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Pflaster, Skizzenblock und Sturmhaube

Neuerscheinungen von Emma AdBåge, Sara Lundberg und Dirk Reinhardt erzählen von kleinen Verletzungen, großen Träumen und radikalen Entscheidungen

In Sara Lundbergs Bilderbuch träumt Berta davon, eines Tages Künstlerin zu werden Foto: Illustrationen (2): Moritz Verlag

Von Eva-Christina Meier

Kurz vor der Buchmesse trafen sich die „Lesewölfe“ mit dem Jugendbuchautor Dirk Reinhardt in der Berliner Buchhandlung „Krumulus“. Der engagierte Leseclub ist Teil der Jugendjury für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2025. An diesem Nachmittag wollten die sieben Jugendlichen mit dem Schriftsteller aus Münster über seinen jüngsten Roman „No Alternative“ sprechen.

Dieser handelt von Emma, einer siebzehnjährigen Klimaaktivistin, die sich nach dem traumatischen Unfalltod ihres Freundes in Frankfurt am Main einer Gruppe militanter Umweltschützer anschließt. Als Mitglied einer klandestinen Zelle der fiktiven Untergrundorganisation „No Alternative“ wird Emma zur Protagonistin einer medienwirksamen Kletteraktion, beteiligt sich aber schon bald an einer explosiven Sabotage im Frankfurter Osthafen. Durch ein Missgeschick wird sie dabei von Überwachungskameras ohne Sturmhaube gefilmt und gerät dadurch auf die internationale Fahndungsliste.

Äußerst spannend und zugleich einfühlsam schildert Reinhardt in seinem aktuellen Roman mit wechselnden Stimmen die Ereignisse und stellt darin die Dringlichkeit und Legitimität des Widerstandes angesichts der Klimakatastrophe zur Diskussion. In ihrem jugendlichen Existenzialismus erinnern die Romanfiguren an die überzeugend dargestellten Antifa-Aktivisten in Julia von Heinz Spielfilm „Und morgen die ganze Welt“.

In „No Alternative“ entscheidet die Protagonistin Emma, trotz Zweifel und Bedenken, die Brücken zu ihrem alten Leben abzubrechen, um mit radikalen Mitteln die Welt vor der Zerstörung durch den Menschen zu retten.

Dirk Reinhardt: „No Alter­native“. Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2024, 304 Seiten, 20 Euro. Ab 14 Jahre

2021, während der Coronapandemie, hatte Dirk Reinhardt begonnen, im Umfeld der Klimaaktivisten zu recherchieren und Gespräche mit den Hungerstreikenden von Letzte Generation zu führen. Heute, drei Jahre später, ist auch der Jugendbuchautor überrascht, wie schnell es gelungen ist, das drängende Ziel einer deutlichen Senkung der Emissionen von der politischen Agenda zu verdrängen und wie sehr inzwischen populistische Argumentationen auch bei jugendlichen Wäh­le­r:in­nen verfangen.

Zu dem Autorentreffen hatten die „Leselöwen“ einige Fragen über die Hintergründe und Figuren von „No Alternative“ vorbereitet. In der Buchhandlung am Berliner Südstern berichten sie davon, wie nachdrücklich sie das Thema der Lektüre doch beschäftigt hat. Eine Schülerin aus der Lesegruppe engagiert sich in der Klimastreikbewegung Fridays for Future und so findet sie die ethisch-moralischen Überlegungen, die das Buch besonders in den fünf Manifesten der fiktiven Umweltschutzorganisation verhandelt, sehr anregend. Trotzdem kennen sie alle das Bedürfnis, die Bedrohung durch den Klimawandel aus dem Alltag zu verdrängen.

Als Mitglied einer klandestinen Zelle wird Emma zur Protagonistin einer medienwirksamen Kletteraktion

Neugierig fragen sie nach den öffentlichen Reaktionen auf „No Alternative“. Und Dirk Reinhardt erzählt davon, wie er bei der Vorstellung des Buches zuweilen dafür kritisiert wurde, mit der Geschichte über militante Klimaaktivisten Jugendliche auf eine falsche, zu radikale Fährte zu führen. Aber diesen Vorwurf halten die sieben des Leseclubs einfach für abwegig. Aus ihrer Sicht bietet der Roman viele verschiedene Perspektiven an und gibt den Lesern dadurch Raum.

Eine eindrückliche Form des Erzählens wählt auch die schwedische Kinderbuchautorin und -illustratorin Sara Lundberg in „Der Vogel in mir fliegt, wohin er will“. Das Bilderbuch, empfohlen für Kinder ab neun Jahre, handelt von Berta, einem jungen Mädchen, das Anfang des 20. Jahrhunderts auf einem nordschwedischen Bauernhof aufwächst und davon träumt eines Tages Künstlerin zu werden, obwohl das für die Leute auf dem Land kein „richtiger“ Beruf ist.

