: Worum es eigentlich geht
KRISE Der Philosoph Paul Mattick erklärt, was gerade schiefläuft im Kapitalismus
Die globale Wirtschaftskrise hat – neben sozialen Verwüstungen und Protestbewegungen – auch ein neues publizistisches Genre hervorgebracht: das Krisenbuch. Zu Anfang der Krise wollten alle ein solches Buch haben, und jeder der üblichen Verdächtigen hat eins geschrieben. Nun geht die Krise in ihr fünftes Jahr, und der Markt für Krisenbücher scheint gesättigt. Paul Matticks „Business as Usual“ jedoch macht vieles richtig, was seine Vorgänger vergeigt haben.
Mattick, der in New York Philosophie lehrt, hält seine Analyse zuvörderst von jedem Jargon frei: Er verfällt weder in die rhetorische Pose des alternativen Ökonomieprofessors, noch fährt er eine marxistische Phraseologie auf. Mattick spießt den linken Common Sense dafür auf, marxsche und keynesianische Theorieversatzstücke im falschen Glauben zu vermischen, radikale Kritik und praxisnahe Vorschläge verbinden zu können. Mattick knüpft hier an die Arbeiten seines Vaters, des Rätekommunisten Paul Mattick, an, der mit „Marx und Keynes: Die Grenzen des gemischten Wirtschaftssystems“ 1969 ein Schlüsselwerk undogmatisch-marxistischer Ökonomiekritik vorgelegt hat.
Mattick (Jr.) wirft dem linken Keynesianismus vor, wie der „Neoliberalismus“ an der Annahme festzuhalten, der Kapitalismus funktioniere „eigentlich“ ganz gut, solange er nicht durch äußere Faktoren – das Wetter, die menschliche Psychologie oder wahlweise zu viel oder zu wenig staatliche Regulation – daran gehindert würde. Stattdessen zeigt Mattick, dass der Kapitalismus „systemisch“ begrenzt ist und es weitaus plausibler ist, mit einem Zusammenbruch der kapitalistischen Weltwirtschaft zu rechnen als mit ihrer Gesundung.
Um die interne Schranke des Kapitalismus analytisch in den Griff zu bekommen, rückt Mattick den Profit wieder ins konzeptionelle Zentrum der Kritik. Es geht im Kapitalismus nicht um die Erhöhung eines „Volkseinkommens“ oder um „Wachstum“ – dies seien Mystifikationen –, sondern um Profite. Das wusste nicht nur Marx, sondern auch die „bürgerliche“ Ökonomik vor Keynes, etwa Wesley C. Mitchell.
Ausgehend vom Primat des Profits nimmt Mattick eine ganze Reihe erhellender Umkehrungen des Common Sense vor: Krisen brechen aus, wenn die Profite fallen, und nicht umgekehrt. Die Finanzwirtschaft ist nicht Ursache der Krise, sondern Symptom: Zeichen dafür, dass im produktiven Sektor keine profitablen Investitionen mehr möglich sind. Der „Militärkeynesianismus“ des Kalten Kriegs und der „Börsenkeynesianismus“ der 1990er Jahre haben keine Krisen verhindert, sondern gigantische Staatsverschuldungen erzeugt, die für weitere keynesianische Optionen keine Spielräume mehr lassen.
Matticks Streitschrift verfolgt das Programm rückhaltloser Desillusionierung. Erst am Ende kommt auf leisen Sohlen die Vision einer Alternative daher: Wie wäre es, wenn die Menschen im gegebenen gesellschaftlichen Reichtum das sähen, was er immer auch ist – eine Ansammlung von Dingen, die sie zum Leben brauchen? Was wäre, wenn diese Perspektive zu einer Praxis kollektiver Aneignung führte?
Dass wir in einer Zeit „nach der Linken“ leben, wird zuletzt zu einem Zeichen der Hoffnung: Jetzt müssen „neue Formen organisierter Praxis“ erfunden werden. Die weltweiten Platzbesetzungen des letzten Jahres scheinen Mattick beeindruckt zu haben, ohne dass er die Phänomene sofort einordnen könnte – nicht das Schlechteste, was einem illusionslosen Analytiker widerfahren kann. Wenn es also noch ein Krisenbuch sein darf – hier ist es.PATRICK EIDEN-OFFE
■ Paul Mattick: „Business as Usual. Krise und Scheitern des Kapitalismus“. Aus dem Englischen von Felix Kurz. Edition Nautilus, Hamburg 2012, 160 S., 12,90 Euro
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