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Landesamt für FlüchtlingsangelegenheitenKollektive Überlastungsanzeige

Die Beschäftigten des LAF beklagen unerträgliche Arbeitsbedingungen und einen eklatanten Personalmangel. Offene Stellen lassen sich nicht besetzen.

„Überstunden schrubben“: LAF-Chef Mark Seibert Foto: Imago/Funke Foto Services

Berlin taz | Den Beschäftigtenvertretungen des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) reicht es. Mehr als einen Monat ist vergangen, seit der Personalrat, die Frauen- und die Schwerbehindertenvertretung in einem Brief an den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU), den Senat und das Abgeordnetenhaus eine Art kollektive Überlastungsanzeige für die über 500 Mit­ar­bei­te­r:in­nen gestellt haben. Passiert sei seither nichts, es habe „keine einzige Reaktion“ gegeben, beklagen die Personalvertreter:innen. Deshalb gehe man nun an die Öffentlichkeit.

Das Schreiben von Ende August an den alles andere als kleinen Adres­sa­t:in­nen­kreis zeichnet ein düsteres Bild von den Arbeitsbedingungen im LAF. Die Rede ist von „chronischem Personalmangel“, der zu verlängerten Wartezeiten und unbearbeiteten Anträgen führe und zugleich zu „steigender Aggressivität der Antragstellenden gegenüber unseren Mitarbeitenden“. Übergriffe auf Kol­le­g:in­nen – „sowohl verbal als auch zunehmend physisch – seien inzwischen „an der Tagesordnung“.

Das LAF ist für die Registrierung, Versorgung, Unterbringung und soziale Betreuung von Geflüchteten in Berlin zuständig. Nicht zuletzt durch den Krieg in der Ukraine ist die Zahl der vom LAF nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu betreuenden Geflüchteten dabei in zwei Jahren von rund 21.000 auf über 24.000 gestiegen – ohne dass im Gegenzug die Personaldecke größer wurde. Das „führte zu einer zunehmend massiven Überlastung aller Mitarbeitenden“, so die Beschäftigtenvertretung.

Im Schnitt, heißt es weiter, bearbeite ein:e Sach­be­ar­bei­te­r:in rund 280 Fälle. Nicht eingerechnet seien hier zusätzliche Termine, etwa im Zusammenhang mit Leistungen für das Massenflüchtlingslager auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tegel, Entlassungen aus der Jugendhilfe oder Umverteilungen aus anderen Bundesländern. Kurzum: Die Situation sei prekär, das Personal des LAF am Limit. Und das nicht erst seit gestern.

Bedenklicher Krankenstand, hohe Fluktuation

Schon im Mai hatte LAF-Leiter Mark Seibert öffentlich Alarm geschlagen. „Viele Mitarbeiter schrubben hier Überstunden, schlagen sich Abende und gelegentlich die Wochenenden um die Ohren. Dem Abteilungsleiter Unterkünfte haben wir zum Einstand ein Feldbett in sein Büro gestellt“, sagte Seibert. Die Folge seien ein bedenklicher Krankenstand und eine hohe Fluktuation in der Belegschaft.

Auch die Beschäftigtenvertretungen verweisen in ihrem Brief auf die „zahlreichen Abgänge“. Fast 60 Mit­ar­bei­te­r:in­nen haben demnach 2023 das LAF verlassen, 30 weitere Kol­le­g:in­nen bis Juli dieses Jahres. Und der Aderlass scheint ungebrochen. Wird in dem Schreiben von Ende August noch von rund 550 Beschäftigten gesprochen, arbeiten inzwischen nur noch 529 für die Behörde und damit ungefähr genauso viele wie vor dem Krieg in der Ukraine, wie das LAF auf taz-Nachfrage bestätigt.

Im „Ankunftszentrum Tegel“ und bei der Akquise von Hotels zur Unterbringung von Geflüchteten kann das Amt zwar auf Unterstützungskräfte zurückgreifen. Bei deren Stellen handelt es sich aber zu großen Teilen um sogenannte Beschäftigungspositionen. Das heißt, die Mit­ar­bei­te­r:in­nen sind lediglich befristet eingestellt und hangeln sich von Fristverlängerung zu Fristverlängerung.

Damit müsse Schluss sein, fordern die Personalvertreter:innen. Die „BePos“ müssten entweder verstetigt oder besser noch in „reguläre“ Arbeitsverhältnisse umgewandelt werden. Letztlich wäre aber auch das nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Denn das Hauptproblem seien die insgesamt viel zu vielen offenen Stellen, sagt LAF-Sprecherin Monika Hebbinghaus zur taz.

Derzeit seien in der Behörde 71 unbefristete und 9 befristete Jobs ausgeschrieben. „Es ist eine große Kraftanstrengung, die zu besetzen“, so Hebbinghaus. Das Amt mache und tue, die Bewerbungsverfahren liefen. Aber selbst die Personalabteilung beklagt Personalmangel. Und, wie die Beschäftigtenvertretungen schreibt: „Auch hier sind zahlreiche Überlastungs- und Gefährdungsanzeigen zu verzeichnen.“

SPD-Sozialsenatorin Kiziltepe will sich kümmern

Immerhin, SPD-Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) verspricht, sich dahinterzuklemmen. Zwar habe das LAF viele interne Maßnahmen im Personalbereich ergriffen, um den gestiegenen Anforderungen gerecht zu werden. Aber ihr sei bewusst, dass es „dringend langfristige personelle Unterstützung“ brauche, um allein den gesetzlichen Anforderungen gerecht zu werden, sagte Kiziltepe am Freitag zur taz. „Die befristete Verlängerung der Stellen reicht hier nicht aus.“

Auf Bundesebene setze sie sich zudem dafür ein, dass Behörden wie das LAF nicht durch weitere gesetzliche Verschärfungen überfordert werden. „Denn zunehmend komplexe und restriktive Gesetze belasten das LAF mit kaum noch personell und rechtssicher zu bewältigenden Verfahren“, so Kiziltepe, die auch zu den Er­stun­zeich­ne­r:in­nen einer Initiative zahlreicher SPD-Politiker:innen gegen die Verschärfungen der Asylpolitik durch ihre eigene Partei gehört.

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1 Kommentar

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  • Immer dieses Rumgemecker, basierend auf dem typisch deutschen Perfektmodus. Wenns kein Personal gibt, gibt es eben keins. Man kann’s auch schlecht besser bezahlen als Angestellte anderswo. Ansprüche auf Flüchtlingsintegration auf normales europäisches Niveau downsizen und gut iss. Die große Mehrheit der Bevölkerung würde es gutheißen.