Personalmangel und Überbelegung: Senatsverwaltung bestätigt sechsjährige Isolation
Das Krankenhaus des Maßregelvollzugs ist schon länger in der Kritik. Eine Sanierung sollte das ändern. Den Grünen zufolge wird daran aber gespart.
In den Maßregelvollzug kommen verurteilte Straftäter mit psychischen Erkrankungen oder mit Suchtproblematiken, die nicht oder vermindert schuldfähig sind und die das Gericht weiter für gefährlich hält. In Berlin kommen sie ins Krankenhaus des Maßregelvollzugs, abgekürzt KMV. 549 Plätze gibt es dort regulär, zum Stichtag 8. August waren allerdings 611 Menschen untergebracht. Eine Überbelegung von etwa zehn Prozent ist dort fast schon die Norm.
Üblich ist auch, neue Patient*innen zunächst zu isolieren. So kann sich das Krankenhauspersonal „ein Bild zu Erkrankung und Gefährlichkeit verschaffen“, wie die Senatsverwaltung erklärt. Das treibt die Belegungszahlen der Isolationszellen in die Höhe: Laut Senatsverwaltung waren 2023 insgesamt 263 Patient*innen im KMV in einer Isolationszelle, im ersten Halbjahr 2024 waren es 112.
Doch es gibt noch weitere Gründe für die hohen Zahlen. Das Krankenhaus des Maßregelvollzugs in Berlin steht seit Jahren wegen Personalmangels und Überbelegung in der Kritik. Die Patient*innen haben keine Privatsphäre, es gibt zu wenige Therapien und andere Angebote. Das wirkt sich auf die Psyche aus, führt zu Langeweile und Frust. Um die Menschen ruhig zu stellen, werden sie, so sagte es eine Angehörige der taz, „mit Medikamenten vollgepumpt“. Oder, wenn das nicht reicht, isoliert. Sven Reiners, bis Ende Juni ärztlicher Leiter des KMV, sagte der taz im Interview, alle Isolationszellen im KMV seien durchgängig belegt.
UN: Isolation über 15 Tage ist Folter
Wie lange die Patient*innen isoliert werden, wollte die Senatsverwaltung zunächst nicht beantworten. Erst auf einen Eilantrag ans Verwaltungsgericht von FragDenStaat hin antwortete sie schließlich. Demnach waren zum 24. September 2024 fünf Menschen mehr als einen Monat in einer Isolationszelle untergebracht und ein Patient mehr als ein Jahr. Nach den Mindestgrundsätzen der Vereinten Nationen für die Behandlung von Gefangenen gilt eine Einzelhaft an mehr als 15 aufeinander folgenden Tagen als Folter.
Ex-Chef Reiners hatte der taz im August gesagt, dass ein Mensch über fünf Jahre in Isolation gehalten werde. Wie es zu so langen Zeiträumen kommt, erklärte er so: „Stellen Sie sich vor, dass eine Person wegen Tötungsdelikten verurteilt wurde und in den Maßregelvollzug kommt, dort versucht hat, Pflegepersonal zu töten, und es ablehnt, Medikamente zu nehmen. Dann wird dieser Patient durchaus über mehrere Jahre isoliert.“
Die Senatsverwaltung wollte das auf mehrfache Nachfrage nicht kommentieren. Sie begründete das mit Daten- und Patientenschutz. Doch Persönlichkeitsrechte sind überhaupt nicht betroffen, wenn keine näheren Informationen über den betroffenen Patienten herausgegeben werden, über die er identifiziert werden könnte.
Das hat die Senatsverwaltung nun offenbar auch eingesehen, nachdem FragDenStaat Klage eingereicht hatte: Sie bestätigt, dass ein Patient sogar seit über sechs Jahren in einem Isolationsraum untergebracht ist. Gründe für so lange Zeiträume seien Eigen- und/oder Fremdgefährdung „schwerst erkrankter, produktiv psychotischer“ Patient*innen.
Ärztlicher Leiter kündigt
Laut Reiners kann es bei solchen Patient*innen immer wieder Phasen geben, in denen sie weniger gefährlich sind. Dann „könnte man theoretisch progressiv andere Maßnahmen versuchen“ als die Isolierung. „Aber nicht, wenn man eine übervolle Station hat.“
In der Senatsverwaltung sind die Probleme im KMV seit Jahren bekannt. Tatsächlich hat sie Gelder für Personal freigegeben, doch Fachkräfte sind kaum zu bekommen. Im Februar dieses Jahres demonstrierten Angehörige „gegen die menschenunwürdigen Zustände im Krankenhaus des Maßregelvollzugs Berlin“. Im März folgten Proteste von Beschäftigten. Im April schließlich reichte der ärztliche Leiter Reiners seine Kündigung ein.
Seitdem hat sich wenig getan. Daher hat sich die Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (DGSP) mit einem Offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister von Berlin gewandt, der der taz und FragDenStaat exklusiv vorliegt. Die DGSP wirft dem Senat „gubernatives und administratives Systemversagen“ vor. Sie fordert schnell eine neue ärztliche Leitung, höhere Löhne, um mehr Fachpersonal anwerben zu können und insgesamt eine Verkleinerung des Krankenhauses des Maßregelvollzugs.
Auch fordert sie, dass überprüft wird, ob wirklich bei allen Patient*innen im KMV die Voraussetzungen für eine Unterbringung im Maßregelvollzug vorliegen. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer im KMV liegt derzeit bei sechseinhalb Jahren. Es gibt aber auch Menschen, die dort wesentlich länger untergebracht sind. Darüber hinaus, fordert die DGSP, solle das Land Berlin eine Bundesratsinitiative für eine Reform des Maßregelvollzugs auf den Weg bringen.
Die Senatskanzlei sagte der taz dazu, sie kommentiere generell keine Offenen Briefe. Bettina König, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, sagte, die Zustände seien für Patient*innen und Beschäftigte „sehr belastend“. Das sei allen Beteiligten bewusst. Sie verwies auf den Masterplan 2040 für das KMV, mit dem die Probleme „schrittweise“ angegangen werden sollen. „Ich erwarte vom Senat, dass der Ausbau der Plätze nun höchste Priorität hat und sich der gesamte Senat mit allen fachlich verantwortlichen Senatsverwaltungen der Tragweite der Situation im KMV bewusst ist und entsprechend gehandelt wird“, fordert König.
Lob und Kritik von den Grünen
Die gesundheitspolitische Sprecherin der oppositionellen Grünen, Catherina Pieroth, lobte gegenüber der taz, dass die Personalaufstockung im KMV – wenn auch langsam – vorangehe. Sie kritisierte, dass der Senat von 8 Millionen Euro, die für die Sanierung eines Teils des KMV vorgesehen waren, nun wieder 3,2 Millionen Euro einsparen wolle.
Viel wird an der neuen ärztlichen Leitung hängen. Wer das sein wird, ist noch nicht öffentlich bekannt. Laut Senatsverwaltung für Gesundheit ist das Bewerbungsverfahren mittlerweile abgeschlossen. Die neue ärztliche Leitung soll ihre Arbeit im Januar 2025 aufnehmen.
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