Simone Schmollack
übrigens
: Die „Junge Welt“ und Dr. Sommer des Ostens

Foto: Barbara Dietl

Das mit der Liebe ist ja so eine Sache. Glücklich schätzen kann sich, bei wem sie ein Leben lang hält. Meistens aber wird sie enttäuscht, manchmal nach 20 Jahren, sehr häufig im berühmt-verflixten 7. Jahr, es gab auch schon Fälle, wo die Zuneigung nicht länger als eine Nacht anhielt. Die Gründe für das Schluss-aus-vorbei sind so unergründlich wie die Liebe selbst. Aber manchmal sind sie auch ganz klar.

Ich zum Beispiel war mal ganz doll verliebt in die Junge Welt. Unsere Liebe endete – der Klassiker – bitter. Aber der Reihe nach. Die Junge Welt war eine Zeitung in der DDR, bis 1989, als sich die Ostdeutschen aus der toxischen Beziehung zur DDR befreiten, das Zentralorgan der FDJ. Das Blatt hatte eine Auflage von 1,6 Millionen – ob das ein Indiz für bedingungslose Liebe der Ostdeutschen zur Jungen Welt war, ist heute nicht mehr eindeutig verifizierbar. Aber fragte man damals Leute, was sie in der Zeitung lesen, sagten sie: Mittwoch, Seite 6.

Das war lustig, weil auf Seite 6 Sex verhandelt wurde. Also ein bisschen, zu viel Schweinkram ging nämlich nicht in der Rubrik, die sich „Unter vier Augen“ nannte und weit entfernt war von Fragen an Dr. Sommer in der Bravo: Knallt es laut, wenn das Jungfernhäutchen platzt? Warum sind meine Schamlippen so schrumplig? Tut eine Intimrasur weh? Nicht so in der Jungen Welt, die suchte nach dem Klassenstandpunkt in der Liebe.

Der war ab 1990 egal, ich wurde Redakteurin, wir Jungen schmissen Altkader raus, machten jeden Tag eine kleine, feine Zeitung und planten abends in der Kneipe schon die vom nächsten Tag. Mehr Liebe ging nicht. Ich übernahm „Unter vier Augen“ – und wurde Dr. Sommer des Ostens. Ich war 25, hatte keine Ahnung und eine Kolumne. Im „Sexikon“ ging es um Kranzgeld, Missionarsstellung, Prostitution (für die Recherche stellte ich mich auf den Straßenstrich in der Oranienburger Straße in Berlin, ließ mich von Lude Karsten an­grapschen und von echten Prostituierten beschimpfen).

Simone Schmollack

leitet das taz-Meinungsressort, davor war sie Co-Chefin der taz-Regie, davor im taz-Inlandsressort. Ihre Kompetenzen in Sachen Liebe, Lust und Leidenschaft hat sie systematisch ausgebaut, um später Gender-Redakteurin der taz zu werden.

Liebe hin, Liebe her, ich machte Schluss mit der Jungen Welt. Wer heiratet schon seine erste Liebe? Wir trafen uns selten, wurden uns fremd und fremder. Und als sie mir hier wieder begegnete, in einem Text, der vom Grusel erzählt, fragte ich mich, was das damals mit uns war. Sie heißt jetzt jw, gleicht dem Flugblatt einer K-Gruppe, verharmlost islamistischen Terror, liebt Putin und rollt Egon Krenz, der mal Erster Sekretär der FDJ war, den roten Teppich aus. Zum Glück bin ich aus der Nummer raus. Schon lange.