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Die WahrheitRegelrechter Fleischrausch

Eine Gemeinde in Sachsen verbietet nicht nur Gendern und Wokeness, auch vegane Ernährung in der Öffentlichkeit ist untersagt.

Die letzte Grüne in Krottenbach-Schlettberg, samt Beifahrerin (Archivbild) Foto: ap

Fast versäumen wir auszusteigen, denn der Zugbegleiter macht seine Durchsage in breitestem Sächsisch: „Nächsa Hold: Groddenbochschledbäsch!“

Immerhin, der Ort hat einen Bahnanschluss. Noch, denn die Regionalbahn 6897-b von Annaberg-Buchholz nach Schüttelbrunn-Soxenklamm, in der Bevölkerung liebevoll „Fliegendes Räuchermännchen“ genannt, soll eingestellt werden. So will es der Landkreis Erzgebirge-Hinterberg. „Wir brauch'n diese grüne Vergehrsscheise nüch!“, so Landrat Herrmann Stumpfe (AfD). „Hier bei uns hod man'n Audo, un' wer kein Audo hat, konn ja geh'n.“

Und das stimmt – in jeder Hinsicht. Die letzten Sozialdemokraten haben den Landkreis vor Monaten verlassen. Die letzte Grüne in Krottenbach-Schlettberg kam bei einem Wohnungsbrand ums Leben, ausgerechnet in der Walpurgisnacht. Doch die Staatsanwaltschaft Hinterberg stellte ihre Ermittlungen ein: Die Dame sei an Brauchtum verstorben, so der leitende Staatsanwalt Thorvald Hammerschlag (Freie Sachsen), an Walpurgis käme es halt mal zu spontanen Selbstentzündungen bei Frauen, das wisse hier jedes Kind.

Wir laufen durch den Ort, der so malerisch ist wie viele Dörfer umgeben von Landschaft: adrett sanierte Altbauten, Fachwerk, Geranienkästen, die auch jetzt im Herbst noch blühen. Hübsch, denken wir und wissen doch, dass die AfD hier bei der sächsischen Kommunalwahl 2022 stärkste Kraft wurde und zusammen mit weiteren rechten Ratsmitgliedern im Gemeinderat die Mehrheit stellt. Bei der Landtagswahl am 1. September erreichte die AfD hier 44 Prozent, gefolgt von BSW (19 Prozent), CDU (10) und Freien Wählern (5 Prozent), den Rest teilen sich rechte Splitterparteien wie Freie Sachsen, NPD und Deutlich Deutsche Republikaner (DDR).

Wokes Haar, wunderbar

Seither läuft der Umbau der Dorfgemeinschaft. Die Leitung des örtlichen Jugendclubs Bunte Grube wurde dem Schießsportverein Adlerschrot e. V. übergeben, Schüler „mit woken Haarfarben“ werden nicht mehr staatlich beschult, öffentliches „Zurschaustellen von Homosexualität oder anderen Perversionen (sog. ‚Queerness‘)“ sind bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeiten.

Die einzige E-Ladesäule im Ort haben Mitglieder der Jungen Alternative in einer Nacht- und Nebelaktion herausgerissen. Ein kleines Holzkreuz erinnern an „Rocko Blaum, unsern Märtürer“, der mit einer Rosenschere das Anschlusskabel durchtrennte. Der Verlust der Ladesäule war indes verschmerzbar, da die Besitzerin des einzigen E-Autos im Ort an Walpurgis verstorben war. Regenbogenflaggen sind im Ort ebenso untersagt wie „gendergerechte Sprache im kommunalen Dienstgebrauch“.

„Und des meint, wer hier im Ort sprächen dud“, interpretiert Polizeiobermeister Meik Grubow die Anordnung, die er, wie er stolz berichtet, selbst mit beschlossen hat.

„Und das gilt überall, draußen wie drinnen?“

„Hab'sch da gerade ein ‚-innen‘ gehört?“ Grabow greift nach seiner Dienstwaffe.

Gondrolle von der Rolle

Wir begleiten den Wachtmeister in die Feinbäckerei Schönfließer, zur „Gondrolle“, die Bäckereifachverkäuferin wird blass. Wir betrachten die Auslagen: Es gibt Zwiebelbrötchen mit Speck. Kaiserbrötchen mit Schinkenwürfeln, Käsebrötchen. Sämtliche Backwaren sind entweder mit Speck, Gauda oder Eigelb überzogen. „Und dos do?“ POM Grubow zeigt auf ein Hörnchen. „Sch … Sche …“, zittert die Bäckereifachverkäuferin. „Schelandineglasur … vom Schwein!“

Dies ist der jüngste Beschluss des Krottenbach-Schlettberger Gemeinderates: Vegane Produkte dürfen im Ort nicht mehr feilgeboten werden. Doch in ihrem karnivoren Wahn übersah die AfD ein Detail: „Wissen Sie“, erläutert Bäckermeister Henri Schönfließer, „ein normales Schnittbrötchen oder ein Sauerteigbrot waren immer schon 100 Prozent vegan. Das dürfen wir nicht mehr anbieten.“

Der Bäcker musste jahrhundertealte Rezepturen ändern. Anfangs verkaufte er Brot und Brötchen nach traditioneller Art noch unter dem Ladentisch. Doch nach drei Anzeigen und hohen Bußgeldern stand seine Bäckerei vor der amtlichen Schließung wegen „Schwarzveganerei“ und „Gefährdung der Volksgesundheit“. Schönfließer erfand daraufhin die „Krottenbacher Honigschrippe“, den „Schlettberger Käsestuten“ oder das Rosinenbrötchen mit karamellisiertem Speck. Eine Käsestange mit eingebackener Rostbratwurst verkauft Schönfließer als „Volksseele“.

POM Grubow testet das Hörnchen, dessen Oberfläche durch den Gelantineüberzug hörbar knistert. „Gud, des lassisch noch mal durschgähn“, zischt er und verlässt die Bäckerei.

Auch Heißgetränke gibt es: „Aber nur mit Kuhmilch!“ Schwarzer Filterkaffee wird hingegen mit destilliertem Wurstwasser gebrüht. „Ich würd den aber nicht trinken.“

„Und? Finden Sie das gut?“, fragen wir Schönfließer. „Kein Kommentar“, sagt er und deutet auf POM Grubow, der sich am Schaufenster gerade das Ohr plattdrückt. Erst später recherchieren wir, dass neben Grubow auch Schönfließer im Gemeinderat sitzt, ersterer für die NPD, letzterer „fürs linke Pack“ (Grubow über die CDU).

Wir kehren zum Abschluss im „Toten Bären“ ein, Krottenbach-Schlettbergs einzigem Gasthaus. Die Karte liest sich erwartungsgemäß fleischlastig bis in die Beilagen: „Eisbein mit Wurstsalat und gebratenen Speckkartoffeln“, „Schnitzel Wiener Art auf warmem Kartoffelsalat mit Hühnermägen“. „Butterzander mit gebratenem Ziegenkäse an Erbsenhirnpüree“. Sogar eine vegetarische Speise findet sich im Menü: „Großer saisonaler Gartensalat, im Feuertopf mit Käse überbacken“.

Oder Bier

Bald darauf stehen unsere Speisen und Getränke auf dem Tisch. Das Fleisch ist solide zubereitet, der überbackene Salat jedoch ein ungenießbarer Kompost mit Käse. In unserem Mineralwasser klirren gefrorene Markknochen als Eisersatz. Auch im Rotwein schwimmt Eis. Als wir es mit dem Teelöffel herausfischen, leuchtet es blutrot. „Trinken Sie lieber schnell“, flüstert die Bedienung leise, „bevor der Blutwürfel schmilzt. Oder nehmen Sie Bier!“

Das geht, denn als dem Gemeinderat klar wurde, dass ein Gebräu aus Hopfen und Gestenmalz auch unter das Veganverbot fiele, ordnete das Gesundheitsamt an, dass Hefepilze in Krottenbach-Schlettberg als Kleintiere anzusehen sind.

„Nur mal angenommen, theoretisch, was kriegte man als Ve­ga­ne­r*in …“, fragen wir unvorsichtigerweise und retten uns, als sich die Augenbrauen des Wirtes wütend zusammenziehen: „als Veganer … in diesem Lokal?“

„Keile“, knurrt der Wirt und knallt unser Bier auf den Tisch. „Nehmt ihr sonst noch was?“

Ja. Reißaus.

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7 Kommentare

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  • So ein kleines bisschen Recherche kann auch bei einem Die Wahrheit Artikel nicht schaden. Weder stimmt der Dialekt, noch gibt es hier Schrippen/Schnittbrötchen(was immer das sein soll) und andere Hälfte der Lebensmittel war nie vegan, weil mit Milch hergestellt. Solange es hier Braunkohle gibt, würde man auch das Fliegende Räuchermännchen nicht einstellen. Im Westen woke gelesene Haarfarben gibt es hier auch, werden aber eher mit Angehörigen unterprivilegierter, Bildungsferner Schichten in Verbindung gebracht(Cindy, Mandy).

  • Super, find ich gut. Lass doch die Afd sich selbst regieren !!

  • Ich stehe auf der Leitung. Wein, Blut? Blutwein? Ahh das sind Klingonen!

  • Kleine Korrektur: Die Hefe wird dem Bier im Produktionsprozess natürlich zum Ende wieder vollständig entzogen.

    • @naichweissnicht:

      Nù. Na glar & wie de guude alde Büggwaare. Newahr



      Ab in de Greislaaf - mei Guhdsdr - 🙀🥳🥺 -



      &dennoch die ewige Fraare:



      “Gannch dä Gehgse eindiddschn?“



      un - Nó.



      “🥚wabibschd.…



      Gänsefleisch maa rübarüggen?!“ 🪢 => ⭕️ ✔️

    • @naichweissnicht:

      Kleine Ergänzung: Und dennoch lehnen Hardcore-Veganer Bier ab, weil doch Bakterientierchen ausgebeutet und getötet werden.



      Wein trinken die auch nicht, denn auch da filtern Bakterientierchen im Entstehungsprozess.

      • @Angelika70:

        Ich kann Ihre Angst vor dem Verhungern nach all den "schlechten Jahren" absolut verstehen.