: Schröders Chance
Der Kanzler braucht für 2006 dringend neue Köpfe in seinem Kabinett. Und er müsste seine Politik ändern – darauf hoffen die SPD-Linken
VON HANNES KOCHUND ULRIKE WINKELMANN
Mensch, das tut gut. Dieser riesengroße Mund voller Zähne. Und die Frau dahinter – intellektuell unschlagbar. Verbreitet Bombenstimmung. Dankbar-verschmitzt blinzelt SPD-Chef Franz Müntefering zur Ex-Präsidentschaftskandidatin Gesine Schwan hinüber.
Die lacht und beklatscht am Donnerstag nicht nur Münteferings jüngste Programmrede – heute ohne Heuschreckenkritik. Die Schwan ist überhaupt ein Geist- und Hoffnungsquell. Könnte man die nicht in die raue Regierungspolitik schieben – zum Beispiel als Bildungsministerin? Das sähe doch gut aus.
Manche sagen, wenn Rot-Grün die Wahl in Nordrhein-Westfalen morgen wie erwartet verliere, riefe dies auf Bundesebene einen Trotz- und Verzweiflungseffekt hervor, der die Wähler zur Bundestagswahl 2006 den Rot-Grünen wieder in die Arme triebe. Diese Trotz- und Verzweiflungsbehauptung zeigt jedoch nur, wie groß die Patsche ist, in der die Bundesregierung am Montag sitzen dürfte.
Schröder hat dann drei Optionen. Er kann eine andere Politik machen. Er kann seine jetzige Politik weitermachen, nur besser. Er kann beides mit neuen Gesichtern in der Regierung verbinden.
Die SPD muss mit Bildung und Innovation auftrumpfen – was läge da näher als „Schwan statt Bulmahn“? Nur hängt Gesine Schwan ja bislang so sehr an ihrer Universität Viadrina. Abwarten. Olaf Scholz statt Otto Schily? Irgendwann muss der Innenminister schließlich in den Ruhestand – aber Scholz hat schon als Generalsekretär keinen überzeugt.
Das aktuellste Personalgerücht jedoch ist, dass Schröder einen Ex-Ministerpräsidenten Peer Steinbrück ins Kabinett holen möchte. Finanzminister Hans Eichel gilt als Spar- und Muffelminister ohnehin als gescheitert. Nur wäre dann die Niederlage in Nordrhein-Westfalen von der Person Steinbrück zu entkoppeln – aber wie, ohne dass dann die Schuld für den Untergang bei Schröder landet? Dazu müsste man streuen, es sei Münteferings Kapitalismusdebatte gewesen, die den unbescholten wirtschaftstreuen Pragmatiker Steinbrück geschwächt habe.
Ein Steinbrück wäre – neben Wolfgang Clement – das Gesicht zum Thema „Weiter so“. Den Widerspruch zwischen linker Rhetorik und rechter Politik kann das Kabinett ohnehin keinen Tag länger aufrechterhalten. Außerdem kommt Schröder nicht von seinem Agenda-2010-Kurs herunter. Wie sollte er auch? Er hat seine Kanzlerexistenz fest mit Steuererleichterungen für die Wirtschaft und Senkung der Lohnnebenkosten durch Sozialkürzungen verbunden.
Dabei geholfen hat ihm eine De-facto-große-Koalition mit der Union im Bundesrat, die er nun für jedes Gesetz mehr braucht denn je. Will Schröder sich treu bleiben, muss er getreu seiner Regierungserklärung vom März die Körperschaftsteuersätze senken und die Erbschaftsteuer nach unten drehen.
Eine Reform der ausblutenden Pflegeversicherung ist mit der Union auch als Teilprivatisierung denkbar. Das Gegenmodell, eine Bürgerversicherung in der Pflege – als Muster für die Gesundheit – ginge nur über Merkels Leiche und hat im Kanzleramt noch keinen Freund gefunden, heißt es. Eine Kampagne 2006 mit dem Gerechtigkeitsversprechen der Gesundheits-Bürgerversicherung jedoch ist unglaubwürdig, wenn die Pflege nicht verbürgerversichert wird.
Deshalb wollen die Linken in der SPD den Widerspruch zwischen linker Rhetorik und Agenda 2010 in die andere Richtung auflösen: Kurswechsel. Noch am Wahlabend um 18.05 Uhr werde die Parteilinke sich „mit Wucht zu Wort zu melden“, sagt Präsidiumsmitglied Andrea Nahles.
„Mehrere Leute von mehreren Seiten“ würden dann fragen, ob Schröders Wirtschaftspolitik „erfolgreich war oder nicht“ – und dann Forderungen stellen. Bundesrat hin oder her. Ein Investitionsprogramm von 20 Milliarden Euro, das dem Mittelstand zugute kommt und die Nachfrage stärkt. Oder eine Milderung der Hartz-IV-Gesetze. Die gerade in Schleswig-Holstein gescheiterte Gemeinschaftsschule nicht zu vergessen.
Einen Achtungserfolg können die Linken möglicherweise nächste Woche verbuchen. „Bei der Senkung der Körperschaftsteuer wird es schwierig“, heißt es in der SPD-Bundestagsfraktion. Soll heißen: Die Reduzierung von 25 auf 19 Prozent bei den Gewinnsteuern für Konzerne wackelt. Peinlich für Schröder, denn das ist der zentrale Baustein des Jobgipfels vom März. Aber vielleicht zu verschmerzen. Man könnte diesen Punkt auch der Unions-Blockade anlasten.
Setzen die Linken sich mit alldem durch, hieße das rot-grüne Wahlkampfversprechen für 2006: Schröder stoppen. Klingt unwahrscheinlich.
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