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Joe Biden in DeutschlandEin US-Präsident auf Arbeitsbesuch

Der US-amerikanische Präsident ist in Berlin gelandet. Bei dem Blitz-Besuch geht es vor allem um die Ukraine und Nahost – und um die Geste.

US-Präsident Joe Biden bei seiner Ankunft auf dem Flughafen Foto: Ben Curtis/ap

Berlin dpa | Gut drei Monate vor dem Ende seiner Amtszeit ist US-Präsident Joe Biden zu seinem ersten bilateralen Besuch in Deutschland eingetroffen. Seine Regierungsmaschine Air Force One landete am späten Abend in der Hauptstadt, wo heute unter anderem Treffen mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Kanzler Olaf Scholz geplant sind.

Der 81-Jährige hatte ursprünglich schon eine Woche zuvor nach Berlin reisen wollen, den Trip aber kurzfristig abgesagt – wegen eines Hurrikans, der zu der Zeit auf die Südostküste der USA zusteuerte. Nun holt Biden seinen Besuch in deutlich abgespeckter Form nach, mit einem kurzen Arbeitsbesuch anstelle eines Staatsbesuches. Mit der Tötung des Hamas-Chefs Jahia Sinwar rückt das Thema Nahost bei den Gesprächen dabei weiter nach oben.

Eine bedeutsame Entwicklung im Gaza-Krieg

Kurz vor Bidens Ankunft in Berlin verkündete Israel, das eigene Militär habe Hamas-Anführer Sinwar getötet. Biden, seine Stellvertreterin Kamala Harris und sein Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan werteten das umgehend als echte Chance auf ein Ende des Gaza-Krieges und auf eine Freilassung der restlichen Geiseln aus den Händen der Hamas. Denn Sinwar sei ein wesentliches Hindernis für einen Deal gewesen, argumentierten sie. Ob der Optimismus angebracht ist, muss sich zeigen.

Die USA waren in den vergangenen Monaten maßgeblich in die indirekten Gespräche zwischen Israel und Hamas eingebunden – bislang mit wenig Erfolg. Sullivan betonte aber, Sinwars Tod sei nun eine bedeutsame Entwicklung, die eine Chance auf echte Bewegung berge. Ziel der USA und ihrer Partner ist es nicht nur, den Konflikt zwischen Israel und der Hamas zu beenden, sondern auch zu verhindern, dass Israels Konflikte mit der Hisbollah und dem Iran in einen verheerenden Flächenbrand ausarten. Auch darum geht es bei den Gesprächen in Berlin.

Eine Geste in beide Richtungen

Für Biden ist die Stippvisite in erster Linie ein Abschiedstrip. Im Januar scheidet der Demokrat aus dem Amt. Dass er nach fast vier Jahren, in denen er bis auf den G7-Gipfel 2022 im bayerischen Elmau einen Bogen um Deutschland machte und der Bundesregierung keinen Solo-Besuch widmete, nun doch noch nach Berlin reist, ist eine Geste.

„Er wollte seine Amtszeit nicht verstreichen lassen, ohne die Hauptstadt eines unserer wichtigsten Partner und Verbündeten zu besuchen“, sagte Bidens Berater Sullivan auf dem Flug nach Berlin. Deutschland sei ein wichtiger Verbündeter in der Nato, bei den G7 und bei der Unterstützung der Ukraine. Scholz half dem US-Präsidenten zuletzt auch mit der politisch durchaus heiklen Freilassung des Tiergartenmörders dabei, einen großen Gefangenenaustausch mit Russland auf die Beine zu stellen.

Aber auch Scholz und Steinmeier wollen Biden in besonderer Weise würdigen. Steinmeier wird dem Demokraten die „Sonderstufe des Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik“ verleihen – die höchste Auszeichnung, die Deutschland zu vergeben hat. Von den 14 US-Präsidenten, die seit Bestehen der Bundesrepublik regiert haben, wurde bisher sonst nur George Bush senior damit geehrt. Für Biden, der nach einer jahrzehntelangen Karriere und nach einem abrupten Ende im Weißen Haus an seinem politischen Vermächtnis arbeitet, ist das eine Zierde in seiner Bilanz.

Nach den chaotischen Regierungsjahren des Republikaners Donald Trump hatte er einige Schäden im transatlantischen Verhältnis zu reparieren. Und das Zusammentrommeln westlicher Partner zur Unterstützung der Ukraine stand in den vergangenen Jahren im Zentrum seiner Außenpolitik. Biden ist so etwas wie der Lieblingsstaatschef von Scholz. Der Kanzler hat sich gerade in der Ukraine-Politik sehr an Biden orientiert – während er mit seinem wichtigsten europäischen Verbündeten Emmanuel Macron nie so richtig warm geworden ist.

Was wird aus Selenskyjs „Siegesplan“?

Macron ist am Freitag in Berlin auch dabei, genauso wie der britische Premierminister Keir Starmer. Gemeinsam werden die vier wichtigsten Nato-Länder nach einem Einzelgespräch zwischen Biden und Scholz darüber beraten, was sie mit dem „Siegesplan“ des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj anfangen wollen.

Biden und Scholz waren sich bisher einig, dass ihnen die von Selenskyj geforderte bedingungslose Einladung der Ukraine in die Nato zu weit geht. Auch dessen Vorhaben, den Krieg mit westlichen Waffen in russisches Territorium zu tragen, sehen die beiden skeptisch. Trotzdem sind sie fest entschlossen, die wichtigsten Unterstützer der Ukraine im Abwehrkampf gegen Russland bleiben zu wollen.

Umstrittene Stationierung von US-Mittelstreckenraketen

Und dann ist da noch die geplante Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland ab 2026. Scholz will damit den von Russland in Kaliningrad stationierten Raketen etwas entgegensetzen. Auch in seiner eigenen Partei fühlen sich aber viele überrumpelt. Der Kanzler dürfte sich für die Hilfe trotzdem ausdrücklich bei Biden bedanken. Denn ob Deutschland künftig noch in gleichem Maße wie jetzt auf die militärische Unterstützung der USA in der Nato setzen kann, steht in den Sternen.

Die Entscheidung darüber fällt am 5. November, wenn sich die Amerikaner bei der Präsidentenwahl zwischen Trump und Harris entscheiden können. Sollte Trump gewinnen, dürften wieder extrem schwierige Zeiten im deutsch-amerikanischen Verhältnis anbrechen.

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