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Dem Thrill nach

Schäkern, mixen, produzieren: Ellen Allien ist die erfolgreichste Frau im deutschen Techno-Geschäft. Ein Porträt der rastlosen Plattenauflegerin und Labelchefin von BPitch Control

VON JAN KEDVES

Sie flattert regelrecht durch die Tür. Wehende Haare, schwarzer Kapuzenpulli, schwarzer Minirock: Ellen Allien geht es gut heute. An den Tagen, an denen sie total am Ende ist, wenn sie mal wieder drei Nächte hintereinander aufgelegt hat zum Beispiel, zieht sie sich bunter an. Um von der Blässe abzulenken. Heute, in dem Restaurant in der Alten Schönhauser Straße, strahlt sie auch ohne Tricks. Mit dem Kellner schäkern, einen Espresso und eine Apfelschorle bestellen, dann geht sie auf Sendung.

Ellen Allien ist die derzeit erfolgreichste Frau im deutschen Techno-Geschäft. Sie legt auf, produziert, veröffentlicht – ihre eigenen Platten und die anderer. Jeder DJ-Laden, der etwas auf sich hält, führt ein Fach für BPitch Control, ihr Label. Dass sich Allien, die hastig mit heiserer Stimme redet und manchmal Silben verschluckt, nicht mit Abgesängen auf Techno aufhält, überrascht nicht. Die Love Parade mag Geschichte sein, der Tresor – in dem sie Anfang der Neunziger selbst hinterm Mixer stand – platt gewalzt werden: Vor drei Monaten hat sie die hundertste Veröffentlichung ihres Labels in die Läden gebracht, eine Rückschau namens „Camping“.

Zum ersten Mal in die Disko schlich sich Ellen Fraatz mit acht Jahren, am Rockzipfel ihrer älteren Schwester, in Westberlin. Als Kind habe sie immer Angst vor der Mauer gehabt, erzählt sie, vor dem Kläffen der Wachhunde und den Schüssen. Dass die Mauer irgendwann fiel, lehrte sie: „Alles kann von heute auf morgen anders sein. Du kannst alles bewegen.“ Sie zog nach Ostberlin, wo sie die Menschen „total sozial“ und die Häuser „geil abgefuckt“ fand, aus Fraatz wurde Allien, sie bekam eine eigene Radiosendung auf Kiss FM. Der erste Dämpfer kam 1997, als das E-Werk schloss – für Allien die „Techno-Kirche“ – und ihr erstes Label Braincandy Pleite machte. In eine regelrechte Depression sei sie damals gefallen, habe darüber nachgedacht, etwas anderes anzufangen. Studieren vielleicht. Am Ende gründete sie ein neues Label.

Heute passiert es, dass Radiohead im BPitch-Büro in der Oranienburger Straße, im einzigen noch unsanierten Haus, vorbeischauen, weil sie den den Electronica-Sound von Modeselektor so super finden. Die Tracks des finnischen House-Produzenten Kiki gehören in England zum Pflichtprogramm eines jeden Club-DJs, in Frankreich blickt Allien gerade selbst von den Titelseiten der Musikmagazine. Ihr Terminplan für dieses Jahr ist dicht, im September geht es wieder auf Tour, USA, Japan, sechs Wochen lang. „Nee, die Welt wird mir nicht zu klein“, lacht sie. „Ich sag immer: ‚Ich umarme die Welt!‘“ Letztens in Detroit, mitten in der Betonwüste, habe sie auch wieder erkannt, dass das, was sie tut, wichtig ist. „Detroit ist wirklich Totenstadt, da ist nix! Alles leer!“ Nur der Plattenladen von Underground Resistance, den alten Helden des Detroit-Techno, habe noch geöffnet. „Die Indies bleiben immer übrig am Ende“, ist sie sich sicher. „Ganz Berlin kann verfallen, alle Sonys können sich verpissen, Indie wird immer dableiben!“ Mit diesem Credo arbeitet Allien auch an den eigenen Produktionen. „Berlinette“, ihr letztes Album, verkaufte sich 25.000 Mal, ihr neues Werk „Thrills“ hat sie wieder mit Holger Zilke produziert, der auf BPitch Control als Smash TV veröffentlicht.

„Thrills“ ist ein einziger Techno-Hit, weder zu anbiedernd noch zu zerfahren, der die Tanzfläche mit sattem Bassknarzen, Elektro-Fragmenten und debilen Verzerrungseffekten auf Alliens Sprechgesang in die Zange nimmt. Während sich in der Clubmusik sonst derzeit alle wieder auf das Acid-Blubbern des alten Roland-TB-303-Sythesizers einigen, benutzt Allien ihren Arp 2600, ein noch älteres Analogmonster. Zurück zur Roughness von Suicide habe sie mit „Thrills“ gewollt, erklärt sie, nach all dem digitalen Techno, der ihr irgendwann zu kühl wurde.

Die zweite Apfelschorle ist längst leer getrunken, ihre Finger spielen unaufhörlich mit den Bändeln ihrer Kapuze, Ellen Allien erzählt noch weiter – von ihrem frisch gegründeten Modelabel EAE, das sie mit dem Berliner Designer Markus Stich in Shops in Berlin, Paris und Japan bringen will, von ihrem Freund, einem italienischen Techno-Produzenten, der kürzlich von den Pet Shop Boys als Engineer engagiert wurde. Im Studio in Neapel habe sie die Aufnahmen gehört. „Der totale Wahnsinn, Neil Tennant ist über 50 und singt wie ein Engel!“, sprudelt es aus ihr, in den Augen das Blitzen rastloser Begeisterung. Für Musik, für Menschen, ja, einfach fürs Machen. „Das ist das Leben!“, lacht sie, packt ihren Beutel, flötet dem Kellner ein „Dankeschön!“ zu und wippt mit eiligen Schritten davon. Zur nächsten Aufgabe. Zum nächsten Thrill.

„Thrills“ (BPitch Control/Rough Trade) erscheint am 17. Mai. Record-Release-Party mit Ellen Allien, Jennifer Cardini, Modeselektor u. a., So., 15. Mai, 23 Uhr, Kunstfabrik, Am Flutgraben 3

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