Zu dieser Geschichte inspiriert wurde Lundberg durch die Tagebuchaufzeichnungen und Briefe der in Hammerdal geborenen Malerin Berta Hansson (1910–94). Bild- und Textebenen greifen in dieser Erzählung eng ineinander. Das Mädchen Berta will weg aus dem abgelegenen Dorf, in dem es mit dem strengen Vater, der tuberkulosekranken Mutter und den Geschwistern lebt. Die schwere Arbeit auf dem Hof prägt den Alltag der Familie. Eine andere Bestimmung, als einen Haushalt zu führen, ist für Mädchen wie Berta oder die älteren Schwestern Julia und Gunna zu jener Zeit kaum vorstellbar. Doch auf dem Hof ihres heimlich malenden Onkels entdeckt Berta schon in jungen Jahren die magische Kraft der Bilder für sich. Seitdem hält sie bei jeder Gelegenheit, die sich bietet – beim Hüten der Kühe oder in Gesellschaft der todkranken Mutter –, ihre Welt auf dem Skizzenblock fest.

Mit „Der Vogel in mir fliegt, wohin er will“ hat Sara Lundberg ausdrucksstarke Aquarellzeichnungen und Collagen in leuchtenden Farben geschaffen, die den Blick des eigenwilligen Mädchens auf die Landschaft, die Menschen und ihr herausforderndes Leben widerspiegeln. Begleitet von kurzen Tagebuchaufzeichnungen erzählen diese intensiven Illustrationen von Trauer, Aufbruch und dem Streben nach Unabhängigkeit.

Sara Lundberg: „Der Vogel in mir fliegt, wohin er will“. Aus dem Schwedischen von Friederike Buchinger. Moritz Verlag, Frankfurt am Main 2024, 128 Seiten, 18 Euro. Ab 9 Jahre

Über die historische Biografie der schwedischen Malerin Berta Hansson gibt ein Nachwort mit Fotografien und Originalwerken im Band zusätzliche Auskunft.

Ein kleiner Unfall fasziniert in Emma AdBåges „Die schönste Wunde“ eine ganze Schulklasse Illustration: Emma AdBåge

Ebenfalls aus dem Schwedischen von Friederike Buchinger übersetzt ist eine humorvolle Bilderbuchgeschichte von Emma AdBåge. In „Die schönste Wunde“ ist einiges los. Schauplatz ist der Pausenhof einer idyllisch anmutenden Schule. Aber auch an schwedischen Grundschulen sind die Tischtennisschläger kaputt und so jagen die Kinder einfach wild um die Platte herum. Bis ein Junge, der Erzähler, der auf dem Tisch die anderen angefeuert hat, plötzlich von der Platte knallt. „PENG!“ Das Knie blutet. Sofort kommen alle zur Unfallstelle gelaufen, die Erstklässler, die Zweitklässler, der gesamte Hort, ihr Lehrer Jarmo in der Latzhose und auch Joni mit dem Putzwagen.

Wunderbar gelingt es Emma AdBåge diese Schwarmbewegungen festzuhalten. Ihre schlaksigen Figuren zeichnet die Illustratorin mit feinen Linien in gedeckten Farben, umso deutlicher leuchtet auf den Bildseiten das Blut. Der Unfall wird zum faszinierenden Ereignis, nicht nur für den verletzten Jungen. „In Mathe rechneten wir aus, wie viele Wunden wir schon hatten, und im Kunstunterricht gingen uns die roten Filzstifte aus.“

Emma AdBåge: “Die schönste Wunde”. Aus dem Schwedischen von Friederike Buchinger. Beltz & Gelberg, Weinheim 2024, 28 Seiten, 14 Euro. Ab 4 Jahre

Mitfühlend erkundigen sich die anderen Kinder nach der Wunde, auf der nun das größte Pflaster aller Zeiten klebt. Unübersehbar genießt es der Verunglückte, an diesem Tag im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. Die Kinder in Emma AdBåges Geschichten sind neugierig und einander zugewandt. So wie schon in ihrem Bilderbuch „Die Grube“ (2021) agieren sie auch in „Die schönste Wunde“ als vielfältige Gemeinschaft. Neben ihnen erscheinen die Erwachsenen riesig, aber eher als Randfiguren. Nach ein paar Tagen hat sich die dramatische Wunde am Knie in eine dicke Kruste verwandelt. Das will jeder sehen. Schon wieder strömen alle auf dem Schulhof zusammen.

Doch dann kommt es im Hallenbad, in dem türkis-grünen Becken zu einem überraschenden Finale.

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