Wie der Nahe Osten auf die USA blickt: Für Trump oder Harris braucht es einen größeren Schuh
Der irakische Journalist Muntazer al-Zaidi warf 2008 seinen Schuh auf den damaligen US-Präsidenten George W. Bush. Zu den US-Wahlen hat er eine klare Meinung.
Bush druckte sich damals gekonnt weg, und witzelte anschließend, dass das wohl Schuhgröße 10 gewesen sei. Doch der legendäre Schuhwurf gab dem jungen Iraker in der arabischen Welt Kultstatus. Bei Demonstrationen gegen die US-Besatzung des Irak hielten auch die Menschen in Kairo Schuhe in die Luft. Sogar ein Bronze-Schuhdenkmal wurde ihm im Irak errichtet. Schuhwurf-Computerspiele wurden konzipiert und erfreuten sich vor allem in der arabischen Welt großer Beliebtheit. Der türkische Schuhhersteller der geworfenen Mokassins konnte sich vor neuen Aufträgen kaum retten.
Heute, fast 16 Jahre später, sitzt der fast 45-jährige al-Zaidi an einem Cafétisch in Beirut, wo er zwischenzeitlich neben seinem Hauptwohnsitz in Bagdad lebt, und zündet sich eine Zigarette nach der anderen an. Sein legendärer Wurf sei eine Botschaft gewesen, sagt er. „Die Besatzer haben Milliarden ausgegeben, um damals das Image zu verbreiten, dass die Iraker über die US-Invasion glücklich seien. Glücklich, mit der Freiheit, die sie uns gestiftet haben. Das war eine Lüge“, blickt er zurück und beginnt zu lächeln: „Aber dann gab es diesen kurzen Moment, wo ein kleiner, junger irakischer Journalist, dieses Image in nur zehn Sekunden zerstört hat“, fasst er den kurzen Augenblick zusammen, in dem er berühmt wurde.
Muntazer al-Zaidi
Sie sagten, die US-Soldaten seien im Irak zur Begrüßung mit Blumen beworfen worden – also, sagt er, habe er Schuhe geworfen, in seiner Kultur ein Symbol der Entwürdigung. Er habe sich damals extra alte, zerschlissene angezogen, erinnert er sich. Innerhalb von Sekunden hatten ihn die irakischen Sicherheitsleute auf der Pressekonferenz niedergerungen. Al-Zaidi wurde verhaftet, gefoltert und verbrachte am Ende weniger als ein Jahr im Gefängnis.
Zu den US-Wahlen und den Präsidentschaftskandidaten Kamala Harris oder Donald Trump und deren Nahostpolitik hat er eine ziemlich eindeutige Meinung: „Diese Wahlen und die Option, entweder für die Demokraten oder die Republikaner zu stimmen, das erinnert mich an meine Zeit in der Gefangenschaft im Irak“, beginnt er. „Sie fragten mich, willst du heute mit einem Knüppel geschlagen oder mit einem Elektrokabel gefoltert werden. Ich hatte also die Wahl zwischen gebrochenen Knochen oder der Folter mit Elektroschocks.“
Was die Position von Harris oder Trump gegenüber dem Krieg im Gazastreifen und im Libanon angeht, sind beide für ihn. Das ist für viele Araber wie die Wahl zwischen Pest und Cholera. Harris steht für die Fortsetzung der Politik Joe Bidens und eine US-Regierung, die die israelische Offensive im Gazastreifen mit Waffenlieferungen im Wert von 19,9 Milliarden Dollar befeuert. In Trumps Amtszeit wurde die US-Botschaft nach Jerusalem verlegt und die israelische Annexion der Golanhöhen von Washington anerkannt, während Trumps Schwiegersohn Jared Kushner Gaza zu einem gigantischen Immobilienprojekt machen wollte.
Al-Zaidis Wohnung liegt im Süden Beiruts, wegen der ständigen israelischen Angriffe auf Hisbollah-Institutionen eine Geisterstadt. Er zeigt Videos, wie er durch die fast leeren Gassen dort spaziert und dafür sorgt, dass die Katzen auf der Straße trotzdem etwas zu Fressen haben.
Lag sein Augenmerk vor 16 Jahren auf der US-Besatzung des Irak, liegt es heute auf der US-Unterstützung für Israels Offensive im Gazastreifen und Libanon. „Nur weil die US-Politik das befürwortet, soll die ganze Welt das tun? Sie sollen Ja zum Töten von Menschen, zu ihrer Vertreibung sagen? Nur weil die USA das alles unterstützt und Israel das ausführt, ist das in Ordnung, wird das als normal wahrgenommen?“, fragt er.
Empfohlener externer Inhalt
Das Mindeste sei, damit aufzuhören, bei Menschenrechten mit zweierlei Maß zu messen, fordert er – der sich selbst trotz seines Schuhwurfs nicht als antiamerikanisch bezeichnen würde. Wenn Menschen in der Region demonstrierten und „Tod Amerika“ riefen, was meinten sie damit genau: „Wer soll sterben, die Politik oder die Menschen?“, fragt er. Und antwortet: „Was sterben muss, das ist die US-Dominanz in dieser Welt, statt Zerstörung zu verbreiten, sollten die USA Wissenschaft und ihre Werte teilen.“ Dann drückt er eine weitere Zigarette aus.
Eines ist für al-Zaidi klar: Er bereut auch 16 Jahren nach seiner aufsehenerregenden Tat nichts. Hätte er die Gelegenheit, sagt er, er würde seine Schuhe noch einmal werfen – egal ob auf Harris oder auf Trump.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Experten kritisieren Christian Lindner
„Dieser Vorschlag ist ein ungedeckter Scheck“
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Soziologe über Stadt-Land-Gegensatz
„Die ländlichen Räume sind nicht abgehängt“
Regierungskrise der Ampel
Schmeißt Lindner hin oder Scholz ihn raus?
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke