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Neue Ausstellung zu KZ-HäftlingenSpäte Würdigung für NS-Opfer

Eine Ausstellung beschäftigt sich mit KZ-Häftlingen, die als „Verbrecher“ oder „Asoziale“ eingesperrt wurden. Viele wurden später weiter drangsaliert.

Oranienburg, 29. September: n der Gedenkstätte Sachsenhausen ist ein Denkmal für die als „Kriminelle· oder ·Berufsverbrecher· stigmatisierten Häftlinge des KZ Sachsenhausen eingeweiht worden Foto: Manuela Kirchhoff/Gedenkstätte Sachsenhausen/dpa

Berlin taz | 79 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus wird ab dieser Woche im Zentrum Berlins Opfern gedacht, die bisher von der Politik weitgehend ignoriert worden sind. Die Rede ist von den durch die Nazis als „Berufsverbrecher“ und „Asoziale“ gebrandmarkten Menschen, die sich nicht in die „Volksgemeinschaft“ einfügen wollten. Am Donnerstag wird auf Initiative des Bundestags eine Ausstellung in Erinnerung an diese Menschen unmittelbar neben dem Holocaust-Stelenfeld eröffnet.

Ein „langer Weg“ sei das gewesen, sagte Uli Baumann, der stellvertretende Direktor der Stiftung Holocaust-Denkmal, die zusammen mit der Gedenkstätte Flossenbürg mit der Ausarbeitung der Schau beauftragt war. Etliche Jahre sei man bei der Bundesregierung mit dem Begehren „abgeschmiert“. Erst 2017 beschäftigte sich das Parlament erstmals mit dem Thema. 2020 beschloss der Bundestag endlich, niemand sei „zu Recht in einem Konzentrationlager inhaftiert, gequält und ermordet“ worden, zugleich gab er die jetzt erstellte Ausstellung in Auftrag.

Die etwa 80.000 Frauen und Männer, die im KZ den grünen (für „Berufsverbrecher“) oder den „schwarzen Winkel“ (für „Asoziale“) hatten tragen müssen, blieben auch nach der Befreiung diskriminierte Außenseiter ohne Entschädigungsanspruch. Häufig wurden sie von den selben Beamten in den Sozialbehörden drangsaliert, die zuvor mit dafür gesorgt hatten, dass sie eingesperrt wurden.

Für die Haft im Lager war im Nationalsozialismus keine vorherige Verurteilung notwendig. „Zwischen den Aktendeckeln“ lautet ein Kapitel der Ausstellung, das sich mit dem Leidensweg des Leipziger Rudi Zerbst beschäftigt, der im Frühjahr 1940 als „Asozialer“ und „Arbeitsscheuer“ ins KZ Sachsenhausen kam, obwohl er zuvor niemals strafrechtlich in Erscheinung getreten war.

Für Betroffene kommt die Ausstellung zu spät

„Diese Verfolgten sind keine Gruppe“, betonte Baumann. Es handele sich um eine „Fremdbeschreibung“. Bei der Kategorisierung durch die Nazis flossen rassistische Kriterien mit ein. So wurde etwa eine „kriminelle Veranlagung“ konstruiert. Als verfolgungswürdig galten auch Homosexualität und Prostitution. Von der KZ-Einweisung bedroht waren Wohnungslose, Wohlfahrtsempfänger wie Personen mit einem „liederlichen Lebenswandel“. Die Zahl der Todesopfer unter dem „Verleugneten“, wie sie in der Ausstellung benannt werden, ist bis heute unbekannt.

Die Träger von grünem und schwarzem Winkel galten auch unter ihren Mithäftlingen wenig. Es habe auch nach der Befreiung „wenig bis keine Solidarität von anderen Verfolgten“ gegeben, sagte Baumann. Die Verwandten derjenigen, die die KZ-Haft überstanden hatten, hätten sich für ihre Familienangehörigen geschämt, deren Schicksal bis zur Jahrtausendwende kaum Beachtung fand.

Für die überlebenden Opfer selbst kommt die Würdigung zu spät, sie sind verstorben. Frank Nonnenmacher, Vorsitzender des Anfang letzten Jahres gegründeten Verbands für das Erinnern an die verleugneten Opfer des Nationalsozialismus, sagte der taz, er kenne nur eine einzige lebende Person, die aber nicht mehr ansprechbar sei. Die 65 Mitlieder des Verbands sind Nachkommen einstiger Inhaftierter, die dafür streiten, dass das Leiden ihrer Verwandten in der Öffentlichkeit anerkannt wird.

Ein weiter Schritt dazu erfolgte Ende September in der Gedenkstätte Sachsenhausen. Dort erinnert nun ein Denkmal an die früheren Häftlinge, die als „Berufsverbrecher“ und „Kriminelle“ stigmatisiert worden waren. Die Berliner Schau ist als Wanderausstellung konzipiert. Sie soll im nächsten Jahr zunächst in Flossenbürg und dann in Köln gezeigt werden.

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1 Kommentar

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  • Das ist doch nichts neues, erst nach 79 Jahren rehabilitiert zu werden. Das folgt doch leider immer wieder nach den selben Schema einer perfiden Tradition. Man tut sich halt damit schwer, den richtigen Umgang mit einer Zeit die sich nicht wenige heute anscheinend wieder zurück wünschen.

    Mehr als 57 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges werden Wehrmachtsdeserteure und homosexuelle Opfer der NS-Justiz gesetzlich rehabilitiert. Nach einer kontroversen Debatte beschließt der Deutsche Bundestag am 17. Mai 2002 mit den Stimmen der rot-grünen Regierungskoalition und den Stimmen der PDS-Fraktion die pauschale Aufhebung aller nationalsozialistischen Unrechtsurteile gegen Deserteure und Homosexuelle.