entweder die Macht nehmen oder ein anderes Herz geben. Während der Arie schneidet der Imperator sein rotes Plüschherz heraus und fällt tot um. Der Inspizient saust nach vorn, ruft den Theaterarzt. Der eilt auf die Bühne, um Titus mal eben ein neues Stahlherz einzusetzen. Und der bringt wiederbelebt seine Arie zu Ende. Er hängt doch an der Macht und genießt sie, mag er sich noch so milde geben.
In Konwitschnys temporeicher, mit Brecht‘schen Verfremdungseffekten gespickter Inszenierung ist das stets gütige, stets verständnisvolle Verhalten von Titus nur eine Fassade. Er tut einiges, was zwar nicht im Textbuch steht, aber durchaus zu Mozarts musikalischen Einfällen passt: Lüstern jagt Titus (Herbert Lippert) Mädchen aus dem Volk hinterher, nötigt seine Untertanen zum Biertrinken. Und mehr noch: Insgeheim bespitzelt der Herrscher seine Umgebung. So belauscht er das Gespräch zwischen Sextus (Yvi Jänicke) und Vitellia (Danielle Halbwachs), als diese einen Mordanschlag auf ihn planen. Rom liegt bald in Schutt und Asche, doch Titus lebt. Quälend lang verhört er Sextus, und Vitellia soll neue Kaiserin werden...
Für seine Krönungsoper La Clemenza di Tito hat Mozart musikalisch starke Charaktere entwickelt. In zwei Schlüsselszenen stellt der Komponist den Sängern einen Solo-Klarinettisten zur Seite. In der Hamburger Neuproduktion geschieht dies im wahrsten Wortsinne: Klarinettist Rupert Wachter betritt als Gevatter Hein die Bühne. Das ist nur konsequent, geht es doch in diesen Arien auf unterschiedliche Weise um den Tod.
So könnte man noch von vielen Regie-Einfällen Konwitschnys erzählen. Auch davon, wie der Regisseur immer wieder augenzwinkernd aus seinen bisherigen zehn Hamburger Inszenierungen zitiert. Eine Ära wird da ganz nebenbei besichtigt. Und schon jetzt ist klar: Dieser Titus zählt sicherlich nicht zu den stärksten Arbeiten von Konwitschny und Metzmacher. An zu vielen Stellen provozieren die beiden einfach um des Provozierens willen. Da wird die Ouvertüre mit irritierenden Späßchen schon nach wenigen Takten unterbrochen oder Sänger legen einen Schuhplattler hin – vor lauter Duett-Seeligkeit. Sehr albern auch: Der Klarinette spielende Tod reicht Vitellia am Ende ihrer gemeinsamen Vermählungsarie ein Bund Möhren als Brautstrauß.
Aber sei‘s drum. Insgesamt gelingt dem Team Konwitschny/Metzmacher – auch dank des hervorragenden Sänger-Ensembles und des frech aufspielenden Staatsorchesters – das Entscheidende: ein neuer Blick auf Mozarts gemeinhin als langweilig und verstaubt geltender Krönungsoper. Wenn das nichts ist.
Weitere Vorstellungen: 14., 17. + 25. Mai, 3., 11. + 15. Juni, 19.30 Uhr Hamburgische Staatsoper
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