kritisch gesehen: Wahre Liebe tötet nicht
Im Jungen Theater Bremen proben Romeo und Julia sanft den Aufstand. Auch die Konvention, am Ende sterben zu müssen, lässt Regisseurin Yeşim Nela Keim Schaub sie in ihrer „Soft Rebellion“ beiseite fegen
Romeo und Julia leiden unter den Erwartungen ihrer Familien. Darunter, dass ihre Namen sie zu Feinden machen: „Du wärst auch du, wenn du anders hießest“, sagt sie zu ihm. Romeos Idee für einen neuen Namen: Liebster. Also ein Name, der nicht über die Familien, sondern über die Beziehung zueinander definiert ist.
„Soft Rebellion“ heißt Yeşim Nela Keim Schaubs Fassung des alten Stoffs. Es ist bereits das zweite Stück, das sie fürs Junge Theater Bremen inszeniert. Ihre erste Arbeit, „Eddy (oder ein anderer)“, derzeit für den Theaterpreis Faust nominiert, handelte vom queeren Aufwachsen auf dem Lande. In „Soft Rebellion“ geht es um äußere Zwänge und die Suche nach Identität, um die Liebe als sanften Widerstand.
Allein im Akt des Umbenennens erfüllt sich diese softe Rebellion indes noch nicht: Romeo zählt zwar auf, welche negative Assoziationen die Buchstaben seines Namens in ihm auslösen. R wie Rache, O wie Ohnmacht, M wie Misstrauen, aber eben auch E wie Erlebnisse und Erfahrungen. Aburvan Pio Susiananthan ist neu im Moks-Ensemble und feiert als Romeo sein Bremen-Debüt: Leidenschaftlich und verspielt porträtiert er einen jungen Mann, der darunter leidet, dass sein Name seinem Wunsch entgegensteht, die zu lieben, die er lieben möchte. Für Julia ist es hingegen komplizierter und weniger verspielt. Ihr Name bedeutet für sie: „Freiheit, aber nur so viel, wie gewünscht.“ Jorid Lukaczik spielt sie als eine Person, die an den auferlegten Regeln fast zerbricht und deswegen rebelliert.
In der Mitte der Bühne erhebt sich ein Berg aus großen grauen Platten. Zwei von ihnen hat Anka Bernstetter durch einen breiten Riss getrennt, den vor allem die Hauptfiguren immer wieder überwinden müssen. Links und rechts stehen ein Keyboard, ein E-Schlagzeug und ein Bass.
Musikalisch wird das Stück von Johannes Rieder begleitet, der ab und zu die ernsten Texte der Figuren mit trockenen Kommentaren auflockert. Das ist durchaus gelungen und führt zu Lachern im Publikum. Einen ähnlichen Effekt hat es, wenn die Schauspieler*innen mit den Zuschauer*innen interagieren. Beistand für ihre Rebellion suchen sie auch bei den anderen Figuren des Stücks. So überzeugt Romeo seinen von Frederik Gora mit viel Witz gespielten Cousin Benvolio. Er beginnt, sich selbst Gedanken über die Liebe zu machen. Sein Monolog endet in einer eindrücklichen Sologesangsperformance.
Schauspiel „Soft Rebellion“, Theater Bremen, Kleines Haus, wieder am 29. und 30. 10. sowie 16. 11., jeweils um 19.30 Uhr, am 30.10. um 10.30 Uhr
Die härtere Nuss muss Julia knacken. Tybalt, den Nadine Geyersbach streng und energisch gibt, tritt als Vertreter der herrschenden Ordnung auf. Für ihn ist alles in zwei Lager aufgeteilt. Dank Julias Kritik erkennt aber schließlich auch er, dass die Welt komplexer ist als das. Am Ende scheint die Rebellion zu gelingen. Die Tragödie bleibt aus. Niemand muss sterben und die Liebe hat allen den Tag gerettet. Das mag kitschig klingen, macht den schweren Stoff aber auch erträglicher. Lukas Scharffenberger
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