Krieg im Libanon: Und über uns die Drohnen

Die israelischen Luftangriffe auf den Süden der libanesischen Hauptstadt nehmen zu. Wie viele ist unsere Autorin deshalb in den Norden geflohen.

Ein Mann und eine Frau schauen von einem Hügel auf Beirut

„Paris des Nahen Ostens“- dieser Beiname Beiruts scheint wie aus einer weit entfernten Zeit. Beirut am 7.10.2024 Foto: F.Itani/UPI/laif

Beirut taz | Beinahe still ist es derzeit im Viertel Bir Hassan. Die typischen Hintergrundgeräusche einer libanesischen Stadt – fahrende Autos und Motorroller, das Brummen der Dieselgeneratoren, die Ge­spräche auf den Balkonen – sind verstummt. Die meisten Bewohnerinnen und Bewohner der südlichen Vorstädte von Beirut – und damit auch Bir Hassans – haben ihre Wohnungen verlassen.

Sie flüchteten nach dem Nachmittag des 27. September. Ein Luftangriff des israelischen Militärs zielte auf Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah, der sich zu diesem Zeitpunkt mit Hisbollah-Kadern und mindestens einem Offiziellen der Islamischen Revolutionsgarde des Iran traf. Dabei kamen wohl bunkerbrechende Bomben zum Einsatz, die Detonation war kilometerweit zu spüren. Aus der Ferne sah ich eine Wolke aus schwarzem Rauch, die immer weiter anwuchs. In der Nacht darauf flog das Militär weitere Angriffe, der Krieg rückte näher heran.

Diese Nacht verbrachte ich bei Freunden, die Luftangriffe so nah, dass die Scheiben klirrten und das Gebäude bebte. Danach begann der Exodus aus Bir Hassan Richtung Nordbeirut und der libanesischen Berge. Meine Freunde und ich, wir gingen auch.

Der Süden ist schiitisch

Bis dahin hatten wir uns in Bir Hassan recht sicher gefühlt, obwohl dort auch vor dem 27. September schon Luftschläge zu hören waren. Wie der Rest von Dahiyeh ist Bir Hassan sehr schiitisch geprägt, die gemischt schiitisch-christliche Familie meiner Freunde ist eine Ausnahme. Das Viertel liegt zwar im Süden der libanesischen Hauptstadt und ist damit Teil der Dahiyeh genannten Vororte. Wenn es einen Krieg mit Israel gibt, etwa 2006 oder jetzt, dann dort. Doch Haret Hreik, das Kerngebiet der Hisbollah und damit auch das Herz des Kriegs, liegt etwa zwei Kilometer weiter südöstlich.

Bir Hassan wirkt wie ein Grenzgebiet. Hier scheint die Kontrolle des libanesischen Staats überzugehen in die der Hisbollah. Die libanesische Armee ist hier präsent, an einem Checkpoint winkt normalerweise ein gelangweilt wirkender Soldat kommentarlos die Autos durch. Seit einigen Tagen steht dort auch ein Panzer.

Die libanesische Fahne ist in Bir Hassan selten zu sehen. Stattdessen zieren die Flaggen der Hisbollah und der ebenfalls schiitischen Partei und Miliz Amal die Stommasten. Ein Märtyrerplakat, darauf das Konterfei eines vor vielen Jahren im Syrienkrieg getöteten Hisbollah-Mitglieds, hängt über dem Eingang eines Gebäudes. Ganz in der Nähe befindet sich das Landwirtschaftsministerium.

Fährt man von Bir Hassan weiter Richtung Südosten, werden die Straßen enger, die Häuser stehen dichter aneinander. Der Krieg ist sehr viel sichtbarer. Allein bei dem Luftschlag auf Nasrallah wurden hier nach libanesischen Angaben sechs Wohnblöcke zerstört.

Erinnerungen werden wach. Mit einer Freundin und ihrer Tochter aß ich letzten Sommer in Dahiyeh das wohl beste gegrillte Hähnchen Beiruts und fütterte mit den Resten die frechen Straßenkatzen. Mit einer anderen Freundin ging ich vor vielen Jahren in einer Outlet-Mall shoppen, die Schuhe von Ivanka Trumps Modelabel verkaufte, wir lachten darüber. Die Szenen des Alltags ließen die Plakate und Fahnen der Hisbollah in den Hintergrund treten.

Verschiedene Welten in einer Stadt

Schon 2017, als ich in Beirut studierte, warnte das Auswärtige Amt davor, Dahiyeh zu besuchen – und auch einige Freunde aus meiner teuren, französischsprachigen Universität in Nordbeirut erklärten beinahe mit Stolz, noch nie dort gewesen zu sein. Einmal bat ich einen Freund, mich in Bir Hassan abzuholen. Befände ich mich nur ein bisschen weiter südlich, sagte er damals, hätte ich ein Taxi nehmen müssen. Er stammt aus einer maronitisch-christlichen Familie, Dahiyeh ist kein Teil seiner Welt.

Ich erinnere mich, wie ich mit anderen Freunden einmal nachts durch Haret Hreik fuhr, das im Ramadan erst nach Sonnenuntergang lebendig wurde. Wir hatten Lust auf libanesisches Eis – Blütengeschmack mit Pistazienstückchen – und in Haret Hreik konnte man das auch um zwei Uhr morgens noch bekommen. Während wir durch die Straßen fuhren, sagte ein Freund damals: „Ich verstehe nicht, warum man hier ein Geschäft eröffnet. Wenn es Krieg mit Israel gibt, wird hier alles wieder zerstört.“ Sieben Jahre später ist es so gekommen.

