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Tram-Pläne in Lübeck fast schon wieder beerdigt

Baulich machbar ist die Wiedereinführung eines Straßenbahnnetzes in Lübeck, das ergab eine Potenzialanalyse. Die Verwaltung will die Idee trotzdem verwerfen. Aus ihrer Sicht würde die Bahn zu wenig für die Verkehrswende bringen. Das ist aber umstritten

Hier könnte auch eine Straßenbahn langfahren: öffentlicher Nahverkehr in Lübeck Foto: Markus Scholz/dpa

Von André Zuschlag

Dass eines Tages wieder Straßenbahnen zwischen den schmucken Backsteinfassaden rollen könnten – immerhin darüber herrscht nun in Lübeck Einigkeit. Mehrere Linien würden in der 220.000-Einwohner:innen-Stadt dafür sorgen, die dringend nötige Verkehrswende sprunghaft voranzutreiben. Zu diesem Ergebnis kommt das dänische Ingenieurberatungsunternehmen Rambøll, das im Auftrag der Stadt eine Potenzialanalyse vorgenommen und Ende September vorgelegt hat.

Nur: Seither steht zugleich im Raum, diese Idee fallen zu lassen und jegliche weitere Untersuchungen zu stoppen. „Wir sind jetzt mitten in der heißen Diskussionsphase“, sagt Lutz Kuwalsky vom Verein „Tram für Lübeck“. Wohl noch im November wird die Lübecker Bürgerschaft, das Stadtparlament, eine richtungsweisende Entscheidung fällen.

Konkret untersucht wurde, ob ein Straßenbahnnetz mit vier Linien in Lübeck entstehen könnte. Die Linien mit einer Länge von zusammen genommen rund 40 Kilometern würden die Altstadtinsel und den Hauptbahnhof im Zentrum mit Bad Schwartau im Norden, dem Uniklinikum im Süden sowie mit dichter bewohnten Stadtteilen im Westen und Osten verbinden – dort entlang also, wo „eine hohe potenzielle Fahrgastnachfrage besteht“, wie es in der Analyse heißt.

Dem von der Stadt selbstgesteckten Ziel, dass künftig mindestens 20 statt bisher elf Prozent der zurückgelegten Strecken mit Bussen und Bahnen bestritten werden, würde die Stadt mit Straßenbahnen deutlich näher kommen als mit dem bestehenden reinen Bussystem. Dieses würde bei einem Ausbau maximal 16 Prozent erreichen; auf mindestens knapp 16 Prozent käme das Straßenbahnnetz – hätte aber noch Luft nach oben.

Weil aber der Lübecker Verwaltung dieser Anstieg zu gering ist, will sie jede weitere Beschäftigung mit der Straßenbahn nun beenden. Der Lübecker Bürgerschaft hat sie eine entsprechende Empfehlung vorgelegt, auch wenn sie es sich mit der Entscheidung „nicht leicht gemacht“ habe. Der erwartete Zuwachs im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) sei aber „dann doch zu weit von der 20-Prozent-Zielmarke entfernt, als dass er große Euphorie hervorrufen würde.“

Vor allem aber sorgt sich die Stadt um die Kosten, die das Beratungsunternehmen auf rund 900 Millionen Euro schätzt. „Auch wenn sich die derzeitige finanzielle Situation der Hansestadt zukünftig bessert, wäre die Implementierung der Straßenbahn eine enorme Belastung des städtischen Haushalts“, heißt es in der Vorlage.

Lutz Kuwalsky von Tram für Lübeck sieht das ganz anders: „Bis zu 90 Prozent der Umsetzungskosten könnten gefördert werden“, sagt Kuwalsky. Das sei abhängig von weitergehenden Untersuchungen, für die sich die Bürgerschaft entgegen der Verwaltungsempfehlung aussprechen solle.

Die prognostizierten Zuwachszahlen hält er für zu defensiv. „Aus Studien wissen wir, dass in Städten, die eine Straßenbahn errichtet haben, die Zuwachsraten bei 50 bis 100 Prozent liegen, weil sich die Menschen deutlich lieber auf der Schiene als in Bussen fortbewegen.“ Dieser Schienenbonus dürfe nicht unterschätzt werden. „Da ist noch deutlich mehr Potential drin und das müsste in weitergehenden Untersuchungen in Erfahrung gebracht werden“, sagt Kuwalsky.

Dass es dazu kommt, setzt allerdings ein Votum der Bürgerschaft voraus. Die Grünen setzen sich dafür ein, Umsetzbarkeit und Kosten noch einmal im Detail zu betrachten. „Eine Tram ermöglicht eine effiziente, umweltfreundliche und zuverlässige Beförderung von Menschen – das ist der Kern einer zukunftsorientierten Verkehrspolitik“, sagt ihr verkehrspolitischer Fraktionssprecher Arne-Matz Ramcke.

„Wenn man sich solche Ziele setzt, aber die Idee des emissionsfreien Verkehrsmittels sofort wieder aufgeben will, ist das ein Trauerspiel“

Lutz Kuwalsky, Tram für Lübeck

Und auch die CDU deutete schon an, dass sie gerne eine tiefergehende Kosten-Nutzen-Analyse hätte. Die dritte große Fraktion hingegen, die SPD, will sich wohl der Verwaltungsempfehlung anschließen – auch mit Verweis darauf, dass es baulich in und an der Altstadt ziemlich eng für eine Straßenbahnstrecke wird. Tatsächlich müssten Teile der Strecken gemeinsam mit den Kfz im Mischverkehr geführt werden; an manchen Stellen wäre nur ein Gleis für beide Fahrtrichtungen möglich.

„Natürlich wird das eine Herausforderung, Lübeck ist eng gebaut“, sagt auch Kuwalsky. Aber die Stadt habe sich zu einer Verkehrswende bekannt, will eigentlich sogar 2035 klimaneutral sein. „Wenn man sich solche Ziele setzt, aber die Idee des emissionsfreien Verkehrsmittels sofort wieder aufgeben will, dann ist das ein Trauerspiel.“

Sollte sich die Lübecker Bürgerschaft für eine Fortführung der Planungen aussprechen, folgt sie dem benachbarten Kiel: Dort ist bereits der Entschluss für den Aufbau einer Straßenbahn gefasst worden. Die Bauplanungen laufen derzeit. In knapp zehn Jahren soll die erste Linie der Tram in Betrieb gehen. Beide Städte hatten einst umfangreiche Straßenbahnsysteme: In Kiel wurde das System 1985 eingestellt; in Lübeck mit seinen damals sieben Linien schon 1959.

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