piwik no script img

Streit um Geschichtsbild: Meinungsäußerung per Faust

POTSDAM Der Konflikt um die Gedenkstätte im ehemaligen KGB-Gefängnis eskaliert

Leistikowstraße 1, Nauener Vorstadt in Potsdam: Dort sperrte die sowjetische Spionageabwehr über Jahrzehnte Untersuchungshäftlinge ein. Wie mit diesem Kapitel der Geschichte umgegangen werden soll, darüber gibt es seit Jahren Streit. Die Streitparteien: ein Verein, in dem sich Zeitzeugen engagieren, und die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, die in dem Gebäude eine neue Dauerausstellung konzipiert. Am vergangenen Freitag erreichte die Auseinandersetzung eine neue Stufe der Eskalation: Laut Stiftung griff ein Mitglied des Vereins die Leiterin der Gedenkstätte Ines Reich während eines Gesprächs körperlich an und bedrohte sie mit dem Tod. Reich erstattete Strafanzeige. Der Sprecher der zuständigen Polizeidirektion konnte am Dienstag auf taz-Anfrage nichts zu dem Fall sagen.

„Das Kuratorium verurteilt diese Gewalt auf das Schärfste“, sagte der Staatssekretär im Brandenburgischen Kulturministerium Martin Gorholt, zugleich Vorsitzender des Stiftungskuratoriums. „Geschichtsdebatten dürfen nicht mit persönlicher Polemik oder mit Fäusten ausgetragen werden“, sagte auch der Stiftungsdirektor Günter Morsch.

„Verbaler Ausraster“

Der Vorsitzende des Gedenkstättenvereins, Richard Buchner, hingegen spricht von einem „einmaligen verbalen Ausraster und einer Rempelei“. Er bedaure das, man dürfe die Sache aber nicht überbewerten. Es handele sich schließlich um einen alten Mann, Jahrgang 1928, der von Alpträumen verfolgt werde, weil er seine Haftzeit im sowjetischen Arbeitslager Workuta bis heute nicht überwunden hat.

Schon länger fühlen sich Buchner und seine Mitstreiter nicht ausreichend in die Erinnerungsarbeit einbezogen. Seit drei Jahren hätten sie kaum Veranstaltungen in der Gedenkstätte abhalten können. Der Sprecher der Stiftung, Horst Seferens, entgegnet, dass der Veranstaltungsraum wegen Umbaus nicht zur Verfügung stand. Die neue Ausstellung wird am 18. April eröffnet – womöglich ohne den Verein. Die Stiftung sieht nach dem jüngsten Vorfall „die Zusammenarbeit mit dem Gedenkstättenverein grundsätzlich infrage gestellt“. SEBASTIAN ERB

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen