Miersch wird SPD-Generalsekretär: SPD-Linker folgt auf SPD-Linken

Matthias Miersch übernimmt kommissarisch die Geschäfte von Kevin Kühnert. Der SPD-Linke ist Energieexperte und gilt als versierter Verhandler.

Porträt eines lächelnden Mannes mit Brille

Keine leichte Aufgabe: Matthias Miersch übernimmt kommissarisch das Amt als SPD-Generalsekretär Foto: Kay Nietfeld/dpa

Berlin taz | Freud und Leid liegen bei der SPD derzeit dicht beieinander. Nur einen Tag nachdem die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil sichtlich betroffen den Rücktritt von Generalsekretär Kevin Kühnert verkünden mussten, präsentierten sie am Dienstag unter Applaus dessen Nachfolger: Matthias Miersch. Der 55-Jährige machte auch gleich klar, wofür er steht: für einen Dreiklang aus Ökologie, Wirtschaft und sozialem Zusammenhalt, einen starken Staat und eine klare Abgrenzung zur CDU. „Diese Merz-CDU verkörpert so alles, wofür ich nicht stehe“, lief sich der Niedersachse schon mal warm.

Und er kündigte auch an, wie er nicht sein wolle, nämlich bequem. Olaf Scholz, als voraussichtlicher Kanzlerkandidat, könne sich hundertprozentig auf ihn verlassen, sagte Miersch, das Rednerpult mit beiden Händen umfassend. „Aber ich werde nicht bequem und kein einfacher Ja-Sager sein.“

Dass er gedenkt, den Kanzler auf Trab zu bringen, wird eines der Kriterien sein, die Esken und Klingbeil bewegt haben werden, Miersch am Wochenende anzurufen und zu fragen, ob er den Posten übernehmen wolle. Neben anderen Kriterien wie „Professionalität, Klarheit, Erfahrung und sofortige Einsatzfähigkeit“. Zudem sei Miersch „ein echter Teamplayer“ und stehe mit seinem Profil für zentrale sozialdemokratische Wahlkampfthemen: Wirtschaft und Industriepolitik.

Der Wechsel an der Spitze war nötig geworden, weil Kevin Kühnert die Reißleine gezogen hat. Der 35-Jährige hatte am Montag schriftlich mitgeteilt, dass er sein Amt als Generalsekretär aufgibt und auch nicht mehr für den Bundestag kandidieren wird. Zur Begründung schrieb er, er brauche seine Energie, um wieder gesund zu werden.

Mit Miersch kommt ein Nachfolger, der wie Kühnert dem linken Flügel der SPD angehört. Er ist einer von vier Spre­che­r:in­nen der Parlamentarischen Linken, der neben den Seeheimern zahlenmäßig größten Parteiströmung unter den Sozialdemokraten. Die PL hatte immer wieder Forderungen konträr zum Koalitionsvertrag erhoben, wie eine Besteuerung von Vermögenden und eine Reform der Schuldenbremse. Miersch findet beides nach wie vor notwendig und erinnerte daran, dass er einst als einer der wenigen Abweichler aus der SPD-Fraktion gegen die Festschreibung der jetzigen Schuldenbremse in der Verfassung gestimmt hatte: „Weil ich das Desaster schon kommen sah.“ Es brauche dringend Investitionen in Klimaschutz, Transformation, Infrastruktur, aber auch Bildung und Pflege.

Moderator, der auch Attacke kann

Auch der Sprecher des Seeheimer Kreises, Dirk Wiese, war als Nachfolger Kühnerts im Gespräch, was technisch aber schwierig gewesen wäre. Denn der Generalsekretär ist automatisch Mitglied des Parteivorstands, und der wird demokratisch vom Parteitag aller zwei Jahre gewählt. Für eine kommissarische Ad-hoc-Nachbesetzung, wie in diesem Fall, kam also nur jemand infrage, der bereits gewähltes Mitglied des Parteivorstands ist. Anders als Wiese ist das bei Miersch der Fall.

Es sind nur noch knapp elf Monate bis zur regulären Bundestagswahl, Miersch muss einen Kaltstart hinlegen. Seine Aufgabe wird es nun sein, die Parteizentrale samt ihren 200 Mit­ar­bei­te­r:in­nen für den Bundestagswahlkampf aufzustellen, die Kampagne zu planen und die SPD gemeinsam mit den Parteivorsitzenden in den Wahlkampf zu führen. Das heißt, Geschlossenheit nach innen und Angriff nach außen zu organisieren. Dass er moderieren kann, aber auch die Abteilung Attacke beherrscht, hat Miersch bereits als Fraktionsvize bewiesen.

In der 207-köpfigen Bundestagsfraktion ist er einer von acht Stell­ver­tre­te­r:in­nen und zuständig für die Themen Umwelt, Klimaschutz, Energie, Landwirtschaft, Verbraucherschutz. Für die SPD verhandelte er das Heizungsgesetz und verlangte den Koalitionspartnern Zugeständnisse in puncto Förderung, Härtefallregeln und Fristen ab. Gleichzeitig ist Miersch ein überzeugter Befürworter der Energiewende und eines schnellen Ausbaus von erneuerbaren Energien, der sich 2019 mit SPD-Chef Gabriel anlegte: „Mit der Natur kann man nicht verhandeln“, drängte er auf einen schnellen Kohleausstieg.

Sie halte ihn für einen unheimlich versierten Verhandler, so seine Partei- und Fraktionskollegin Wiebke Esdar, die wie Miersch zum Spre­che­r:in­nen­kreis der Parlamentarischen Linken gehört. „Er ist dabei nicht dogmatisch, sondern redet auf Augenhöhe mit Mitarbeitern und Experten und ist offen für Anregungen. Und kann dann mit klarem Kompass Entscheidungen fällen.“ Zudem stehe er für die Zukunftsthemen Klima, Energie und Transformation und die dahinter liegenden Kernthemen der SPD, „nämlich gute Arbeit und die Sicherung des wirtschaftlichen Wohlstands“. Esdar ist deshalb davon überzeugt, dass „Matthias ein sehr, sehr guter Generalsekretär sein wird“.

Miersch ist seit fast 20 Jahren Mitglied des Bundestages und seit 2019 Vorsitzender des SPD-Bezirks Hannover. Für den Wahlkreis Hannover-Land errang er seit 2005 immer wieder das Direktmandat. Erst kürzlich hat er angekündigt, wieder für den Bundestag kandidieren zu wollen. Es wird nun auch maßgeblich an ihm liegen, ob die SPD-Fraktion auch nach der Wahl wieder in annähernd gleicher Stärke im Bundestag vertreten sein wird wie in der aktuellen Legislaturperiode. Die Umfragen geben das derzeit noch nicht her. Doch der neue Generalsekretär gibt sich kämpferisch: „Ich werde alles geben.“

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