Kommentar von Daniel Bax zum vermeintlichen Pogrom von Amsterdam: Viele Medien haben ein Zerrbild der Vorfälle gezeichnet. Sie sollten ihre Fehler aufarbeiten
Langsam lichtet sich der Nebel um das angebliche Pogrom von Amsterdam. Immer klarer wird, dass viele Medien einseitig berichtet, Falschbehauptungen verbreitet und damit ein Zerrbild gezeichnet haben.
Vergangenen Freitag tauchten in den sozialen Medien verstörende Bilder aus Amsterdam auf. Handyvideo-Aufnahmen zeigten verängstigte junge Männer, die von Männern mit arabischem Akzent bedroht, drangsaliert und misshandelt wurden. Junge Täter auf Mopeds hätten israelische Fans in der Nacht verfolgt, geschlagen und getreten, berichtete die Polizei später.
Israels Regierung dramatisierte die Übergriffe sofort. Staatspräsident Isaac Herzog sprach von einem „Pogrom“, und Premierminister Benjamin Netanjahu kündigte an, Sonderflüge in die Niederlande zu schicken, um seine Landsleute auszufliegen. Israelische Stellen verbreiteten Gerüchte über angebliche Vermisste, und pro-israelische Influencer schlossen sich dieser Panikmache an. Inzwischen liegt ein Bericht der Stadt Amsterdam, der Justiz und der Polizei vor, der die Ereignisse rund um das Fußballspiel minutiös beschreibt. Demnach wurden 62 Menschen verhaftet, darunter 10 Israelis. 5 Menschen wurden für einige Stunden im Krankenhaus behandelt, 20 bis 30 leicht verletzt. Für ein Pogrom ist das eine eher glimpfliche Bilanz.
Nichts rechtfertigt die Gewalt gegen israelische Fußballfans. Und die verstörenden Bilder und Berichte über antisemitische „Hetzjagden“ beunruhigen nicht nur Jüdinnen und Juden. Doch das kriminelle Verhalten israelischer Hooligans deswegen als „übliche Fanscharmützel“ abzutun, ist falsch. Bereits vor dem Spiel hatten sie in der Innenstadt Menschen angegriffen. Hunderte sangen freudig, dass es „keine Schulen und keine Kinder in Gaza mehr“ gebe oder grölten „Fuck the Arabs!“, doch das blieb ungestraft. Im Stadion störten sie – wohl aus Unmut über Spaniens linke Regierung – eine Schweigeminute für die Opfer der Flutkatastrophe von Valencia. Nach dem Spiel bewaffneten sie sich mit Eisenstangen und Latten, warfen Steine auf Taxis und wurden deshalb von der Polizei eingekesselt. Doch kein Politiker hat ihre Gewalt verurteilt. Von der einseitigen Panikmache profitieren rechte Kräfte. Für Israels in Teilen rechtsradikale Regierung war es eine willkommene Gelegenheit, sich als Beschützer ihrer Bürger zu inszenieren und zu suggerieren, nur sie allein könne für die Sicherheit von Juden in aller Welt sorgen. Die in Teilen ebenfalls rechtsradikale Regierung der Niederlande nutzt es nun, um erneut mit dem Finger auf Muslime und Migranten zu zeigen und mehr Härte zu verlangen.
Wie schnell Politik und Medien eine völlig einseitige Erzählung übernahmen, lässt für die kommenden Jahre mit Donald Trump in den USA nichts Gutes erwarten. Denn Aufgabe von Journalisten ist nicht nur, empörte Aussagen von Politikern wiederzugeben. Sondern Behauptungen und Fakten sorgfältig zu überprüfen. Darin haben sie versagt. Ihre Fehler sollten sie selbstkritisch aufarbeiten.
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