: „Aus Sicht des Personals hilft die Vereinbarung“
Christian Wölm von der Gewerkschaft Verdi hat einen Entlastungsvereinbarung mit der Uniklinik Schleswig-Holstein verhandelt. Könnte das auch den Berliner Kitas helfen?
Interview Esther Geißlinger
taz: Im Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) gilt seit einigen Jahren eine Entlastungsvereinbarung – bringt die etwas?
Christian Wölm: Ähnliche Vereinbarungen gelten auch in anderen Krankenhäusern. Die erste wurde zwischen Verdi und der Berliner Charité abgeschlossen, dann haben Düsseldorf, Essen und das UKSH in Kiel und Lübeck nachgezogen. In jedem Haus braucht es eine gewisse Zeit, bis sich die Wirkung zeigt. Für das UKSH kann ich sagen: Einige Ziele sind erreicht, aber es ist nicht gelungen, das Personal so aufzustocken, wie es vereinbart war.
taz: Das heißt, das UKSH hält sich nicht an die Vereinbarung?
Wölm: Nein, das ist keine Böswilligkeit des UKSH, sondern der Markt ist einfach leergefegt. Die Klinik hat durchaus Interesse, mehr Personal einzustellen, und hat auch aufgestockt, nur nicht ganz so viel wie geplant. Mit dem vereinbarten Personalstand würden die Vorgaben erreicht.
taz: Um welche Vorgaben geht es?
Wölm: Jede Station hat überlegt, wie viele Kräfte für welche Schichten nötig sind, um nach den Grundsätzen der guten Pflege arbeiten zu können. Wenn in einer Schicht Personal fehlt, erhalten die Anwesenden Belastungspunkte. Hat eine Kraft zehn Punkte gesammelt, bekommt sie eine Freischicht zusätzlich. Das sorgt allerdings dafür, dass mehr Leute fehlen und das UKSH teilweise Betten sperren muss.
taz: Sprich, die Lage verschärft sich, wenn kein zusätzliches Personal eingestellt wird. War nicht die Hoffnung, dass so eine Vereinbarung Fachkräfte anlockt?
Wölm: Ich will nicht ausschließen, dass Leute aus anderen Häusern ins UKSH gewechselt sind, aber den großen Werbeeffekt, den sich das Unternehmen versprochen hatte, gab es bisher nicht. Entscheidender für uns ist aber: Aus Sicht des Personals hilft die Vereinbarung auf jeden Fall, weil sie zu mehr freien Tagen führt. Für uns ist das gelebter Gesundheitsschutz.
taz: Wie liefen damals die Verhandlungen, war das UKSH gleich einverstanden?
Wölm: Nein, keineswegs, sie haben die Idee anfangs klar abgelehnt. Ein Problem war, ebenso wie heute bei den Verhandlungen über die Kitas in Berlin, die Tarifgemeinschaft der Länder, TdL, die keine Entlastungstarifverträge will. Daher haben wir am Ende eine Vereinbarung und keinen Tarifvertrag abgeschlossen. Dank der heute beteiligten Personen wird diese Vereinbarung aber gelebt wie ein Vertrag.
taz: Wie kam es zum Abschluss, wenn es anfangs so schwierig war?
Wölm: Anders als Berlin waren wir nicht im unbefristeten Streik, hatten aber schon die Urabstimmung gemacht und auch zuvor einige Warnstreiks durchgeführt. In dieser Lage hat sich die Politik eingemischt. Die damalige Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) hat das Thema an sich gezogen und die Moderation übernommen. Dann ging es in Arbeitsgruppen, deren Ergebnisse zusammengetragen wurden und so weiter. Wir haben eine Woche Tag und Nacht durchverhandelt, dann stand die Vereinbarung.
taz: Wie gelingt es, so eine Vereinbarung mit Leben zu füllen?
Christian Wölm
39, stellvertretender Fachbereichsleiter bei Verdi Nord, lebt zwischen Hamburg und Lübeck. Der Sozialversicherungsfachangestellte war in verschiedenen Gremien der betrieblichen Interessenvertretung tätig.
Wölm: Man muss im Gespräch bleiben. Wir haben die Vereinbarung im Jahr 2020 verhandelt, sie aber sofort wieder ausgesetzt, weil das UKSH, wie andere große Kliniken auch, an vorderster Front der Versorgung von Coronakranken stand. Das UKSH hat zwei Standorte, Kiel und Lübeck, und wir treffen uns monatlich mit den Verantwortlichen. Dazu haben wir eine Kommission eingerichtet, die praktische Fragen löst. Aber wir haben auch nur mit einem Unternehmen zu tun und pflegen einen guten, vertrauensvollen Umgang. In Berlins kleinteiliger Kita-Landschaft müssten wahrscheinlich andere Instrumente gefunden werden.
taz: Dennoch, Sie sind und bleiben ein Fan solcher Vereinbarungen?
Wölm: Ja, wobei aus unserer Sicht eine Vereinbarung nur das zweitschönste Instrument ist, wir hätten einen Tarifvertrag vorgezogen. Wir haben uns auf die Vereinbarung eingelassen, weil wir damit ans Ziel gekommen sind, und haben zurzeit das Glück, dass die UKSH-Verantwortlichen es annehmen wie einen Tarifvertrag. Aber das ist nicht in Stein gemeißelt. Daher werden wir, wenn die Vereinbarung ausläuft, einen Tarifvertrag anstreben.
taz: Trotz der Bedenken der Länder-Gemeinschaft?
Wölm: Wir hoffen, dass die TdL zur Besinnung kommt. Ich verstehe deren Bedenken auch nicht – diese Vereinbarung gibt es bereits an einer Reihe von Orten für den Klinikbereich, warum sollte es nicht auch für die Kitas funktionieren? Mit Ausschlüssen zu drohen, nur weil es einigen Ländern nicht passt, bringt uns nicht weiter. Wenn nur Dinge beschlossen würden, die allen gefallen, gäbe es keinen einzigen Tarifvertrag.
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