Der Libanesische Bürgerkrieg, in dem sich unter anderem die Christen und Schi­iten bekämpften, tobte von 1975 bis 1990. Doch Beirut ist auch heute noch eine geteilte Stadt. Der Süden ist schiitisch geprägt, der Osten christlich, der Westen eher sunnitisch. Und nun, im Krieg mit Israel, werden die Differenzen zwischen den Angehörigen der verschiedenen Religionen noch größer.

Im Süden wird auf Märtyrerplakaten der getötete Hisbollah-Chef Nasrallah als Held des libanesischen Widerstands verehrt. In Dahiyeh hängen sie überall, ebenso Plakate zu Ehren seiner Anhänger. Normalerweise ist die Hisbollah-Fahne darauf abgebildet – ein gelber Hintergrund, auf dem in Grün kalligrafisch „Hizb Allah“, Partei Gottes, zu lesen ist. Das A wird zu einer ausgestreckten Hand, die ein Sturmgewehr hält. Die Nasrallah-Plakate ziehen sich entlang der Autobahn Richtung Norden, auf ihnen ist die libanesische Fahne zu sehen.

Der Norden ist christlich

Noch weiter im Norden dann werden auf Werbetafeln wieder Produkte angeboten, etwa ein Streichkäse, bei dessen Kauf man 3.000 US-Dollar für die Schulausstattung des eigenen Kinds gewinnen kann. Aufgehängt wurden sie vor der jüngsten Eskalation des Kriegs. Mittlerweile sind viele Schulen zu Notunterkünften für aus dem Südlibanon und aus Südbeirut Geflüchtete geworden, der Unterricht fällt aus. Nur Privatschulen in als sicher geltenden Gegenden haben nach den Sommerferien geöffnet.

Zu diesen vermeintlich sicheren Gegenden gehören Gemmayzeh und Mar Mikhael. Sie liegen ganz im Nordosten der Stadt. Gemmayzeh ist normalerweise ein Restaurant-, Mar Mikhael ein Partyviertel, Bars, Lokale und 24-Stunden-Shops drängen sich aneinander. Sonst ist es hier laut bis spät in die Nacht. Nun scheinen die Orte fast wie ausgestorben. Auch viele Ausländer, die hier sonst essen und feiern, haben den Libanon verlassen.

Die Hotels und Ferienwohnungen sind trotzdem belegt. Die aus dem Süden Geflohenen, die es sich leisten können, haben sich hier eingemietet. In der Lobby eines kleinen Boutiquehotels erzählt ein junger Mann, er teile sich mit seiner Familie dort ein kleines Studio, immerhin gebe es einen Kühlschrank. Ein anderer trägt eine Matratze ins Gebäude. Statt zwei Personen pro Doppelzimmer beherbergt das Hotel nun Hunderte Menschen.

Auch im Norden hängen Fahnen an den Strommasten, sie zeigen eine Zeder in einem roten Kreis: die Flagge der Lebanese Forces, einer christlich geprägten Partei und ehemaligen Miliz. Sie ist einer der Widersacher der Hisbollah im Libanon. Ihr Parteiführer bezichtigt die Hisbollah, „den Libanesen die Entscheidung über Krieg und Frieden zu nehmen, als seien wir kein Staat“. Schon seit Beginn dieser Runde des Kriegs am 8. Oktober 2023 sprechen sich die Lebanese Forces immer wieder gegen die Hisbollah aus.

Drohende Drohnen

Neben Mar Mikhael und Gemmayzeh liegt Achrafieh, ein sehr wohlhabendes, christliches Viertel. Auf dem zentralen Sassine­platz patrouillieren Soldaten. Ein Denkmal erinnert an Bachir Gemayel, der im Jahr 1982 zum Präsidenten gekürt und noch vor Amtsantritt ermordet wurde. Seine christlich-rechts geprägte Kataeb-Partei kollaborierte im Bürgerkrieg mit Israel und ist neben den Lebanese Forces eine der schärfsten Kritikerinnen der Hisbollah.

In Achrafieh komme ich unter. Meine aus Bir Hassan geflüchtete Freundin soll ebenfalls einziehen. Die Anfrage, ob auch ihre Mutter zwei Nächte bleiben könne, bis sie zu einer Verwandten in die als sicher geltenden Berge ziehen kann, lehnt der Vermieter ab. Man wolle nicht noch mehr neue Leute im Gebäude. In den so­zia­len Medien häufen sich ähnliche Berichte: dass Vermieter Menschen aus Dahiyeh ablehnten – etwa Kopftuch tragende Frauen. Meine Freundin entscheidet sich schließlich, nach Bir Hassan zurückzugehen.

Die Sorge, dass man selbst zum Ziel werden könnte, wenn ein Hisbollah-Mitglied nebenan einzieht, ist nachvollziehbar. Doch die pauschale Ablehnung, die vielen Geflohenen aus dem Süden der Stadt entgegenschlägt, lässt die Gräben im Land noch wachsen.

Auch in Achrafieh ist es still. Läden schließen früher, die Straßen sind leerer. Obwohl das Viertel als hisbollahfrei und damit sicher gilt, haben einige es wohl schon verlassen. Der Verkehr und die Stromgeneratoren sind im Norden noch nicht verstummt. Dennoch hört man – wie im südlichen Bir Hassan – ununterbrochen die Aufklärungsdrohne. Der Krieg ist weiter weg. Und trotzdem so nah.

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