: Die Revolution auf der Leinwand
TAHIR Im Bremer City 46 findet in dieser Woche das erste Filmfestival „Ägypten und der Arabische Frühling“ statt. Vier der gezeigten Filme sind deutsche Erstaufführungen
VON WILFRIED HIPPEN
„Im Herzen der Revolte“ lautet der deutsche Titel der Dokumentation „Syrien Undercover“ von Sofia Amara, und er passt im doppelten Sinne. Zum einen ist die französische Journalistin mit ihrer Digitalkamera so nah an die Aufständischen in Syrien gekommen wie wohl sonst kaum ein Berichtender, zum anderen wird aber auch ihr Film selber Teil der Revolte, denn jene, die es ihr gestatten, sie aufzunehmen, wissen genau um die Gefahr dieser Bilder und um ihre Wirkung. So halten desertierte Offiziere der syrischen Armee ihre Ausweise vor die Kamera, bevor sie erzählen, was sie dazu bewog, sich freiwillig in solche Gefahr zu begeben.
Ein paar Tage nach den Aufnahmen ist dann auch einer der Gefilmten getötet worden und die anderen sind in den Untergrund gegangen. Bei jeder Aufnahme des Films konnte es eine Entscheidung über Leben und Tod sein, ob die Gesprächspartner oder Teilnehmer an einer Demonstration durch Pixel anonymisiert wurden oder sich offen erkenntlich zum Widerstand gegen das System bekannten. Zum Teil ist die 52 Minuten lange Reportage kaum erträglich, denn sie zeigt Aufnahmen von Folterwunden, die geschundenen Leichen von Verhafteten, Soldaten, die auf friedliche Demonstranten schießen und in den Straßen Graffiti mit Drohungen wie „Wenn ihr das noch mal macht, rotten wir euch aus“ hinterlassen.
Diese Innensicht der syrischen Revolution wurde im letzten Jahr gedreht und dass die Verhältnisse in Syrien sich in der Zeit seitdem für die Aufständischen eher verschlimmert haben, zeigt, wie hoch der Preis für eine Revolution im Arabischen Frühling sein kann, und wie ungewiss ihr Ausgang.
Auch wenn die politischen Zustände dort auch heute noch alles andere als friedlich sind, hat in Ägypten eine erfolgreiche Revolution stattgefunden. Und auch hierfür gibt es einen filmischen Beleg, dessen reine Existenz im Grund aussagekräftiger ist als seine Aussage oder gar ästhetische Qualität. In „Tahir 2011 – The Good, The Bad and The Politician“ haben drei junge Regisseure die Umwälzungen mit ihren Kameras begleitet.
Nur im Arabischen Frühling ist solch ein Filmprojekt überhaupt möglich geworden, und neben dem Porträt von drei Aktivisten („die Guten“), Gesprächen mit Polizisten, die ihre Gewalttaten rechtfertigen („die Bösen“), ist es vor allem der letzten Teil, in dem („der Politiker“) Husni Mubarak selber aufs Korn genommen wird. Im Stil eines ironischen Selbsthilfeprogramms mit dem Titel „Wie werde ich ein Diktator in zehn Schritten“ wird mit scharfem Witz und analytischer Genauigkeit das gerade fallende ägyptische Herrschaftssystem obduziert. Solche politischen Satiren gehören in westlichen Ländern zum Standardprogramm, in Ägypten ist es dagegen ein Zeichen der neu erkämpften Freiheit. Die erst Diktatoren-Regel lautet dabei übrigens „Färbe dein Haar!“
Dies sind zwei von zehn Filmen, die in Ägypten, Syrien und dem Jemen in den Jahren 2008 bis 2012 gedreht wurden und in Bremen von Karl-Heinz Schmid sowie dem in Bremen lebenden Ägypter Mohamed Salem zusammengestellt wurden. Dessen Initiative sowie gute Kontakte zu Filmmachern in der Region machen dieses außergewöhnlich aktuelle und politisch relevante Filmfestival möglich.
Das Bremer Kommunalkino muss sparen und dennoch wurde ein erstaunlich vielseitiges Programm mit vier deutschen Erstaufführungen zusammengestellt. Dies wäre vor ein paar Jahren so noch nicht möglich gewesen, aber durch die digitale Projektion wurde auch der Transport von Filmen (die nicht mehr auf Rollen, sondern als Disketten oder Festplatten verschickt werden) viel unkomplizierter und billiger.
So werden neben den beiden oben beschriebenen Dokumentationen auch Spielfilme gezeigt, darunter in „Der Reisende“ auch der letzte Auftritt von Omar Sharif. In dem Drama zieht ein Mann die Bilanz seines Lebens und erkennt, dass es darin nur drei bedeutende Tage gab. „Heliopolis“ ist ein eher anspruchsvoller Kunstfilm. Im Laufe einer Nacht begleitet er sechs Personen, die versuchen, ihre Träume zu verwirklichen und am Morgen die Vergeblichkeit ihrer Anstrengungen erkennen.
„The Reluctant Revolutionary“ von Sean McAllister wurde schon auf der diesjährigen Berlinale gezeigt. Darin gerät der Filmemacher zusammen mit seinem Fremdenführer zufällig in den Aufstand im Jemen und zeigt, wie aus diesem Reiseveranstalter der „zögerliche“ Widerstandskämpfer des Titels wird. Andreas Fanizadeh schrieb in der taz, der Film „dokumentiert das große Pathos und zugleich die große Gelassenheit und Souveränität der Reformbewegung und Sana’a.“
Wie anachronistisch Mubaraks Herrschaftssystem auf viele junge Ägypter wirkte, wird in „Microphone“ verdeutlicht, die den jungen Khaled porträtiert, der nach einem USA-Aufenthalt in seine Heimatstadt Alexandra zurückkehrt und dort zusammen mit dem Zuschauer, die subkulturelle Szene mit HipHop- Künstlern, Graffitis, Skateboardern und einer Rocksängerin entdeckt.
Ähnlich modern leben auch die Titelheldinnen in dem Spielfilm „Zwei Frauen aus Ägypten“ von Mohamed Amin, der davon erzählt, wie zwei ledige, erfolgreiche und selbstbewusste Frauen versuchen, Ehemänner zu finden und dabei auf sexistische Vorurteile stoßen. Dieser Film über die Emanzipationsversuche junger Frauen wurde übrigens in arabischen Ländern wie Kuwait von der Zensur verboten – auch das ist einer der Widersprüche des arabischen Frühlings.
Das Festival läuft bis Sonntag im City 46, Birkenstraße 1, Bremen. Weitere Informationen unter www.city46.de
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