piwik no script img

NS-Gedenken in BerlinEin Wandbild für die Retter

An einer Hausfassade in Charlottenburg wird an die Widerstandskämpfer Dorothee und Harald Poelchau erinnert. Beide boten verfolgten Juden Schutz.

Die Poelchaus an einem Haus am Heckerdamm in Charlottenburg Foto: dpa

Berlin taz | Gegenüber einem Wohnblock in Charlottenburg versammelten sich am Dienstag mehr als 100 Menschen. Für die Ältesten unter ihnen standen Stühle bereit. Unter den Stehenden befanden sich viele junge Menschen, Schülerinnen und Schüler der Anna-Freud-Schule. Ein Vize-Botschafter war zugegen. Es wurden Reden gehalten. Die Polizei war vor Ort. Was war denn da schon wieder los?

Dazu musste man nur den Blick auf das große Haus wenden. Die zur Straße geneigte Fassade ist nämlich nicht mehr weiß gestrichen. Sie trägt jetzt ein Wandgemälde, darauf die Gesichter einer Frau und eines Mannes. Die Hände der beiden umfassen schützend eine Schlafkammer, darin befindet sich ein Bett, ein Nachttisch und darauf eine Menora. Der siebenarmige Leuchter steht für die Jüdinnen und Juden, die in der Kammer übernachteten. Und die großen Hände des dargestellten Ehepaars Dorothee und Harald Poel­chau symbolisieren den Schutz und die Hilfe, die diese in der NS-Zeit den Verfolgten selbstlos boten.

Harald Poelchaus Arbeitsplatz befand sich ab 1933 unter einem Hitler-Bild. Um zu ihm zu gelangen, mussten Besucher eine Kontrolle über sich ergehen lassen. Und doch vermittelte der 1903 geborene Poelchau zusammen mit seiner Frau den bedrohten Jüdinnen und Juden Unterkünfte und half ihnen mit Lebensmitteln; beide unterstützten den Widerstand gegen Hitler.

Harald Poelchau war ein evangelischer Geistlicher, arbeitete ab 1933 als Gefängnispfarrer in der Haftanstalt Tegel. Voller Ideen über eine Resozialisierung hatte er seine Arbeit begonnen. Doch unter den Nazis stieg die Zahl der Todesstrafen in die Tausende. Selbst Bagatelldelikte wie der Diebstahl von Hühnern, vor allem aber Widerstandshandlungen wurden mit dem Tode bestraft, vollstreckt in aller Regel mittels einer Guillotine.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Poelchau hatte die furchtbare Aufgabe, die Delinquenten auf ihrem letzten Gang zu begleiten. Er war auch bei der Hinrichtung anwesend. „Ich habe die Überzeugung gewonnen, dass die Todesstrafe ein Verbrechen wie jeder Mord ist“, schrieb er später. Poelchau unterstützte die Angehörigen, half, wo er nur konnte.

Hilfe unter Lebensgefahr

An eine Befreiung der Inhaftierten war nicht zu denken. Wohl aber riskierte das Ehepaar Kopf und Kragen, weil es zudem verfolgten Juden half. „Wir waren uns darüber klar, dass diese Hilfe Lebensgefahr bedeutete. Ja, ich hatte Angst“, schrieb Harald Poelchau nach dem Krieg.

Ein dauerhaftes Versteck konnte das Paar untergetauchten Juden nicht bieten, denn daheim waren die Wände zu hellhörig, dafür Adressen. Ein Netzwerk von Nazi-Gegnern bot Unterschlupf, Poelchaus fungierten als Vermittler. Dazu nahmen sie Kontakt zu sozialdemokratischen und kommunistischen Widerstandskreisen auf. Mit dem Kreisauer Kreis bestanden ohnehin Verbindungen. Das Ehepaar half mit gefälschten Papieren und Lebensmitteln. Der Gestapo ist es nicht gelungen, das Ehepaar zu enttarnen. Harald Poelchau starb 1972, seine Frau Dorothee fünf Jahre nach ihm.

Die Gedenkstätte Yad Vashem hat beide schon 1971 für ihre Rettungsaktionen für Juden als Gerechte unter den Völkern geehrt. In Berlin existiert eine Poelchau-Schule. Auch eine Straße und ein S-Bahnhof tragen den Namen. Hinzu kommt nun, ganz in der Nähe des Gefängnisses Plötzensee, dieses Wandgemälde, initiiert von der Gedenkstätte Stille Helden, ausgeführt von zwei Künstlern der Gruppe innerfields und Schülern der Anna-Freud-Schule, die ihre Ideen für das Gemälde einbrachten. „Diese Zeit darf nicht vergessen werden“, sagte die Schülerin Diana Krüger bei der Feierstunde zur Einweihung: „Wieder und wieder muss an die NS-Zeit erinnert werden.“

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!